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KIND/079: Nahost - Gefährliche Kinderarbeit in besetzten Palästinensergebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juni 2013

Nahost: Gefährliche Kinderarbeit in besetzten Palästinensergebieten

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Der 16-jährige Hazem arbeitet auf einem Obst- und Gemüsemarkt nahe Ramallah
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ramallah, 6. Juni (IPS) - Mit 16 Jahren muss Hazem Maher regelmäßig Knochenarbeit leisten. Der junge Palästinenser aus Hebron im Westjordanland schuftet täglich zwölf Stunden lang als Kistenträger auf einem Obst- und Gemüsemarkt in der Stadt El Bireh nahe Ramallah. Sein Tagesverdienst liegt bei umgerechnet 15 US-Dollar.

"Mein Vater ist blind und hat keine Arbeit, auch meine Mutter nicht", erzählt der Junge. "Ich bin der Einzige, der für meine Eltern, meine drei Brüder und zwei Schwestern sorgen kann." Zum Unterricht geht Maher längst nicht mehr - schlechte Noten und die finanzielle Lage der Familie zwangen ihn dazu, die Schule abzubrechen.

"Ich arbeite immer von sechs Uhr in der Früh bis 18 Uhr", erzählt er. Über Nacht bleibt er mit den anderen Helfern am Ort, weil die Fahrt nach Hebron eineinhalb Stunden dauern würde. "Und ein Taxi wäre zu teuer."

Maher steht in seiner Lage nicht allein da. Tausende palästinensische Kinderarbeiter in den Autonomiegebieten befinden sich in einer ähnlichen Lage. Ihre Arbeitstage sind lang und schlecht bezahlt, und oft sind die Tätigkeiten gefährlich oder aber die Heranwachsenden werden angeschrien, bedroht oder misshandelt. Eine Kindheit haben diese jungen Palästinenser nicht. Ihre körperlichen und seelischen Wunden werden sie auch im Erwachsenenalter noch spüren.

"Wenn die israelische Besatzung weitergeht und die Palästinenser keine Gesetze gegen Kinderarbeit verabschieden können, sieht die Zukunft dieser Kinder traurig aus", warnt Osama Damo von der Hilfsorganisation 'Save the Children' im Gazastreifen. "Die erlittenen physischen und psychischen Schäden könnten dafür sorgen, dass sie selbst keine guten Eltern abgeben werden. Auch die nächste Generation könnte also in Mitleidenschaft gezogen werden."


EU-finanziertes Projekt für drei Jahre

Um gegen Kinderarbeit in den Palästinensergebieten anzugehen, setzt 'Save the Children' mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union ein auf drei Jahre angelegtes Projekt um. Beteiligt sind viele weitere Organisationen sowie die palästinensischen Ministerien für Soziales, Arbeit und Bildung.

Auch der 17-jährige Anis Issa, der wie Maher als Lastenträger auf dem Markt arbeitet, stammt aus Hebron. Er muss fünf Geschwister unterstützen und zum Einkommen des Vaters beitragen, der in einem Fotogeschäft tätig ist. "Am Ende des Tages bin ich sehr müde", gesteht er. "Ich hasse die Arbeit, habe aber keine andere Wahl. Ein Studium kommt nicht in Frage, weil ich mir das nie leisten könnte."

Aus einem Bericht des Palästinensischen Statistikamts (PCBS) geht hervor, dass im Jahr 2011 acht Prozent aller palästinensischen Kinder im Gazastreifen und drei Prozent ihrer Altersgenossen im Westjordanland erwerbstätig waren. 6,5 Prozent von ihnen waren erst zwischen fünf und elf Jahren alt und knapp fünf Prozent im Alter zwischen zwölf und 14 gewesen.

In dieser Statistik kommen allerdings nicht die Minderjährigen vor, die in familieneigenen Betrieben, in der Landwirtschaft oder auf dem Bau arbeiten. Ausgenommen sind außerdem diejenigen Heranwachsenden, die an Schulen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten angemeldet sind. Der Anteil der Kinder zwischen fünf und 14 Jahren, die zur Schule gehen und nebenbei arbeiten, lag 2010 bei 5,9 Prozent. Im Westjordanland waren es 7,8 Prozent und im Gazastreifen drei Prozent.

Die Kinder arbeiten als Straßenverkäufer, Autowäscher, Zeitungshändler oder Träger, auf Baustellen, Feldern oder an Verkaufsständen an Grenzübergängen und Ampelanlagen. Nach palästinensischem Recht dürfen unter 15-Jährige allerdings nicht arbeiten. In der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen gelten Beschränkungen, wie Damo erklärt. "Die Einhaltung der Gesetze wird aber nicht angemessen kontrolliert. Die Kinder arbeiten für weniger Geld als Erwachsene und sind daher gewinnträchtiger."

Viele Kinder landen in der Arbeitswelt, weil sie vorzeitig die Schule verlassen. In den palästinensischen Autonomiegebieten beträgt die Schulabbrecherquote von Jungen bei 1,9 Prozent und von Mädchen bei 2,1 Prozent. "Verbreitete Arbeitslosigkeit und Armut, zu der noch Analphabetismus hinzukommt, drängen palästinensische Kinder aus der Schule und in die Erwerbstätigkeit", erklärt Damo.


Gazastreifen durch israelische Blockade belastet

Aufgrund der Blockade Israels und der besonders angespannten sozialen und wirtschaftlichen Lage ist die Situation im Gazastreifen schlimmer als im Westjordanland. Im Gazastreifen hat Israel ein Exportverbot verhängt, und Fischer sind an strenge Auflagen gebunden. Bauern sind nicht mehr in der Lage, ihre Felder zu betreten, wenn diese in den von Israel festgelegten Pufferzonen liegen,

Der Sperrwall, der das Westjordanland umgibt, hindert die Palästinenser zudem daran, in Israel zu arbeiten. Wie Damo kritisiert, müssen Schulkinder so viele Kontrollpunkte und Sperren passieren, dass die Fahrten zum Unterricht zu lang und zu teuer werden.

Kinder, die etwa 60 Prozent der Bevölkerung in den Palästinensergebieten ausmachen, halten sich stundenlang auf den Straßen auf, weil es für sie keine Freizeiteinrichtungen gibt. Zu Hause leben sie mit ihren Eltern und Geschwistern auf engem Raum. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.savethechildren.org/site/c.8rKLIXMGIpI4E/b.6153151/
http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/palestinian-child-labourers-face-grim-future/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2013