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FRAUEN/865: Mexikos Präsident AMLO sieht keine Zunahme der Gewalt an Frauen trotz historisch hoher Fallzahlen (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko
"Ich sehe keinen Anstieg" - AMLO zu Feminiziden


Mexikos Präsident AMLO sieht keine Zunahme der Gewalt an Frauen trotz historisch hoher Fallzahlen.

(Mexiko-Stadt, 28. November 2022, cimacnoticias) - Bei einer Pressekonferenz am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, nahm sich der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) nur wenig Zeit, um über ebendiese Gewalt zu sprechen. Auf eine Nachfrage zu den hohen Fallzahlen in Mexiko, die gerade historische Ausmaße erreichen, entgegnete er, es gebe keinen Anstieg der Gewalt. Ein Versagen seiner Regierung bei der Verhinderung von Übergriffen wollte er ebenso wenig einräumen.

Das Nachrichtenportal Cimacnoticias stellte dem Staatschef an diesem Aktionstag mehrfach kritische Fragen. Zuvor hatte AMLO erklärt, erst während seiner Amtszeit sei Feminizid als strafrechtliche Kategorie eingeführt worden. Außerdem sagte er, dass die Straftaten in diesem Bereich landesweit um 20 Prozent zurückgegangen seien. Das Sekretariat für Öffentliche Sicherheit (Secretariado Ejecutivo del Sistema Nacional de Seguridad Pública, SESNSP) hingegen hat Daten veröffentlicht, die zeigen: In 2021 und 2022 sind die Fallzahlen in den strafrechtlichen Kategorien Feminizide, vorsätzliche Tötungen von Frauen und häusliche Gewalt so hoch wie seit einigen Jahren nicht mehr. Im August 2021 etwa wurden 108 mutmaßliche Feminizide gezählt. Eine derart hohe Zahl hatte es vor AMLOs Amtszeit nicht gegeben. Die Tendenz für 2022 ist hier zwar rückläufig, die Fälle von mutmaßlichen vorsätzlichen Tötungen von Frauen sind es aber nicht. Erst im Juni dieses Jahres registrierte die SESNSP 282 Verbrechen dieser Art. Relevant ist dies, weil bei der Zuordnung der Delikte in die strafrechtlichen Kategorien allzu häufig Fehler passieren.

Dies zeigt, dass Frauen, entgegen der Behauptung des Präsidenten, nach wie vor in hohem Maße Gewalt ausgesetzt sind und die Taten nicht als das behandelt werden, was sie sind. Auf die Frage, ob auch er einen weiteren Höhepunkt der Gewalt gegen Frauen in Mexiko erkennt, war die Antwort des Präsidenten eindeutig: "Nein, ich sehe keinen Anstieg." Es gebe, so sein Argument, einen Plan, der diese Gewalt verhindern soll. Außerdem habe erst seine Regierung Feminizid als Straftat klassifiziert. In Mexiko besteht diese Kategorie aber schon seit Juni 2012 - sechs Jahre vor AMLOs Amtsantritt. Trotz dieser langen Zeit gibt es tausende Fälle, bei denen die Untersuchungen fachlich falsch durchgeführt werden. Grund dafür ist, dass verschiedene Instanzen der Rechtsprechung die Feminizide mit regulären Morden verwechseln. Seit Jahren füllen Frauenkollektive und feministische Organisationen eine Lücke, die der Staat aufgrund des Versagens seiner Behörden hinterlässt. Sie unterstützen Opfer und Angehörige auf der Suche nach Gerechtigkeit. Dass sie dafür kriminalisiert werden, liegt auch an Reden, wie sie der Präsident am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hielt.

"Nicht mit diesen Mitteln", sagt AMLO über die Proteste der Frauen

An diesem 25. November äußerte sich López Obrador auch zu den Demonstrationen von Frauen, die am selben Tag stattfanden. In einer vagen Antwort vermischte er verschiedene Themen und bestätigte zwar, dass er das Recht auf Demonstrationen respektiere, aber er sagte auch: "Wer sich vermummt, Böller wirft und Schweißbrenner mitbringt - was werden sie schon verändern? Nichts. Nicht mit diesen Mitteln." Mit dieser Aussage rechtfertigte der Präsident wieder einmal die andauernde Kriminalisierung von feministischen Bewegungen. Cimacnoticias fragte ihn daraufhin, ob er Frauen als "Opposition" wahrnehme, wie er zuvor mehrfach angedeutet hatte. "Ich habe viel Respekt vor denjenigen, die kämpfen. Und ich respektiere Frauen sehr. Wir schützen Frauen, wie wir alle Bürger schützen, und das machen wir mit voller Überzeugung, denn wir kämpfen seit Jahren für Gerechtigkeit", erklärte AMLO. "Wir sind auf der Seite der Frauen. Aber unsere Kontrahenten, die Konservativen wollen jetzt den Feminismus nutzen, um uns anzugreifen. Das ist heuchlerisch. Doch Millionen Frauen in Mexiko wissen, dass wir aus Überzeugung handeln." Obwohl er "auf der Seite der Frauen" stehe, spielten sie in AMLOs letztem Regierungsbericht keine Rolle. Zudem sieht seine Regierung im Haushaltsplan für 2023 nur ein Minimalbudget für die Verbesserung der Rechte von Frauen vor. Mit derartigen Aussagen und der Behauptung, erst seine Regierung habe den Feminizid ins Strafrecht aufgenommen, bewies Obrador am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, dass er bei dem Thema einige Wissenslücken hat. Zudem zeigte er, dass die alarmierenden Zahlen der Feminizide und vorsätzlichen Tötungen für ihn nichts bedeuten. In der Vierten Transformation (Cuarta Transformación, 4T), dem Reformplan, mit dem AMLO in den Wahlkampf um die Präsidentschaft gegangen war, spielen Frauen schlichtweg keine Rolle.


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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. Dezember 2022

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