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INTERNATIONAL/185: Kuba - Wachsende Ungleichheit trotz Reformen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2014

Kuba:
Wachsende Ungleichheit trotz Reformen

von Patricia Grogg


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Der 'Mercado Amistad', eines der Geschäfte in Havanna, die ausschließlich Devisen akzeptieren
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 17. Dezember (IPS) - Als die kubanische Regierung von Staatspräsident Raúl Castro im Frühjahr 2011 eine Reihe von Wirtschaftsreformen einführte, ging es ihr auch darum, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Seit mehr als 20 Jahren leidet das Land unter einer Rezession, die das Ziel der wirtschaftlichen und sozialen Gleichzeit unterminiert.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion, dem wichtigsten Verbündeten und Handelspartner Kubas, Anfang der 1990er Jahre hat die Ungleichheit in dem karibischen Inselstaat verschärft. Die 'besondere Phase' - die euphemistische Bezeichnung der langen Rezession - habe dem Gleichheitsprinzip sogar in moralischer Hinsicht geschadet, meint dazu der Wirtschaftswissenschaftler Esteban Morales.

Um der Rezession der 1990er Jahre entgegenzusteuern, öffnete Castros Amtsvorgänger Fidel (1959-2008) Kuba für ausländische Investoren, förderte den Tourismus, legalisierte den US-Dollar und richtete die sogenannten 'ausländischen Geschäfte zur Abschöpfung von Devisen' (Tiendas de Recuperación de Divisas - TRD) ein.

Für María Caridad González ist die Lage auf Kuba vergleichsweise erträglich. Wie sie gegenüber IPS erklärt, zeichnet sich die kubanische Gesellschaft nach wie vor durch ein hohes Maß an Inklusion aus. "Davon profitiert auch mein zehnjähriger Sohn. Er weiß genau, dass er in der Schule aufpassen und sich zur Fachkraft ausbilden lassen muss, um im Leben voranzukommen", meint sie mit Blick auf zwei der großen Errungenschaften der Kubanischen Revolution von 1959: dem kostenlosen Zugang zu Gesundheit und Bildung.


"Was fehlt, ist das Geld, um sich Dinge kaufen zu können"

González, die einer kleinbäuerlichen Familie entstammt, kam Mitte der 1990er Jahre nach Havanna. "Die Anfangszeit war ganz schön hart", berichtet sie. "Es fehlte an allem, doch ich bin geblieben und habe später geheiratet. Inzwischen gibt es viele Geschäfte und Bauernmärkte. Was fehlt, ist das Geld, um sich Dinge kaufen zu können", meint die 36-Jährige, die für eine Reinigungsfirma arbeitet, die sich zum Teil in ausländischer Hand befindet.

Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Ein Bauernmarkt in der Vapor-Straße in der Altstadt von Havanna
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Sie putzt zudem in Privathaushalten und verdient dadurch 80 CUC beziehungsweise 1.920 Peso monatlich dazu. Die Parallelwährung CUC entspricht dem US-Dollar. Von González' Einkommen konnte die ganze Familie leben, als ihr Mann, ein Koch, monatelang arbeitslos war.

Doch gibt es viele Kubaner, die schlechter dran sind als sie. Dazu gehört auch González' Nachbarin, eine Grundschullehrerin, die mit monatlich 750 Peso klarkommen muss. Sie sieht keine Möglichkeit, in den Genuss ausländischer Devisen wie den Dollar zu kommen, wie sie die Beschäftigten im Tourismussektor als Trinkgelder erhalten oder die von kubanischen Auslandsmigranten an ihre Familien in Kuba überwiesen werden.

Die Lehrerin ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. "Mich frustriert, dass besser Gebildete schlechter dastehen", meint sie. "Als ich in den 1980er Jahren mit meinem Studium begann, war alles anders. Mit den Löhnen und Gehältern kam man damals besser aus."

Die Einkommensunterschiede begünstigen die Ungleichheit. Betroffen sind vor allem die Staatsbediensteten, die meist nicht mehr als 470 Peso (19 Dollar) im Monat verdienen, Rentner und Sozialhilfeempfänger. Sie alle können nur unter größten Schwierigkeiten ihre grundlegenden Bedürfnisse decken. Zahlen des Studienzentrums der kubanischen Wirtschaft belegen, dass 59 bis 75 Prozent der Familieneinkommen für Nahrungsmittel draufgehen.

Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten leistet sich Kuba nach wie vor ein kostenloses Bildungs-, Gesundheits- und Sozialversicherungssystem und investiert in die Armen des Landes. Dadurch konnte sich der kleine Inselstaat den 44. Platz auf dem diesjährigen Index für menschliche Entwicklung (HDI) des UN-Entwicklungsprogramms sichern. Der HDI misst mit Hilfe von Indikatoren wie Lebenserwartung, Gesundheit, Bildungsstand und Lebensstandard der Bevölkerung die Fortschritte, die Staaten vorweisen können.


Hilfe für die Armen

Dem Ökonomen Morales zufolge ist es nicht die Aufgabe des Staates, für Egalitarismus, sondern für gleiche Rechte und Chancen zu sorgen sowie den bedürftigen Bevölkerungsgruppen mit Sozialleistungen unter die Arme zu greifen. Seiner Meinung nach sollten Menschen, nicht Produkte staatlich subventioniert werden. Er ist deshalb auch ein Kritiker der Lebensmittelkarten, die der Staat einkommensunabhängig an seine Bürger ausgibt, damit sie sich bestimmte Lebensmittel zu Vorzugspreisen kaufen können.

Bis zu den 1980er Jahren wurden auf diese Weise alle Grundnahrungsmittel subventioniert, die eine Familie zum Leben braucht. Da dies nicht mehr der Fall ist, sehen sich die Kubaner gezwungen, einen Teil ihres täglichen Bedarfs in den Devisengeschäften und auf den Bauernmärkten zu beschaffen, wo jeweils 450 Gramm Schweinefleisch und Zwiebeln - je nach Saison - schon mal bis zu 40 Peso (1,60 Dollar) kosten können.

In ihrem Pastoralplan 2014-2020 kritisiert die Katholische Kirche, dass weite Teile der kubanischen Gesellschaft infolge viel zu niedriger Löhne unter materieller Not leiden, von der angelernte Arbeiter und Fachkräfte gleichermaßen betroffen seien. Die Kirche räumt zwar ein, dass die Möglichkeit, als selbständige Unternehmer zu arbeiten oder Kooperativen im außerlandwirtschaftlichen Bereich zu gründen, einigen Kubanern geholfen habe. Doch hätten die Reformen die Wirtschaft nicht in der Weise reaktiviert, die notwendig wäre, um der gesamten Bevölkerung zu helfen.

Die Wissenschaftlerin Mayra Espina weist darauf hin, dass Frauen, Nicht-Weiße und junge Leute noch schlechter dastehen. Dies führt sie unter anderem auf fehlende Qualifikationen zurück.

Die bisher jüngsten, in Kuba verfügbaren Armutszahlen stammen aus dem Jahr 2004. Sie belegen, dass 20 Prozent der städtischen Bevölkerung arm sind. 76 Prozent der 11,2 Millionen Kubaner leben in Städten. Experten befürchten, dass sich der Anteil inzwischen erhöht haben dürfte. Ihrer Meinung nach sollte der Staat den aktuellen Prozentsatz ermitteln, damit er die passenden Strategien entwickeln kann, um Abhilfe zu schaffen.

Espina ist der Meinung, dass die im April 2011 beschlossenen Reformen den sozialen Aspekten nicht genügend Aufmerksamkeit zollen, das Problem der Armut und Ungleichheit ignorieren und Maßnahmen für mehr Gleichheit vernachlässigen. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:
http://www.ipsnoticias.net/2014/12/reformas-cubanas-a-la-zaga-de-cambios-sociales/
http://www.ipsnews.net/2014/12/cubas-reforms-fail-to-reduce-growing-inequality/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2014