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INTERNATIONAL/096: Pakistan - Vasektomie soll Bevölkerungsexplosion bremsen, Männer abgeschreckt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2012

Pakistan: Chirurgischer Eingriff soll Bevölkerungsexplosion bremsen - Männer abgeschreckt

von Zofeen Ebrahim


Das Bevölkerungswachstum wird in Pakistan zum Problem - Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Das Bevölkerungswachstum wird in Pakistan zum Problem
Bild: © Fahim Siddiqi/IPS

Karachi, 13. Juli (IPS) - Angesichts des rapiden Anstiegs des Bevölkerungswachstums in Pakistan sehen Gesundheitsexperten auch Männer in der Pflicht. Damit stoßen sie jedoch auf Widerstand. Denn die Vasektomie - die chirurgische Durchtrennung der Samenleiter im Hodensack - ist auch anderswo auf der Welt die unpopulärste Methode zur Empfängnisverhütung.

Der Mediziner Ghulam Shabbir Sudhayao versucht die potenzielle Klientel zu beruhigen. "Man braucht kein Skalpell, keine Nähte und auch keine Genesungszeit", erklärt er. "Die Leute verwechseln die Vasektomie mit Kastration und werden dadurch abgeschreckt", sagt Sudhayao, der im Sozialministerium der Regierung arbeitet.

Der Gesundheitsexperte weiß, wovon er spricht. Denn er ließ sich selbst sterilisieren, als er keine weiteren Kinder mehr haben wollte. "Nach zwei Töchtern wünschten wir uns einen Sohn - und bekamen gleich zwei auf einmal: Meine Frau brachte Zwillinge zur Welt."

Die Sterilisation von Frauen durch das Abbinden der Eileiter sei ein wesentlich komplexerer Eingriff, erklärt er. Der Arzt hat bei Männern in den vergangenen 20 Jahren mehr als 6.000 der minimal-invasiven Operationen unter örtlicher Betäubung vorgenommen. Allerdings erfüllen die 2.000 Sozialarbeiter, die für seine Behörde arbeiten, ihre Quoten nicht.

"Wir bekommen nicht mehr als 80 bis 90 Patienten im Monat, obwohl die Operation kostenlos ist und jeder Patient umgerechnet fünf US-Dollar für Essen bekommt", bedauert er. Vermittler erhielten zudem eine Prämie.

In den letzten zwei Jahrzehnten bildete Sudhayao 18 Ärzte darin aus, diese einfache Operation durchzuführen. Nur wenige seien jedoch daran interessiert, ihr Wissen auch tatsächlich anzuwenden und damit zu werben. "Sie befürchten, in der Gesellschaft nicht ernst genommen zu werden." Um die Methode bekannter zu machen, nutze seine Behörde vor allem die elektronischen Medien.


Zielscheibe von Witzen über Impotenz

Der 42-jährige Syed Jeal Shah, ein Biologielehrer an einer staatlichen Schule, unterzog sich der Vasektomie, als er schon zehn Kinder hatte. "Die Dinge liefen aus dem Ruder. Wir konnten von meinem kleinen Gehalt nicht so viele Personen ernähren", sagt er. Acht Jahre nach der Operation muss sich Shah im Freundeskreis immer noch Witze über Impotenz anhören. "Auch meine Kollegen finden, dass Familienplanung Frauensache ist", meint er.

Da die Einwohnerzahl des asiatischen Landes jedoch weiterhin rapide wächst und Verhütungsmethoden für Frauen das Problem allein nicht lösen, richten Bevölkerungsexperten ihr Augenmerk erneut auf die Vasektomie. Derzeit leben in dem Land bereits 180 Millionen Menschen. Bei einer durchschnittlichen Zahl von vier Kindern pro Frau könnte die Bevölkerung im Jahr 2050 die 450-Millionen-Marke überschreiten.

Studien des pakistanischen Forschungsinstituts RADS und der US-Entwicklungsbehörde USAID haben ergeben, dass jährlich sechs Millionen Paare im Land Verhütungsmittel brauchen. Das staatliche Gesundheitswesen kann jedoch nur 33 Prozent von ihnen betreuen. RADS-Leiterin Ayesha Khan erklärte, dass mehr als die Hälfte dieser Menschen Verhütungsmittel selbst bezahlen müssten, während 15 Prozent durch Nichtregierungsorganisationen versorgt würden.

Nach Angaben des unabhängigen 'Population Reference Bureau' in Washington, das die Bevölkerungsentwicklung weltweit beobachtet, denken Pakistanerinnen meist erst frühestens nach dem fünften Kind an Familienplanung. "Die Frauen sähen sich aus Gründen des sozialen Status und der wirtschaftlichen Existenzsicherung oft dazu gezwungen, große Familien zu haben", sagt Tewodros Melesse, Generaldirektor der 'International Planned Parenthood Federation'.

In vielen Ländern heirateten die Mädchen sehr jung, würden früh schwanger und gäben gezwungenermaßen ihre Ausbildung auf, um sich um die Familie zu kümmern, sagt Melesse. In Pakistan wendeten lediglich 22 Prozent der verheirateten Frauen im gebärfähigen Alter Methoden zur Geburtenkontrolle an.

Der Demographie-Experte Farid Midhet, der die Organisation 'Safe Motherhood Alliance' gegründet hat, führt das Versagen der staatlichen Familienplanungsprogramme auf Analphabetismus insbesondere bei Frauen und eine schlechte Regierungsführung zurück. "Der Gebrauch von Verhütungsmitteln funktioniert in einer aufgeklärten und gebildeten Kultur, in der Frauen Autonomie genießen", meint er.


Frauen sollen nicht die Hauptverantwortung tragen

Nach Angaben von Melesse schlugen Sterilisierungen von Männern bei der Geburtenkontrolle nur mit einem Anteil von 0,33 Prozent zu Buche. Auch Kondome würden nur zögerlich verwendet, kritisierte er. Die Frauen trügen also bei der Verhütung von Schwangerschaften die Hauptlast. Der Experte sieht es deshalb als dringend notwendig an, mehr Männer als bisher vom Nutzen der Programme für reproduktive Gesundheit zu überzeugen.

Dazu sind auch religiöse Hürden zu überwinden. Abdul Ghaffar Khosa, der in einer islamischen Schule in der Provinz Sindh lehrt, erklärt, dass unter Klerikern die Meinungen zur Familienplanung auseinandergingen. Er selbst habe aber vor etwa acht Jahren eine Vasektomie vornehmen lassen. Zuvor hatte er mit zwei Frauen 22 Kinder gezeugt.

"Zwischen diesen Schwangerschaften kam es auch zu Fehlgeburten. Meine Frauen wurden immer schwächer, und ich hatte Angst, sie zu verlieren", gesteht er. Nachdem er feststellen konnte, dass der Eingriff sein Sexualleben nicht beeinträchtigte, empfahl Khosa die Vasektomie im Familien- und Freundeskreis ruhigen Gewissens weiter. (Ende/IPS/ck/jt/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2012