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INTERNATIONAL/139: Japan - Schwieriger Wiederaufbau, doch die Hilfsbereitschaft ist groß (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Februar 2013

Japan: Schwieriger Wiederaufbau - Doch die Hilfsbereitschaft ist groß

von Daan Bauwens


Bild: © Daan Bauwens/IPS

Vorbereitungen für den Wiederaufbau in Minamisanriku
Bild: © Daan Bauwens/IPS

Tokio, 5. Februar (IPS) - Die Spendenbereitschaft nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami in Japan vor zwei Jahren lässt allmählich nach. In weiten Teilen des zerstörten Nordostens hat der Wiederaufbau aber noch nicht einmal begonnen. Doch immer mehr jüngere Leute ziehen in die Region, um freiwillig Unterstützung zu leisten.

Es ist sechs Uhr morgens. Ein Bus hält auf der kargen Ebene, wo sich früher die Küstenstadt Minamisanriku befand. Zwei Metallkonstruktionen lassen erahnen, dass hier einmal sehr große Gebäude standen. Ansonsten deutet nichts auf die einstige Präsenz von Menschen hin.

20 Studenten aus Tokio steigen aus dem Bus und machen sich ein Bild von der Lage am Ort. Eine Stunde später treffen sie eine andere Gruppe freiwilliger Helfer. Gemeinsam beginnen sie den gefrorenen Boden aufzuhacken, um den Schutt zu entfernen, den eine gigantische Schlammwelle 2011 angespült hatte.

Unter den Helfern ist Akinori Fujisawa, der Vizepräsident des Hilfsprojekts der Tokioter Universität (UT Aid), das Studenten zu Freiwilligeneinsätzen an Wochenenden in den Nordosten des Landes bringt. "Kurz nach dem Tsunami wollten alle Japaner kommen und helfen. Viele waren dazu aber nicht in der Lage. Studenten hatten dafür zwar Zeit, aber nicht genug Geld, während Berufstätige Geld aber keine Zeit hatten", berichtet er. "Wir haben dann mit finanzieller Unterstützung von Einzelpersonen und Unternehmen angefangen, Wochenendfahrten hierhin zu organisieren."

Nicht nur Studenten sind im Einsatz. "Wir kommen an jedem Wochenende mit Freunden hierher", sagt Machiko Ogata. "Wir treffen uns in Tokio und fahren gemeinsam los. Wir haben uns auf einer der Baustellen getroffen. Es ist ein soziales Happening."


Projekte für Schüler geplant

Doch mit solchen Initiativen könnte es aber bald vorbei sein. "Es werden keine Leute mehr gebraucht, die schippen und graben", sagt Akinori. "Wir würden gern mit neuen Projekten beginnen und beispielsweise die Lernbedingungen für Kinder in dem Gebiet verbessern. Momentan erledigen die meisten ihre Hausaufgaben auf der Straße. Mit unserem aktuellen Budget können wir allerdings nichts daran ändern."

Akinori beklagt, dass die Suche nach finanzieller Unterstützung immer schwieriger wird. "Die Leute gehen fälschlicherweise davon aus, dass der Wiederaufbau beendet ist. Dabei kann man deutlich sehen, dass dies nicht der Fall ist. Viel können wir nicht tun, und in zwei Monaten wird unsere Organisation ihre Arbeit vollständig einstellen."

Während Graswurzel-Projekte wie UT Aid die Region verlassen, kommen andere, wie eine Gruppe junger Aktivisten vom Zentrum 'Entrepreneurial Training for Innovative Communities' (ETIC) in Tokio. Dort werden Jungunternehmer ausgebildet, die im Bereich 'Social Business' tätig werden wollen. Nach dem Tsunami hat die Organisation ein Fellowship-Programm aufgelegt, das Freiwillige zum Wiederaufbau in die Katastrophenregion bringt.

"Wir haben bereits mehr als 135 Personen in das Gebiet geschickt", sagt Yoshi Koumei Ishikawa, ein Manager bei ETIC. "Die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Fast alle haben ihre Stellen bei großen japanischen Unternehmen gekündigt, um ihr eigenes soziales Projekt zu starten."

Weitere erfolgreiche japanische Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben inzwischen Ähnliches getan und sind in der Region Tohoku aktiv geworden. Die von Kumi Imamura geleitete NGO 'Katariba' hat schon drei Schulen für mehr als 300 Kinder bauen lassen, um ihnen mehr Platz zum Lernen zu geben. Denn die Übergangswohnungen der Tsunami-Überlebenden sind eng.

"Bewohner des Gebietes werden als Lehrer eingesetzt und übernehmen bald die Organisation des Programms", sagt Retz Fujisawa, der fast die gesamte Arbeit der NGOs in Tohoku koordiniert. "Die erste Phase der Hilfsleistungen ist vorbei. Wir wollen nun erreichen, dass die Menschen am Ort den Wiederaufbau selbst in die Hand nehmen."

Gemeinsam mit dem 'Tohoku Earthquake Consulting Team' aus Tokio koordiniert Fujisawa die Projekte der unabhängigen Organisationen. Der 37-Jährige ist außerdem Mitglied der staatlichen Agentur für Wiederaufbau und des Rats für den Wiederaufbau des Bildungswesens.


Überalterte Gesellschaft hemmte Entwicklung bereits vor Tsunami

"Tohoku ist zerstört worden, die Schäden waren enorm", sagt er. "Doch auch ohne den Tsunami wäre die Region auf eine Katastrophe zugesteuert. Die wirtschaftliche Lage war sehr schlecht, vor allem deshalb, weil die Bevölkerung immer älter wurde und alle jüngeren Bewohner nach Tokio gingen. Wenn wir die Region jetzt wiederaufbauen wollen, müssen wir die Chance nutzen, eine solche Entwicklung in der Zukunft zu verhindern. "

Nach Ansicht von Fujisawa ist Tohoku ein Versuchsballon für ganz Asien. "Wir leiden darunter, dass sich alle Ressourcen, Kapital und Bildung in den großen Städten konzentrieren. Das übrige Land wird vergessen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, eine ganze Region neu zu organisieren und die Ressourcen umzuverteilen."

Als weiteres Zeichen für eine Veränderung sieht der Projektkoordinator die Tatsache, dass er als erster NGO-Leiter eingeladen wurde, für die Regierung zu arbeiten. "Zum ersten Mal kommen politische Ideen von jungen Menschen, die sich unterhalb der Entscheidungsebene befinden." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.etic.or.jp/english/outline.html
http://www.ipsnews.net/2013/02/starting-tsunami-reconstruction-now/

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IPS-Tagesdienst vom 5. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2013