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GENDER/040: Wo Liebe lebensgefährlich wird - LGBTI in El Salvador (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Wo Liebe lebensgefährlich wird - LGBTI in El Salvador

Von Alfredo Carías und Markus Plate


(Mexiko-Stadt, 4. Januar 2017, npl) - Schon vor fast zwanzig Jahren, 1997 um genau zu sein, fand in El Salvadors Hauptstadt San Salvador eine erste Demonstration lesbischer, schwuler, bi- und Trans*Personen statt, im deutschen Sprachraum als CSD bekannt, in Lateinamerika als "Marcha de Orgullo". Doch anders als in europäischen, nordamerikanischen und auch einigen lateinamerikanischen Metropolen hat sich die Demo in San Salvador noch nicht zur karnevalesk-kommerziellen Party gemausert, sondern ist politisch geblieben. Denn das Leben ist für Lesben, Schwule und vor allem für Trans*personen nach wie vor schwierig, oft ein Spießrutenlauf und nicht selten gefährlich. Schuld daran sind Kirchen und Konservative, die in El Salvador bis heute zwischen "normal" und "anormal" unterscheiden. Ein Normalisieren, das Menschen verleugnet, quält, tötet.

Das "sich selbst akzeptieren" und danach das "Coming Out", das sind für Lesben, Schwule und Trans*personen in Mittelamerika bis heute riesige Schritte. Schritte, die viel Entschlossenheit erfordern und die mit Leiden verbunden sein können: Ein Beispiel ist die Lebensgeschichte von Ambar Alfaro, einer salvadorianischen Trans-Frau von heute 29 Jahren. Ambar stammt aus Zacatecoluca, eine Stunde östlich von San Salvador und ist dort in einem Armenviertel und einer religiösen Familie aufgewachsen. Dort war es schon Tabu überhaupt über Sexualität zu sprechen, von Trans-Sexualität mal ganz zu schweigen.

"Zunächst weißt Du nicht mal, wie Du Dich selbst definieren sollst, dafür gibt es kein Handbuch, das passiert dann irgendwann mit der Zeit" (Ambar Alfaro, Transfrau) 


Sexualität als Tabu

Ambar ist seit ihrer Kindheit im familiären und nachbarschaftlichen Rahmen Abneigung und Hass entgegengeschlagen. So schlimm, dass sie - noch Teenager - von zu Hause abhaute und in die Hauptstadt ging: "Ich habe mich entschlossen, die männliche Schublade, in die man mich seit meiner Geburt zu stecken versuchte, zu verlassen und mich als Frau zu konstruieren. Als solche identifiziere ich mich und als solche trete ich auch der Gesellschaft gegenüber." Mittlerweile lebt Ambar seit acht Jahren als die Frau, als die sie sich immer gefühlt hat.

Die Flucht in die Stadt, sie bedeutet für Trans*personen oft nicht das Ende der Diskriminierungen und Angriffe. Einen regulären Job zu finden ist für die allermeisten Transfrauen unmöglich, Sexarbeit bleibt für viele der einzige Weg, was gerade in El Salvador eine gefährliche Tätigkeit ist. Aber die Entbehrungen gehen nicht nur laut Ambar weit über das Thema Arbeit hinaus: "Meinen Compañeras, die einen Gender-Transformationsprozess beginnen, sage ich immer, uns muss bewusst sein, dass wir viel Gewohntes hinter uns lassen und in Zukunft auf vieles verzichten müssen: Auf unsere Familie, auf ein Studium, oft sogar auf jede Art von Bildung, auf eine würdevolle Arbeit, auf alte Freunde, auf Bewegungsfreiheit - auf Dinge verzichten, die für andere selbstverständlich sind." Ambars Berufsschule weigert sich zum Beispiel seit vier Jahren, ihr ein Abiturzeugnis auszustellen, nur weil sie nicht wie auf ihrem Personalausweis aussieht. So bleibt Ihr derzeit nur, für wenig Geld in einer Nähfabrik zu schuften.

"Mein Lesbischsein geht weit über die Tatsache hinaus, dass ich mit einer anderen Frau schlafe." (Yanileth Mejía, Lesbe und Feministin) 

Wie Ambar, die heute Aktivistin für Transgender Rechte ist, kämpft auch die dreißigjährige Lesbe und Feministin Yanileth Mejía gegen den Machismus in der salvadoranischen Kultur. Ihr Lesbischsein konstruiert Yanileth sich nicht nur bis zum Bett, das sie mit einer Frau teilt. Ihr geht es darum, ein System zu transformieren: Ein frauenfeindliches, rassistisches, kolonialistisches und patriarchales System: "Dieses System unterdrückt uns, unsere Freiheit und die Autonomie über unsere Körper. Und dagegen kämpfen wir nicht nur als Teil der LGBTI-Bewegung. Sondern auch als Frauen gegen die Kriminalisierung der Abtreibung, die ja auch einen Angriff auf die Autonomie über unseren Körper darstellt."


Viele Menschenrechtsverletzungen auf Grund der sexuellen Orientierung

In El Salvador sind Menschenrechtsverletzungen auf Grund sexueller Orientierung und Geschlechteridentität ein generelles und tief verwurzeltes Muster. Beleidigungen, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitssystem, an Schulen und Universitäten. Angriffe auf Privatsphäre, willkürliche Verhaftungen, sexualisierte Gewalt, schwere Misshandlungen. Menschenrechtsorganisationen haben seit 1995 500 Morde an LGBTI-Personen gezählt, ohne dass auch nur ein Fall aufgeklärt worden wäre. Der farbenfrohe Umzug der LGBTI-Community in San Salvador entpuppt sich dabei schon fast traditionell als einer der gefährlichsten Tage. Kaum ein Jahr vergeht, dass am Rande oder nach der fröhlichen Demonstration Menschen zu Tode kommen.

Immerhin: 2015 hat der salvadorianische Kongress eine Novellierung des Strafgesetzbuches beschlossen. Wer aus rassistischen, politischen oder homo-, lesbo- oder transphoben Motiven einen Menschen bedroht, angreift oder ermordet, hat in Zukunft mit drakonischen Strafen zu rechnen, im Falle von Mord sogar bis zu 65 Jahre Haft. Diese Verschärfung geht auf eine Empfehlung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zurück. Diese wiederum war tätig geworden, nachdem Menschenrechtsorganisationen wiederholt bei internationalen Organisationen, namentlich der UNO und der Organisation Amerikanischer Staaten die fehlende Bereitschaft der salvadorianischen Justiz angeprangert hatten, Hassverbrechen aufzuklären.


Forderung nach Respekt, Anerkennung und Gerechtigkeit

Allerdings ist mehr als zweifelhaft, ob eine Gesetzesverschärfung irgendetwas bringt, wenn ohnehin kein Verdächtiger ermittelt, geschweige denn verurteilt wird. Und der Machismus in El Salvador werde als Grundübel von Politik, Medien, Kirchen - von der Gesellschaft als Ganzes nach wie vor nicht thematisiert, so der schwule Arzt José Israel: "Die Gesellschaft versucht Dir immer noch klar zu machen, dass Du in ihren Augen nicht 'normal' bist. Die haben ein krankhaftes Interesse daran, sich Schwule und Lesben als ausschließlich sexuelle Wesen vorzustellen. Sie geilen sich daran auf und hassen Dich gleichzeitig dafür. Dabei ist es doch gesellschaftlich überhaupt nicht relevant, was jemand mit wem im Bett macht."

"Mein Schwulsein habe ich tief in mir verschlossen und es war super schwierig, mit diesem Geheimnis tagein tagaus zu leben." (José Israel Reyes, schwuler Mann) 

Schwule, Lesben und Trans*personen wie José Israel, Yanileth und Ambar fordern Respekt und Anerkennung als Subjekte, als Körper, als Individuen, als Bürger*innen unabhängig von Sexualpraktiken und Genderidentitäten. Sondern als Menschen, deren Rechte Staat und Gesellschaft zu schützen haben. Und sie fordern Gerechtigkeit. Für all das, was ihnen verwehrt worden ist, für die Beleidigungen und Angriffe, die sie über sich ergehen lassen mussten. Und für die Gewalt, die Freundinnen und Freunden angetan wurde.

Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag [1].


Anmerkung:
[1] https://www.npla.de/podcast/wo-liebe-lebensgefaehrlich-wird


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/wo-liebe-lebensgefaehrlich-wird-lgbti-in-el-salvador/


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Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2017

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