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INTERNATIONAL/134: Pakistan - Geld von Arbeitsmigranten hilft Familien in Taliban-Gebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Dezember 2012

Pakistan: Geld von Arbeitsmigranten hilft Familien in Taliban-Gebieten auf die Füße

von Ashfaq Yusufzai


Gewalt von Extremisten im Norden Pakistans zwingt Menschen in die Flucht - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Gewalt von Extremisten im Norden Pakistans zwingt Menschen in die Flucht
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peschawar, 20. Dezember (IPS) - Sherdil Shah betrieb in Süd-Wasiristan im Norden Pakistans eine Samenhandlung, die seine zehnköpfige Familie lange Zeit gut ernährte. Bei einem Armeeeinsatz gegen die radikal-islamistischen Taliban wurde sein Geschäft jedoch 2006 zerstört. Auch das Land, auf dem das Korn wuchs, wurde verwüstet.

In den an Afghanistan angrenzenden Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) haben viele Menschen ihre Existenzgrundlagen verloren. Shah war gezwungen, seinen Besitz für einen Bruchteil des Wertes zu verkaufen. In einem Akt der Verzweiflung schickte er schließlich seine Söhne zum Arbeiten ins Ausland. Diese Entscheidung hat sich als klug erwiesen.

Beide Söhne arbeiten inzwischen in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und schicken jeden Monat 1.500 Dollar nach Hause. Davon kann die ganze Familie bequem leben. Nach fünf Jahren Unterstützung konnte sich Shah ein Haus in dem angrenzenden Bezirk Dera Ismail Khan kaufen und wieder ein Geschäft eröffnen.

Die seit Jahrzehnten andauernde Gewalt in der FATA-Grenzregion hat die meisten der etwa 5,5 Millionen Einwohner getroffen. Die Lage verschärfte sich, nachdem 2001 die US-geführten Truppen die Taliban-Regierung in Afghanistan stürzten. Die selbsternannten Gotteskrieger gingen daraufhin über die Grenze nach Pakistan und schafften sich dort Rückzugsgebiete entlang der 2.400 Kilometer langen gemeinsamen Grenze.


Kampf gegen Taliban in Pakistan 2005 verschärft

In den FATA breiteten sich rasch Taliban-Zellen aus. Als Pakistan Bedeutung als 'Frontstaat' in dem von den USA geführten 'Krieg gegen den Terror' erlangte, drangen 2005 Soldaten in den FATA vor, um die Taliban in einer großangelegten Offensive zu vernichten. Die Militäraktion, gegen die sich die Extremisten zur Wehr setzten, machte es den Bewohnern der Region unmöglich, ihr bisheriges Leben weiterzuführen.

Erst Jahre später sehen Menschen wie Shah endlich besseren Zeiten entgegen. Das Geld, das junge Arbeitsmigranten ihren Familien aus dem Ausland überweisen, nimmt den Zurückgebliebenen einen Teil der finanziellen Bürde ab, die die Umtriebe der Extremisten verursachen.

Usman Wali stammt aus dem Verwaltungsbezirk Orakzai-Age, wo die Gewalt nicht abreißt. Das Leben war dort schwer, weil die meisten Familien wegen der von der Armee angeordneten Ausgangssperren kaum ihre Häuser verlassen konnten. "Wir haben alles verloren, was wir besaßen", erzählt Wali. Selbst die Beschaffung der nötigsten Dinge des Alltags war ein täglicher Kampf. Die Menschen in der Region haben nur wenig Geld und sind auch nicht mobil.

"Eines Tages beschlossen wir, unser angestammtes Dorf zu verlassen und um Aufnahme in eines der von der Regierung eingerichteten Lager in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa zu bitten", berichtet Wali. Der Alltag in dem Camp erwies sich aber als Hölle auf Erden. Die Familie mit 13 Mitgliedern sah bald keine andere Möglichkeit, als auch von dort fortzugehen.

"Ein Arbeitsvermittler hat dann meine beiden Söhne und einen Bruder nach Saudi-Arabien gebracht. Das hat unser Leben verändert." Mit Hilfe der Geldüberweisungen seiner Familie zog Wali kürzlich in den benachbarten Distrikt Hangu, wo er inzwischen ein gut gehendes Textilgeschäft betreibt und sich ein Haus kaufen konnte.

Auch der Tagelöhner Ghaffar Khan aus dem Unruhegebiet Mohmand profitiert von den Auslandsinvestitionen. "2005 verdiente ich etwa fünf Dollar am Tag, inzwischen ist mein Einkommen auf mehr als 120 Dollar gestiegen", sagt der Arbeiter, der einen Job in Sharjah, dem drittgrößten Emirat der VAE angenommen hat. Als er in seinem Urlaub die alte Heimat besuchte, sah er, dass sein Haus in Mohmand noch stand. Seine Familie war in den nahegelegenen Bezirk Charssada gezogen, nachdem sich die Sicherheitslage vor Ort stark verschlechtert hatte.

Khan verbringt jedes Jahr einen Monat mit seiner Familie in Pakistan. Abu Zar, ein Beamter in den FATA, meint dazu, dass die Militarisierung der Region viele Menschen ins Elend gestürzt habe, aber eine Migrationswelle in Richtung der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Oman eingesetzt hätte. Die Menschen in den FATA bekämen dadurch die Chance, wieder auf ihre Füße zu kommen.


400.000 Arbeitsmigranten aus den FATA

"Derzeit leben und arbeiten mehr als 400.000 Einwohner der FATA im Ausland", sagt Zar. 2005 seien es dagegen noch weniger als 100.000 gewesen. Vor allem jüngere Menschen seien in Scharen abgewandert, um der anhaltenden Gewalt zu entgehen und neue Berufsperspektiven zu finden.

Laut Akhunzada Mohammad Chittan, einem Parlamentarier aus dem Gebiet Bajaur, haben Immigranten aus den FATA den Ruf, besonders hart zu arbeiten. Sobald sie im Ausland angekommen seien, könnten sie viel verdienen, weil sie ehrlich und engagiert seien.

Rund 95 Prozent der FATA-Bewohner, die derzeit im Ausland tätig sind, haben eine gute Ausbildung erhalten. Obwohl ihnen anfangs die nötigen Kenntnisse fehlten, haben sie bald sehr gute Leistungen erbracht, wie Chittan erklärt. "Ich kenne mindestens 500 Personen, die Autofahren, Schneidern oder Schreinern gelernt hatten, bevor sie ins Ausland gingen."

Nach Angaben von Adnan Ali, Manager einer in Peshawar ansässigen Auslandsarbeitsvermittlung, nimmt in der Golfregion die Nachfrage nach Arbeitskräften aus den FATA weiter zu. "Allein im November schickten wir hundert junge Männer aus unterschiedlichen FATA-Gebieten in die VAE und nach Katar. Alle waren sehr glücklich." (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2012