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INTERNATIONAL/155: Armut sinkt, Ungleichheit steigt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. September 2013

Entwicklung: Armut sinkt, Ungleichheit steigt

von Thalif Deen


Bild: © Dharmendra Yadav/IPS

Frauen auf einer Müllkippe in Neu-Delhi auf der Suche nach wiederverwertbaren Stoffen
Bild: © Dharmendra Yadav/IPS

New York, 26. September (IPS) - Während die 193 Staats- und Regierungschefs vor der UN-Vollversammlung Bilanz über ihre Bemühungen zogen, den UN-Entwicklungszielen (MDGs) zum Durchbruch zu verhelfen, erklärten die Vereinten Nationen das MDG Nummer eins, die Halbierung von Hunger und extremer Armut, für erreicht. Doch die zunehmende Ungleichheit und die Folgen der Finanzkrise könnten die bisherigen Fortschritte wieder zunichtemachen.

Die Zahl der Erdenbürger, die mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen müssen, ist nach neuesten Berechnungen der Weltorganisation, die am 25. September präsentiert worden sind, von 47 Prozent 1990 auf 22 Prozent 2010 gesunken. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass 700 Millionen Menschen - vorwiegend Inder, Chinesen und Brasilianer - der absoluten Armut entkommen konnten. Die schlechte Nachricht lautet jedoch: Noch immer sind 1,2 Milliarden Menschen in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik Hunger und Elend ausgesetzt.

Die Armutsbekämpfung hat zum Aufstieg einer neuen Mittelschicht geführt. Gleichzeitig und möglicherweise als unbeabsichtigte Folge taten die Menschen ihre soziale Unzufriedenheit in Ländern wie Brasilien, China, Indien, der Türkei, Ägypten und Tunesien in Massenprotesten kund. Experten befürchten, dass die weltweite Finanzkrise, die mit Währungsverfall und Exportrückgängen einhergeht, die weiteren Bemühungen um eine Ausrottung der Armut im Keim ersticken wird.

Wie Martin Khor vom 'South Centre', einer Denkfabrik mit Sitz in Genf, erklärt, sind die Armutsbekämpfungserfolge im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf außergewöhnliche globale Faktoren zurückzuführen. Es sei aber unwahrscheinlich, dass sie sich weiter fortsetzen würden.


Staaten erneuern Verpflichtung zur Umsetzung der MDGs

In einer ebenfalls am 25. September herausgegebenen Erklärung bekräftigten die in New York versammelten Staats- und Regierungschefs ihre Bereitschaft, die bis zum Ablauf der MDG-Frist verbleibenden 850 Tage zu nutzen, um die Bemühungen für eine Umsetzung der Ziele zu intensivieren.

Die MDGs, die im Anschluss an den New Yorker UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 formuliert wurden, sehen neben der Halbierung von Armut und Hunger Grundschulbildung für alle, die Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frau, die Senkung der Kindersterblichkeit sowie die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Müttern vor. Gleichzeitig sollen schwere Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria bekämpft, die ökologische Nachhaltigkeit erhöht und eine globale Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und des Südens aufgebaut werden.

Die politischen Entscheidungsträger seien sich der Lücken und Unebenheiten bei der Umsetzung der einzelnen MDGs bewusst. "Wir sind fest entschlossen, die Verpflichtung zur Ausrottung der Armut und nachhaltigen Entwicklung auf die 2015 ablaufende Post-Entwicklungsagenda zu setzen", heißt es in dem Dokument.

Die Entwicklungsländer konnten in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Anstieg ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) verzeichnen, was nicht zuletzt auf den Anstieg der Rohstoffexporte zurückgeführt wird. Dass sich die Länder besonders schnell von der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 erholen konnten, führt Khor auf die konjunkturbelebenden Maßnahmen der reichen Staaten zurück. "Der Norden steckt aber in Schwierigkeiten. Er hat sich einen Sparkurs auferlegt, und auch die lockere US-Geldvergabepolitik wird auf kurz oder lang zurückgefahren."

Entwicklungsländer müssten mit einem Rückgang ihrer Exporte, mit geringeren Rohstoffpreisen und -einnahmen sowie mit Kapitalabflüssen rechnen, warnt Khor, ein ehemaliger Direktor des 'Third World Network' im malaysischen Penang. In den nächsten Jahren müsse mit einer Verlangsamung der Wirtschaft und Rezession in einigen Ländern gerechnet werden, was sich wiederum negativ auf Arbeitsplätze und Einkommen niederschlagen und zum Anstieg der Armut führen werde. "Das geschieht bereits in Griechenland und könnte auch einigen anderen Entwicklungsländern zustoßen."

Laut Winnie Byanyima, Exekutivdirektorin der Hilfsorganisation 'Oxfam International', haben sich die MDGs in den zurückliegenden Jahren als wichtige Instrumente der Entwicklungsförderung erwiesen. Allerdings seien die Fortschritte in Ländern mit langjährigen Konflikten und einem ungleichen Wachstum minimal oder vollständig ausgeblieben. Auch sie warnt: "Die weltweite Armut geht zwar zurück, aber ein Land nach dem anderen erlebt eine Verschärfung der sozialen Ungleichheit."


"Bekämpfung der Ungleichheit muss eigenständiges Nachhaltigkeitsziel werden"

Das Wirtschaftswachstum gehe an Milliarden Menschen vorbei, sagte Byanyima. Diese Entwicklung gefährde den sozialen Frieden und somit auch jedes weitere Wachstum. "Solche Herausforderungen gilt es künftig dringend zu meistern." Ohne eine Verringerung der Kluft zwischen Reich und Arm werden sich die Nachhaltigkeitsziele, die sich an die MDGs anschließen werden, nicht erreichen lassen. Die Oxfam-Chefin fordert die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit in den Stand eines eigenständigen Nachhaltigkeitsziels zu erheben.

Sameer Dossani kritisiert, dass sich der globale Reichtum in der Hand weniger Menschen konzentriert und nicht die Basis erreicht. Als eine Maßnahme, um hier Abhilfe zu schaffen, empfiehlt er eine internationale Steuerreform. "Wir gehen derzeit davon aus, dass 300 Milliarden Dollar Steuereinnahmen für Entwicklungszwecke aufgrund einer Kombination aus Körperschaftssteueranreizen und -hinterziehung verloren gehen."

Auf Länderebene könnten Staaten als Selbstschutzmaßnahme über die Aufgabe von Liberalisierungsmaßnahmen nachdenken, die ihnen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und von anderen Finanzinstitutionen auferlegt wurden. Auf globaler Ebene könnte die Weltgemeinschaft über ein globales Währungssystem zugunsten einer geringeren Abhängigkeit vom US-Dollar nachdenken und somit zu einer größeren Stabilität des internationalen Finanzsystems beitragen, meint Dossani. Bisher würden diese fundamentalen Fragen nur vage gestreift, kritisiert der Experte. "Doch werden sich diese Probleme nicht länger unter den Teppich kehren lassen." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.southcentre.org/
http://www.actionaid.org/
http://www.ipsnews.net/2013/09/poverty-declines-as-inequality-deepens/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013