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INTERNATIONAL/161: Die Farbe der Schönheit (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 124, 2/13

Die Farbe der Schönheit
Skin Bleaching/Lightening in Jamaika

Von Nadja Babalola



Schönheitsideale variieren von Land zu Land, In jeder Kultur gibt es Vorbilder, denen die Menschen nacheifern. Man findet dieses Verhalten bei beiden Geschlechtern, zum größten Teil sind es jedoch Frauen, die in diesem Anpassungsprozess Akzeptanz und das Gefühl der Zugehörigkeit erreichen wollen. Wie stark sich Menschen an die jeweiligen Schönheitsideale anpassen, ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Im Folgenden geht es um ein weitverbreitetes Schönheitsideal in Jamaika, dem Skin Bleaching, bei dem durch chemische Eingriffe die Haut künstlich "aufgehellt" wird.


Die Geister der Vergangenheit

Skin Bleaching darf nicht nur als vorübergehende Modeerscheinung interpretiert werden. Vielmehr ist es notwendig, dieses Phänomen in seinem historischen und sozialen Kontext zu betrachten. Es entstand nicht erst im 20. oder 21. Jahrhundert, sondern geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Im Elisabethanischen Zeitalter versuchten auch europäische Frauen mit Hilfe von powder and paint dem Schönheitsideal "Weiß" zu entsprechen. Weiß stand für Sauberkeit und "moralische" Reinheit - ein Denkmuster, das seinen Ursprung im Christentum hat, in dem das Gute stets Weiß, das Schlechte Schwarz dargestellt wurde. Dieses Weltbild vermittelten die Kolonisator_innen auch den von ihnen abhängigen Sklav_innen.

Der Kolonialismus legte die Basis für eurozentrische Werte und Normen. Das zeigte sich nicht nur in Esskultur, Mode und Sprache, sondern auch in den Vorstellungen von Schönheit. Daran änderte auch die endgültige Abschaffung der Sklaverei 1838 in Jamaika nur wenig. In diesem Zeitraum ist allerdings auch ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Samuel Sharp und Marcus Garvey bestärkten die Schwarze Bevölkerung Jamaikas darin, stolz auf ihre afrikanischen Wurzeln zu sein und kulturelle Identität jenseits des westlichen Normgefüges zu entwickeln. Diese Haltung fand ihren relativ späten Ausdruck in der Glaubensrichtung des Rastafarismus in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Wenn auch der Rastafarismus heute noch in Teilen der jamaikanischen Bevölkerung lebendig ist, kann dennoch von einem "Triumph" der black identity nicht die Rede sein. Vielmehr scheint die rassistisch geprägte Kolonialgesellschaft einen weiten Schatten bis in die heutige Zeit hinein zu werfen. Die Kolonialgesellschaft teilte die Menschen nach ihrer Hautfarbe ein und wies ihnen ganz bestimmte Positionen zu. Der Weiße master symbolisierte Macht und Überlegenheit, der Schwarze slave oder servant war das Gegenbild, gekennzeichnet durch körperliche Arbeit und Abhängigkeit. Aber in diesem System gab es auch Differenzierungen nach dem Grad der Dunkelhäutigkeit. Die mulatto woman (Kind eines Weißen Mannes und einer Schwarzen Frau) stand in der rassistischen Hierarchie über dunkelhäutigeren Männern und Frauen. Sie kam auch dem europäischen Schönheitsideal näher. Sie hatte bessere Chancen, sich in der Kreolgesellschaft zu etablieren, wenn sie auch von politischer Partizipation ausgeschlossen war. Ein derartiger gesellschaftlicher Aufstieg war Schwarzen Männern und Frauen verwehrt. Mulatto men spielen in der Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle, da es in der Kolonialzeit in Jamaika nur wenige Weiße Frauen gab. Diese waren zudem sehr von ihren Ehemännern kontrolliert, so dass es kaum zu Verbindungen wie unter Weißen Männern und Schwarzen Frauen kam.

Noch heute ist die mulatto woman oder browning, wie sie im jamaikanischen Volksmund genannt wird, ein "Objekt der Begierde". Frauen mit etwas hellerer Hautfarbe haben größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und werden auch als potenzielle Ehepartnerinnen bevorzugt. In der gesellschaftlichen Praxis ist das gleichbedeutend mit Diskriminierung dunklerer Frauen. "Black uman dem' are wicke" (Schwarze Frauen sind falsch): eine Meinung, die weit verbreitet ist, vor allem in der unteren Schicht Jamaikas. Dabei spielt es wenig oder keine Rolle, dass die eigene Mutter zu diesen "black uman" (Schwarzen Frauen) gehört. Jamaika ist zwar mittlerweile eine Klassengesellschaft, allerdings ist die Hautfarbe oder der Grad der Dunkelhäutigkeit ein entscheidender Marker in der Gesellschaft, vor allem für Frauen. Mit dem Skin Bleaching versuchten Menschen der alltäglichen Diskriminierung etwas entgegenzusetzen.


Perspektiven und Trends

Im Jahr 2013 angekommen, hat sich wenig verändert. Obwohl es heute immer noch mehr Frauen sind, die bleachen/lighten, tun sie dies aus allen Klassen, während seit den 199Oern auch Männer aus der unteren Schicht Jamaikas bleachen. Skin Bleaching ist daher kein rein weibliches Phänomen mehr. Sie folgen dem Dancehall Trend, in dem Männer enge, bunte Hosen tragen, ausgefallenen Schmuck und sich bleachen - wie der Vorreiter der Dancehall Szene Vybz Kartel, der das Bleachen "an den Mann" gebracht hat. In seinen Texten gesteht er offen, dass die Frauen auf "hübsche braune Jungs" stehen und du dir mit der cake soap, einer Bleichseife für Wäsche, die Haut hell rubbeln kannst. Viele Jamaikaner_innen nennen sie Bleach Boys, die man am Tag kaum sieht, und wenn, dann nur mit langen Ärmeln und Hosen und einem Schirm, da die Sonne eine ätzende Wirkung auf die angegriffene gebleichte Haut ausübt. Der eigentliche Bleaching-Vorgang geschieht mit äußerst fragwürdigen Mitteln, wie Zahnpasta, Bleichmittel, Currypuder usw. Wegen der gesundheitlichen Risiken sind von Politiker_ innen und an Schulen Anti-Bleaching-Kampagnen initiiert worden, die allerdings bei den betroffenen Personengruppen kaum ankamen bzw. zu keiner Verhaltensänderung führten.

Skin Bleaching muss auch unter schichtspezifischen Gesichtspunkten betrachtet werden. So ist es in Jamaika weitaus stärker unter jungen Männern der Unterschicht verbreitet als unter Männern der Mittel- und Oberschicht. Bildung und Einkommen machen Skin Bleaching bei den höheren Schichten entbehrlich.

Bei Frauen hingegen lässt sich Skin Bleaching unabhängig von der sozialen Schicht beobachten. Allerdings gibt es bei den Methoden Unterschiede. Frauen aus der Unterschicht mischen sich ihre "Zutaten" für das Bleaching selbst. Damit setzen sie sich einem verstärkten Gesundheitsrisiko aus. Wohlhabende Frauen suchen Dermatologen auf, geben größere Summen für die erhoffte Aufhellung (Lightening) aus und versuchen, das Skin Lightening wie andere kosmetische Verfahren zu verheimlichen. In der Wahrnehmung der jamaikanischen Bevölkerung ist Skin Bleaching heute vermutlich nichts anderes als die mittlerweile in vielen Gesellschaften üblichen Schönheitsoperationen. Eine andere Sicht scheint in weite Ferne gerückt.

Bob Marleys Textzeile "Emancipate yourselves from mental slavery!" ist heute aktueller denn je.


Zur Autorin:

Nadja Babalola (M.A. Atlantic Studies in History, Culture and Society) ist neun Monate lang durch Jamaika gereist, um für ihre Masterarbeit zu dem Thema Skin Bleaching/Lightening zu recherchieren. Im Rahmen ihrer Recherche hat sie Interviews mit praktizierenden Skin Bleachern, Experten und Ärzten geführt. Derzeit ist sie freie Journalistin in Hannover und Hamburg und arbeitet daran, ihr Thema zu verfilmen. Interessierte können sich gerne an sie wenden (über die Frauensolidarität kann der Kontakt hergestellt werden).


Lesetipps:

Gilman, Sander L. (1999): Making the Body Beautiful. A Cultural History of Aesthetic Surgery. Princeton, New Jersey: Princeton University Press

Terborg-Penn, Rosalyn, and Andrea Benton Rushing (1996): Women in Africa and the African Diaspora. A Reader. 2nd ed. Washington DC: Howard University Press

Webtipps:

Blay, Yaba Amgoborale, Skin Bleaching and Global White Supremacy:
www.academia.edu/602086/Skin_Bleaching_and_Global_White_Supremacy_By_Way_of_Introduction
[Zugriff: 10.04.2013]

Hope, Donna, Fashion Ova Style:
www.africaknowledgeproject.org/index.php/jenda/article/view/529
[Zugriff: 10.04.2013]

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 124, 2/2013, S. 24-25
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2013