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INTERNATIONAL/166: Indien - Proteste gegen Übergriffe auf Bevölkerung im Nordosten nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2014

Indien: Tödliche Diskriminierung - Proteste gegen Übergriffe auf Bevölkerung im Nordosten nehmen zu

von Bijoyeta Das


Bild: © Bijoyeta Das/IPS

Nido Taniam wurde bei einem rassistisch motivierten Angriff getötet
Bild: © Bijoyeta Das/IPS

Neu-Delhi, 26. März (IPS) - Kaum war Khino aus dem Nordosten Indiens in die Hauptstadt Neu-Delhi gezogen, wurde sie wegen ihrer asiatischen Gesichtszüge bedrängt. "Chinki, Chinki", riefen ihr Männer in einem Einkaufszentrum zu und begrabschten sie. "Wie viel nimmst Du für die Nacht?" Die 27-Jährige konnte sich der bedrohlichen Situation nur durch Flucht in eine U-Bahn entziehen.

Khino ist eine von vielen Tausend jungen Indern, die jedes Jahr aus acht Bundesstaaten im Nordosten des Subkontinents in Großstädte wie Neu-Delhi, Mumbai oder Pune ziehen, um sich fortzubilden oder einen besseren Job zu finden. Inzwischen arbeitet sie in der Satellitenstadt Gurgaon bei Delhi. "Irgendwann ist es genug", erklärt sie. "Jeden Tag werden wir abwertend als 'Chinki' bezeichnet, belästigt und angegriffen."

Menschenrechtsaktivisten und Studentengruppen berichten, dass Einwohner aus dem Nordosten in allen Teilen Indiens fürchterliche Erfahrungen machen. Sie werden verbal belästigt, physisch angegriffen und sexuell belästigt sowie von Vermietern und Arbeitgebern über den Tisch gezogen.


Sohn eines Parlamentariers im Streit getötet

Seit Jahren haben sich diese Übergriffe gehäuft und der Zorn der Betroffenen wurde immer größer. Der Tod von Nido Taniam, dem 19-jährigen Sohn eines Parlamentsabgeordneten aus dem nordöstlichen Bundesstaat Arunachal Pradesh, brachte das Fass zum Überlaufen. Taniam, der in Punjab studierte, war im Januar zu Besuch in Neu Delhi. Als sich dort ein Ladenbesitzer über sein blond gefärbtes Haar lustig machte, kam es zum Streit. Der junge Mann wurde schwer misshandelt und erlag am folgenden Tag seinen Verletzungen.

Taniams Tod löste größere Proteste in ganz Indien aus. Viele Menschen im Nordosten machen sich seitdem für ein Gesetz gegen Rassismus stark, dass abschrecken soll. Seit Februar gibt es das Nordostindische Forum gegen Rassismus (NEIFAR). "Auf lange Sicht brauchen wir ein umfassendes Gesetz gegen Rassismus, weil die meisten Inder, die Regierung eingeschlossen, die Existenz von Rassismus leugnen", sagt Forumssprecher Phurpa Tsering, ein Student aus Arunachal Pradesh, der die Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu-Delhi besucht.

Nach der jüngsten Welle von Attacken gegen Inder aus dem Nordosten mehren sich die Vorwürfe, dass die ferne, als konfliktbelastet betrachtete Region vom Rest Indiens ausgegrenzt und den Menschen aus diesem Teil des Landes mit Vorurteilen begegnet wird. So gelten Frauen als sexuell freizügig und Männer als drogenabhängige Taugenichtse und Aufrührer.

Etwa 86 Prozent der Inder aus dem Nordosten, die in Neu-Delhi leben, seien Diskriminierungen ausgesetzt, fand das 'North East Helpline and Support Centre' in der Hauptstadt bei Untersuchungen heraus. Die Gründerin des Zentrums, Alana Golmei, berichtet, dass monatlich 20 bis 30 Beschwerdeanrufe ankämen. Meistens gehe es darin um Angriffe oder ausbleibende Lohnzahlungen. Wenn Golmei mit Arbeitgebern und Vermietern verhandelt, wird sie oft als 'Außenseiterin' beschimpft. "Ein strenges Gesetz gegen Rassismus würde uns mehr Verhandlungsmacht geben."

Doch ein Gesetz allein wird die Diskrminierung wohl kaum beenden. 2012 hatte das Innenministerium eine Richtlinie erlassen, der zufolge jeder Bürger, der einen anderen aus dem Nordosten als 'chinki' bezeichnet, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Die Richtlinie nimmt Bezug auf ein Gesetz, das gesellschaftlich benachteiligte Kasten ('Scheduled Castes') und Ethnien ('Scheduled Tribes') schützen soll.

Golmei zufolge ist die Direktive wirkungslos geblieben und niemand wurde wegen diskriminierenden Verhaltens verurteilt. Viele Menschen im Nordosten fallen ohnehin nicht in diese Kategorien. Sanjoy Hazarika, Direktor des Zentrums für Nordost-Studien an der Jamia-Millia-Islamia-Universität in Neu-Delhi, fordert eine Überarbeitung des Gesetzes. Allerdings sei es schwierig, neue Gesetze zu entwerfen und durchzusetzen, räumt er ein.


UN-Rassendiskriminierungskonvention nicht beachtet

1967 hatte Indien die UN-Rassendiskriminierungskonvention unterzeichnet. Die Psychologin Senti Longchar vom Lady-Shri-Ram-College in Neu-Delhi weist jedoch auf eine Infografik der 'Washington Post' hin, aus der hervorgeht, dass Indien und Jordanien die rassistischsten Länder der Welt sind.

"Rassistisch motivierte Hassverbrechen sind nur ein Teil des Spektrums der Diskriminierungen, mit denen Menschen aus dem Nordosten konfrontiert sind", sagt Kadambari Gladding von 'Amnesty International'. Ihnen würden zudem Waren und Dienstleistungen vorenthalten. "Nicht-Diskriminierung ist kein Zugeständnis, sondern ein Recht."

NEIFAR plädiert nicht für ein gesamtindisches Gesetz, sondern für eines zugunsten der Menschen im Nordosten, das vor rassistischen Übergriffen auf Mitglieder der asiatisch aussehenden Bevölkerungsgruppe abschreckt. Dazu untersucht das Forum auf der Suche nach einem geeigneten Modell ähnliche Gesetze, die bereits in anderen Ländern wie Bolivien gelten. "Jede rassistische Äußerung", so Id Gil, ein Forumsmitarbeiter, "hat das Potenzial, jemanden zu töten, wie wir im Fall Nido gesehen haben." (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/03/anger-rises-racist-india/

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IPS-Tagesdienst vom 26. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2014