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FRAUEN/519: UN - Legalisierung der Prostitution, überlebende Opfer des Menschenhandels protestieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Oktober 2013

UN: Legalisierung der Prostitution - Überlebende Opfer des Menschenhandels protestieren

Von Lucy Westcott



New York, 2. Oktober (IPS) - In der langjährigen Diskussion über die Regulierung der Sexarbeit hat sich zwischen den Vereinten Nationen und den Überlebenden von Menschenhandel und Prostitution ein Graben aufgetan. Letztere kritisieren die in zwei Berichten zum Ausdruck gekommene Position der Weltorganisation zugunsten einer Entkriminalisierung aller Aspekte der Prostitution.

"Die beiden Berichte beunruhigen uns sehr", sagte Lauren Hersh, Leiterin des New Yorker Büros von 'Equality Now', im Gespräch mit IPS. Die Frauenschutzallianz hat Ende September eine Kampagne gegen die UN-Entkriminalisierungspläne gestartet. "Dass sich ausgerechnet UN-Organisationen für den Bordellbetrieb einsetzen, ist ungeheuerlich", kritisierte Hersh.

Das Bündnis aus 98 Gruppen fordert von den Vereinten Nationen, die umstrittenen Berichte aus dem letzten Jahr um die Erfahrungen von Überlebenden der Prostitution zu erweitern und eine Vielzahl an Meinungen über die Auswirkungen der Legalisierung der Sexindustrie zuzulassen.

Hinter der Untersuchung 'Sexarbeit und das Recht in Asien und den Pazifikstaaten' stehen das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) und das UN-Aids-Programm (UNAIDS). 'HIV und das Recht' wurde von der UNDP-Weltkommission für HIV und das Recht veröffentlicht. Beide Berichte heben auf eine Verringerung von HIV/Aids bei gleichzeitigem Schutz der Rechte derjenigen, die in die Prostitution involviert sind, ab.


Auseinandersetzung mit der Nachfrage nach Sex gefordert

Überlebende der Prostitution sind jedoch der Meinung, dass die Nachfrage, die Triebfeder der Sexarbeit, genauer untersucht werden muss, was die umstrittenen Berichte versäumt hätten. Dazu erklärte ein UNDP-Sprecher in einer Mitteilung, dass sich die Berichte mit dem Problem der Sexarbeit im Zusammenhang mit der HIV/Aids-Frage auseinandersetzten und jede Form der Zwangsprostitution verurteilten.

"Das UNDP tritt für den Respekt der Menschenrechte für alle und insbesondere für die Ausgeschlossenen und Marginalisierten ein", betonte der Sprecher. Der Bericht über die Sexarbeit und das Recht in Asien/Pazifik "unterscheidet zwischen Sex im gegenseitigen Einvernehmen und Menschenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung." UNFPA und UNAIDS erklärten in einer Stellungnahme gegenüber IPS, ihre Position in der UNDP-Erklärung wiederzufinden.

Die Berichte sehen in der Entkriminalisierung der Sexindustrie bessere Chancen für Frauen, mit ihren Freiern die Verwendung von Kondomen auszuhandeln. Doch Equality Now zufolge sorgt die wirtschaftliche Abhängigkeit und somit der wirtschaftliche Druck dafür, dass sich Frauen auf Sex ohne Präservative einzulassen, der meist besser bezahlt wird. Opfer von Frauenhändlern und Zuhälter hätten so gut wie gar keine Chance auf sicheren Sex.

In einer Mitteilung hatte das UNDP erklärt, dass die Kriminalisierung der Prostitution die Anfälligkeit für HIV/Aids verschlimmere und den Zugang zu Kondomen und sexuellen Gesundheitsdiensten begrenze. Doch Hersh hält dagegen, "dass es die Zuhälter und Freier sind, die letztlich in der Kondomfrage entscheiden, indem sie Frauen mehr Geld in Aussicht stellen".

Wie Hersh weiter betonte, geht es der Allianz nicht darum, die Bemühungen der HIV/Aids-Kampagne zu untergraben. Equality Now hat fast ein ganzes Jahr gebraucht, um die UN direkt zu erreichen und dem UNAIDS-Exekutivdirektor Michel Sidibe ein von 80 Organisationen unterzeichnetes Schreiben auszuhändigen.

Prostitution ist Deutschland und vielen anderen Ländern erlaubt. In Zürich in der Schweiz wurden unlängst 'Sexboxen' eingerichtet, in die Kunden mit ihren Fahrzeugen einparken können, um Sexdienste in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise soll Frauen, die auf dem Straßenstrich anschaffen, größere Sicherheit gewährleistet werden.

Doch auch in Ländern, in denen die Prostitution legalisiert und entkriminalisiert wurde, leben Sexarbeiter unter schlimmen Bedingungen, weiß Equality Now. Hersh bemängelt vor allem, dass die umstrittenen UN-Berichte nicht die Partnerorganisationen vor Ort, denen Überlebende von Prostitution und Menschenhandel angehören, zu Wort kommen ließen.

Stella Marr, Geschäftsführerin und Mitbegründerin von 'Sex Trafficking Survivors United', einer internationalen Organisation mit mehr als 100 Überlebenden der Prostitution, ist selber eine Überlebende des Menschenhandels und war zehn Jahre in der Sexindustrie gefangen.


Weltgemeinschaft soll schwedischen Weg gehen

"Solange wir uns nicht mit dem Aspekt der Nachfrage auseinandersetzen, wird der Menschenhandel weitergehen", sagte Marr gegenüber IPS. Sie hält den Vorstoß Schwedens für den richtigen Weg, der den Kauf von Sex verbietet, Prostituierte hingegen nicht kriminalisiert.

Marr gelang mit Hilfe eines Kunden der Ausstieg aus dem Sexgeschäft. Der Mann hatte ihr zwei Jahre lang einen sicheren Ort zur Verfügung gestellt. Wie sie erläuterte, kennt sie keine andere Frau, die sich auf diese Weise aus dem Sexbusiness retten konnte. "Dass ich entkommen bin, bedeutet nicht, dass ich besonders stark war. Ich hatte einfach nur Glück", sagte Marr.

Die Stimmen der Überlebenden würden selten gehört, bestätigt Rachel Moran, ein Gründungsmitglied der 'Survivors of Prostitution-Abuse Calling for Enlightenment (SPACE) International', die im Alter von 15 Jahren prostituiert wurde und erst sieben Jahre später aus dem Geschäft aussteigen konnte.

Equality Now strebt auch eine Änderung der von den UN im Jahr 2000 festgelegten Definition des Begriffs 'Menschenhandel' an. Im Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels hatten sich die Mitgliedstaaten auf eine breiter gefasste Definition von Menschenhandel verständigt, der etliche Erfahrungen überlebender Sexarbeiter berücksichtigte.

Die UN-Berichte aus dem letzten Jahren empfehlen eine Verengung und Neudefinition des Menschenhandelsbegriffs. Dies würde bedeuten, Opfer des Menschenhandels nicht länger als Opfer zu betrachten und Menschenhändler zu entkriminalisieren. "Doch Prostituierte müssen als Opfer des Menschenhandels betrachtet werden", so Marr. "Wir sind nicht der Meinung, dass Prostituierte sich ihren Job ausgesucht haben."

Das Bündnis Equality Now setzt seine Hoffnungen nun auf künftige UN-Berichte. Es verwies auf eine Studie aus dem asiatisch-pazifischen Raum, die unlängst von den UN-Organisationen UNDP, UNFPA und 'UN Women' herausgegeben wurde. Darin wird die Nachfrage nach kommerziellem Sex mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt gegen Frauen in Verbindung gebracht. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.undp.org/content/undp/en/home/librarypage/hiv-aids/sex-work-and-the-law-in-asia-and-the-pacific/
http://www.undp.org/content/undp/en/home/librarypage/hiv-aids/hiv-and-the-law--risks--rights
health/http:/www.undp.org/content/undp/en/home/librarypage/hiv-aids/hiv-and-the-law--risks--rightshealth/
http://www.equalitynow.org/
http://www.sextraffickingsurvivorsunited.org/
http://www.ipsnews.net/2013/09/survivors-question-u-n-focus-on-legalising-sex-work

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2013