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INTERNATIONAL/003: Venezuela - Winzige Erfolge gegen Ressourcenklau, Ureinwohner kalt gestellt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2011

Venezuela: Winzige Erfolge gegen Ressourcenklau - Ureinwohner kalt gestellt

Von Humberto Márquez


Caracas, 21. Februar (IPS) - In US-amerikanischen Laboratorien ist aus Pilzen südvenezolanischer Tafelberge eine Substanz extrahiert worden, die Millionen Krebskranken neue Hoffnung brachte. Während Pharmakonzerne an dem Medikament gut verdienen, gehen die Pemón-Ureinwohner, die die heilenden Kräfte der Pilze entdeckten, nach wie vor leer aus.

In einem ähnlich gelagerten Fall drangen Wissenschaftler der Universität Zürich vor einigen Jahren nach Rücksprache mit venezolanischen Regierung 1998 in die Lebensräume der Yanomami im äußersten Süden des Landes ein, um Medizinalpflanzen und ihre Wirkungsweisen zu erforschen.

"Unsere Länder sind äußerst anfällig für die Biopiraterie. Das erklärte auch die Invasion internationaler Pharmazieunternehmen", meint dazu Julio César Centeno, Waldforscher an der venezolanischen Andenuniversität. "Meist umgehen sie internationale Abkommen und schlagen Vorteil aus den bei uns schwach ausgeprägten Artenvielfaltskontrollen."

Wie María Elisa Febres, Rechtsanwältin der Umweltorganisation 'Vitalis', berichtet, haben jedoch die fortgesetzten Bemühungen, den Ressourcenklau öffentlich zu machen, einige Erfolge erzielt. Als Beispiel nennt sie das Nagoya-Abkommen aus dem letzten Jahr.

Das nach der gleichnamigen japanischen Stadt benannte Protokoll zielt darauf ab, den Zugang zu den genetischen Ressourcen von Tieren und Pflanzen und deren Vermarktung durch die Pharma- und Kosmetikindustrie soweit zu regeln, dass auch die Herkunftsländer und indigenen Völker von ihren Naturressourcen und ihrem traditionellen Wissen profitieren.


Profite in Milliardenhöhe

Vitalis hat sich näher mit dem Wirkstoff Paclitaxel befasst, der von dem Konzern 'Bristol Myers Squibb' unter dem Markennamen 'Taxol' kommerzialisiert worden ist. Paclitaxel ist ein Bestanteil der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) und hat sich in der Medizin als Mittel gegen verschiedene Krebsarten, Multiple Sklerose und Alzheimer bewährt. Im Jahr 2000 erzielte Bristol Myers mit Taxol Einnahmen in Höhe von fast 1,6 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2003 wurden mit dem Medikament mehr als eine Million Patienten behandelt.

Zunächst war der Wirkstoff aus der Rinde der Eiben an der US-amerikanischen Westküste gewonnen worden. Doch da die Produktion von drei Milligramm Paclitaxel die Zerstörung von drei Bäumen mit sich brachte, schauten sich Wissenschaftler bereits vor zwei Jahrzehnten nach alternativen Eibenarten um und später auch nach Pilzen, deren begehrter Wirkstoff gegen Krebs inzwischen mit Hilfe der Biotechnologie preiswerter reproduziert werden kann.

Gary Strobel, Wissenschaftler an der US-Universität Montana, hatte sich auf insgesamt vier Kontinenten nach Paclitaxel umgesehen. Fündig wurde er in Australien, Nepal und Venezuela. In dem südamerikanischen Land war der Wirkstoff in den Pilzen Stegolerium kukenani und Seimatoantlerium tepuiense enthalten, die auf den Tafelbergen Kukenán und Roraima im brasilianisch-guyanisch-venezolanischen Grenzgebiet endemisch sind. Dort stieß der Wissenschaftler auch auf das Bakterium Serratia maracescens, das Oocydin A produziert, das ebenfalls in der Krebstherapie zur Anwendung kommt.


Patentschutz für Biopiraten

Die Organismen wurden ohne Genehmigung oder Rücksprache mit den Behörden oder den dort lebenden 30.000 Pemón-Indianern im 30.000 Quadratkilometer großen Canaima-Nationalpark gesammelt. Wie Strobel vor Jahren gegenüber Vitalis erklärte, hatte er vergeblich den Kontakt zu den Behörden der drei betroffenen Länder gesucht. Auf der Grundlage seiner Untersuchungen meldete die Universität Montana in Zusammenarbeit mit Bristol Myers und 'Cytoclonal Pharmaceutics' 50 Patente an.

Vom Wissen der Yanomami, der mit 25.000 Jahren wohl ältesten Ethnien Lateinamerikas, die im Süden des heutigen Venezuelas und Norden Brasiliens zu Hause sind, profitierten wiederum acht Schweizer Forscher, die im Rahmen eines Abkommens zwischen der Universität von Zürich und den venezolanischen Behörden Heilpflanzen und deren Anwendung vor Ort studierten.

Centero zufolge wandeln auch venezolanische Wissenschaftler auf den Spuren der Yanomami. "Doch sollten wir endlich ein gutes Beispiel abgeben und die weitgehend in Armut lebenden Ureinwohner fragen, ob wir uns ihr traditionelles Wissen zunutze machen dürfen", meint der Wissenschaftler. "Darüber hinaus sollten wir sie an unseren Forschungen und Einkünften partizipieren lassen." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.vitalis.net/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97463

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IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2011