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INTERNATIONAL/106: Antidrogenpolitik in Portugal - Entkriminalisierung des Konsums bringt Erfolge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2012

Portugal: Pionier im Kampf gegen Drogen - Entkriminalisierung des Konsums bringt Erfolge

von Mario Queiroz


Keine Angst mehr vor der Polizei - Bild: © Mario Queiroz/IPS

Keine Angst mehr vor der Polizei
Bild: © Mario Queiroz/IPS

Lissabon, 2. August (IPS) - Portugal gehörte lange zu den europäischen Ländern mit einem vergleichsweise kleinen Drogenproblem. Das sollte sich in den 1980er und 1990er Jahren ändern. Damals stieg die Nachfrage nach harten Drogen, vor allem Heroin. 2001 erließ die Regierung schließlich ein Gesetz, das den Drogenmissbrauch entkriminalisierte. Das Ergebnis: In dem konservativen katholischen Land ist der Konsum rückläufig.

Der Anteil der Heroinabhängigen der Altersgruppe der 16- bis 18-Jährigen hat sich von 1999 bis 2005 von 2,5 auf 1,8 Prozent fast halbiert, wie eine vom US-amerikanischen 'Cato Institute' herausgegebene Untersuchung 'Drug Decriminalization in Portugal; Lessons for Creating Fair and Successful Drug Policies' (Die Entkriminalisierung des Drogenkonsums - Lehren für den Entwurf einer fairen und erfolgreichen Drogenpolitik) von 2009 bestätigte.

Auch konnte in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen ein Rückgang der Nachfrage nach anderen Rauschmitteln festgestellt werden: von 10,8 auf 8,6 Prozent zwischen 2001 und 2007; wie zwei große Umfragen zum Thema bestätigen.

"Die Entkriminalisierung des Drogenkonsums ist Teil eines auf Prävention, Behandlung und soziale Integration abzielenden Maßnahmenkatalogs, der auf die Verringerung von Angebot und Nachfrage nach Drogen abzielt", meinte der Arzt João Augusto Castel-Branco Goulão, der Architekt der Reform und Vorsitzender des Instituts für Drogen und Rauschmittelabhängigkeit.


Auch Aidsinfektionsrate rückläufig

Die Fortschritte lassen sich besonders gut an dem Rückgang der durch unsauberes Drogenbesteck übertragenen Immunschwächekrankheit HIV/Aids erkennen. Im Jahr 2000 waren nicht sterile Spritzen für 52 Prozent aller Neuinfektionen verantwortlich. Neun Jahre später waren es nur noch 16 Prozent.

Diese Entwicklung ist Experten zufolge der Schadensbegrenzungspolitik durch die Bereitstellung von destilliertem Wasser, sauberen Nadeln, Verbandsmull und Kondomen zu verdanken. "Portugal hat der Welt ein gutes Beispiel gegeben, wie eine nationale Drogenpolitik zum Wohl Aller wirken kann", meinte Kasia Malinowska-Sempruch, Leiterin des Globalen Drogenprogramms der 'Open Society Foundations' im Vorwort einer im Juni 2011 veröffentlichen Untersuchung.

Die Drogenreform hat den Konsum nicht legalisiert, sondern nur dafür gesorgt, dass er als nicht länger als strafrechtliches Vergehen mit Haftstrafen und einem Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis geahndet wird. Der Drogenkonsum für den Eigenbedarf ist kaum mehr als eine Ordnungswidrigkeit, für die die Verwaltungsgerichte zuständig sind, die Sanktionen verhängen und im Sinne der Gesundheit der Drogenkonsumenten entscheiden.

"Strafmaßnahmen, und wenn sie noch so hart ausfallen, werden den Drogenkonsum nicht reduzieren", hatte der ehemalige Staatspräsident Brasiliens, Fernando Henrique Cardoso (1995-2003), bei einem Lissabon-Besuch 2011 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der 'Global Commission on Drug Policy' erklärt. Der portugiesische Weg sei aufgrund seines innovativen Ansatzes, seiner Reichweite und der Beschaffenheit der nationalen Politik eines traditionell konservativen Landes auf jeden Fall zu begrüßen.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte das Lob des Cato Institute, die portugiesische Drogenpolitik sei ein "strahlender Erfolg", dazu geführt, dass die von dem südeuropäischen Land praktizierten Maßnahmen immer mehr internationale Anerkennung fanden. Denn der bisherige Krieg gegen die Drogen gilt als gescheitert.


Raus aus dem Untergrund

Seit Abhängige keine Angst mehr haben müssen, wegen Rauschgiftbesitzes vor Gericht zu kommen, nutzen sie die Angebote, die ihnen im Zuge der gleichen Rechtsreform in staatlichen und privaten Institutionen offenstehen.

Die Privatklinik Creta, eine restaurierte Villa im Landkreis Cascáis in der Nähe der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, ist eine bekannte Anlaufstelle für Drogenabhängige, die clean werden sollen. Die Erfolgsquote sei hoch, bestätigt die therapeutische Leiterin, Claudia Santos. Zwei Wochen werden die Patienten in der Klinik festgehalten. Dann dürfen sie nach Hause. Allerdings werden sie bis zu neun Monaten nachtherapiert. Bei 60 bis 70 Prozent der Patienten sei auch ein Jahr nach der Therapie kein Rückfall in die Drogensucht erfolgt.

Creta arbeitet nicht nach dem Substitutionsprinzip. Methadonprogramme haben die Ärzte somit nicht im Angebot. "Wir setzen auf komplette Abstinenz", meint die Psychologin Santos. Außerdem werden arbeitslose Patienten zur Teilnahme an Fortbildungskursen ermuntert. "Dieser Mix aus Einzeltherapie, Kontrolle und Gruppentreffen hat sich als Erfolg herausgestellt. Den Patienten wird nicht das Gefühl vermittelt, dass sie nach der Kur ins Leben zurückgeworfen werden."

Doch nicht alle Drogenabhängigen schaffen den Sprung in die Drogenunabhängigkeit. In Bairro Alto, dem Künstlerviertel im Zentrum von Lissabon, und im Stadtteil Casal Ventoso, seit einem Jahrzehnt der größte Drogensupermarkt Europas unter freiem Himmel, taumeln Heroinabhängige durch die Straßen. Die Wirtschaftskrise könnte ihre Reihen wieder füllen.


Neuzugänge durch Wirtschaftskrise

Carlos ist gelernter Automechaniker. Zehn Jahre lang hatte er die Finger vom Kokain gelassen. Dann kam die Krise, und er wurde, wie viele andere auch, entlassen. Er fiel in ein tiefes Loch, und als Depressionen und Schlaflosigkeit immer schlimmer wurden, trieb es ihn wieder nach Casal Ventoso. "Was kann ich schon verlieren? Im Grunde nur noch mein Leben, denn alles andere - Freunde, Heim, Familie und Geld - ist schon futsch." Wie er im Gespräch mit IPS erklärte, ist seine Arbeitslosenhilfe komplett für den Kauf von Drogen draufgegangen.

Da gibt es noch seinen alten Freund Agostinho, den er jahrelang gemieden hatte, aus Angst, rückfällig zu werden. Agostinho hatte vor zehn Jahren versucht, mit Hilfe eines Methadonprogramms von seiner Drogensucht loszukommen. Ganze sechs Monate habe er durchgehalten, sagte er.

Er verdient sich ein kleines Trinkgeld, indem er Autofahrern einen Parkplatz sucht. "Ich nehme jede Droge, die ich zu einem guten Preis bekommen kann", sagt er. Zum Essen geht er nach Hause zu seiner Mutter, einer Witwe. "Warum soll ich lügen. Manchmal nehme ich mir halt ein bisschen Geld. Sie weiß und akzeptiert das. Ich bin schließlich der Einzige, der ihr im Leben geblieben ist." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.cato.org/pubs/wtpapers/greenwald_whitepaper.pdf
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101293

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IPS-Tagesdienst vom 2. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012