Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/594: Argentinien - Frauen in Elendsviertel kicken für mehr Gleichberechtigung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2015

Argentinien: Frauen in Elendsviertel kicken für mehr Gleichberechtigung

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Kickerinnen des Frauenfußballteams 'La Nuestra' in Villa 31, einem Armenviertel von Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - Während die Mitglieder des weiblichen Fußballteams 'La Nuestra' in einem Elendsviertel der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires dem Ball nachjagen, muss Teammanagerin Mónica Santino die Partie plötzlich unterbrechen. Eine Gruppe junger Männer will das Spielfeld betreten.

Santino fordert die Störenfriede mit ruhiger Stimme zum Gehen auf. "Wartet noch einen Moment, wir gehen gleich", sagt sie. "Bringt unser Spiel nicht durcheinander." Dieser Vorfall ist keine Ausnahme. Frauen in dem südamerikanischen Land müssen sich ihre Gleichberechtigung in einer Männerdomäne Zentimeter für Zentimeter erkämpfen.

Dabei machen Mädchen und Frauen etwa die Hälfte der etwa 40.000 Einwohner des Slums 'Villa 31' mitten im wohlhabenden Stadtteil Retiro im Nordosten von Buenos Aires aus. Als das Fußball-Projekt 2007 begann, mussten die Kickerinnen ihren Bereich noch mit Steinen markieren. Inzwischen trainieren sie zwei Mal pro Woche.

"Auf den ersten Blick scheint das nichts Besonderes zu sein. Doch Fußballfelder sind die wichtigsten öffentlichen Plätze in dem Viertel", sagt die 49-jährige Santino, die als erster weiblicher Trainer in den argentinischen Fußballverband aufgenommen wurde. "Wir leben in einem Land, in dem Fußball Nationalsport ist. Frauen werden in dem Bereich aber immer noch wie Bürger zweiter Klasse behandelt."


Frauen aller Altersgruppen interessiert

'La Nuestra' verfolgt das Ziel, Frauen durch Fußball ein höheres Selbstwertgefühl zu vermitteln und etwas für die Gleichberechtigung zu tun. Anfangs richtete sich das Projekt nur an Teenager, doch bald fragten auch zahlreiche jüngere Mädchen und erwachsene Frauen, ob sie mitmachen dürften.

Von den inzwischen 70 Teilnehmerinnen ist etwa die Hälfte im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. "Ich bekam immer Puppen und kleine Bälle geschenkt, doch ich wollte immer einen richtigen Fußball haben", berichtet die neunjährige Florencia. "Die Männer haben offensichtlich nicht verstanden, dass wir auch Fußball spielen können", meint Juanita, die ein Jahr älter ist und eine Profi-Karriere anstrebt.

Argentinien hat zwar Fußballlegenden wie Diego Maradona und Lionel Messi hervorgebracht, doch noch nie hat eine Frauenmannschaft einen globalen Wettkampf gewonnen. Santino meint, dass die großen Clubs der Ansicht seien, dass Frauenfußball nach nichts aussehe und wenig einbringe. "Es gibt keinen Verein, der Mädchen einen Einstieg ermöglicht. Ein Athlet muss aber in jungen Jahren mit dem Training beginnen", sagt Santino. Bei internationalen Turnieren machten die Spielerinnen die schmerzhafte Erfahrung, den Teams aus Deutschland oder den USA abgrundtief unterlegen zu sein.

"Ich selbst hatte das Glück, in eine Mannschaft aufgenommen zu werden und bei der WM antreten zu können. Wir haben das aus eigener Kraft geschafft, unter großen Opfern", sagt die 33-jährige Vanina García, die das 'La Nuestra'-Team trainiert. Vom Fußball allein kann sie allerdings nicht leben.

Santino, die auch Obdachlose zum Straßenfußball gebracht hat, setzt sich dafür ein, dass das Frauenprojekt in anderen Elendsvierteln Schule macht. Sie will einen Frauenfußballverein gründen, in dem die Frauen nicht nur gemeinsam dem Ball nachjagen, sondern auch über Fragen wie Sport und Gleichberechtigung diskutieren.

Vor ihrer Arbeit bei 'La Nuestra' hatte Santino das Fußballprogramm eines Frauenzentrums in dem Viertel Vicente López in Buenos Aires koordiniert. Das Projekt wurde über ein Jugendprogramm der Stadtverwaltung und durch die argentinische Zentralregierung finanziell gefördert.


Sportliche Frauen als unweiblich abgelehnt

Santino ist Mitglied der unabhängigen 'Fundación Mujeres in Igualdad', einer Stiftung zur Förderung der Gleichberechtigung. Sie berichtet von hartnäckigen Vorurteilen gegen Frauen, die laufen, schwitzen und sich anstrengen. "Viele meinen, dass eine Frau, die Fußball spielt, irgendwann aussieht wie ein Mann. Außerdem denken viele, dass Fußballerinnen Lesben sind."

Für Santino ist die Fußballfrage ein guter Ausgangspunkt, um über die generelle Stellung der Frau in der argentinischen Gesellschaft zu diskutieren. "Von Mädchen wird erwartet, dass sie den Abwasch erledigen, für die jüngeren Geschwister sorgen und sich später um ihre eigenen Kinder kümmern. Wenn Jungen aus der Schule kommen, werfen sie ihren Ranzen in die Ecke und gehen Fußball spielen. Das unsere Spielerinnen das nun auch tun, ist eine politische Aussage von revolutionärem Gehalt, denn es verändert sich etwas." (Ende/IPS/ck/07.07.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/07/equality-a-hard-game-to-win-for-women-footballers-in-argentina/
http://www.ipsnoticias.net/2015/06/igualdad-un-partido-dificil-de-ganar-para-futbolistas-argentinas/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang