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RENTE/565: Die betriebliche Altersversorgung in der Finanz- und Wirtschaftskrise (spw)


spw - Ausgabe 2/2011 - Heft 183
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Die betriebliche Altersversorgung in der Finanz- und Wirtschaftskrise

Von Florian Blank


Systeme der sozialen Sicherung existieren nicht unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Entsprechend setzt eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise soziale Sicherungssysteme unter Druck und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob sie über Umlagen oder durch Kapitaldeckung finanziert werden: Einbrüche auf den Kapitalmärkten verringern den Wert von Anlagen und senken damit die zu erwartenden Leistungen aus kapitalgedeckten Systemen. Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Lohnentwicklung belasten beitragsfinanzierte Systeme (vgl. den Beitrag von Zwiener[*]).

In Deutschland ist die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung (GRV) relativ unbeschadet durch die Krise 2008/2009 gekommen, der Gesetzgeber hat zudem durch die so genannte Rentengarantie eine drohende nominale Rentenkürzung abgewendet.(1) Allerdings ist seit der Rentenreform von 2001 die GRV nur noch ein Teil des dreisäuligen Alterssicherungssystems, wenn auch weiterhin der größte und wichtigste: Sie soll im Zusammenspiel mit der betrieblichen Altersversorgung (bAV, zweite Säule) und der privaten Altersvorsorge (z.B. durch die Riester-Rente, dritte Säule) wirken und das alte Ziel der Lebensstandardsicherung im Alter erfüllen. Wenn nach den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf das deutsche Alterssicherungssystem gefragt wird, müssen also auch die so genannte zweite und dritte Säule berücksichtigt werden. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Folgen der Krise für die bAV.

Die bAV ist in Deutschland ein hochkomplexes Feld. Eine Beurteilung der Wirkungen der Krise ist ohne einen detaillierten Blick auf die unterschiedlichen Durchführungswege nicht möglich. Zugleich ist die bAV in Deutschland stark reguliert. So zählt die OECD Deutschland zu den Ländern mit den schärfsten Anlagerichtlinien bezüglich Kapitalinvestment (equity investment) für Pensionskassen und Pensionsfonds (OECD 2009: 41, Fn. 13). Die Darstellung der Folgen der Krise kann damit auch zur Beurteilung der Regulierung der bAV in Deutschland dienen.


Vermögensverluste bei Alterssicherungsvermögen

Im Jahr 2009 berichtete die OECD in der Studie Pensions at a Glance 2009 über dramatische Verluste von Alterssicherungsvermögen. Private Pensionsfonds in den OECD-Ländern hätten im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 5,4 Billionen US-$ verloren (real investment returns), das entspricht gewichtet durchschnittlich 23 Prozent ihres Werts (OECD 2009: 25). In einer späteren Publikation (OECD 2010: 1) werden die Verluste zwar "nur" mit 3,5 Billionen Dollar beziffert und darauf hingewiesen, dass die Rentenfonds die Verluste teils schon wieder ausgleichen würden. Diese Zahlen wecken jedoch die Frage danach, wie das deutsche System der Alterssicherung und speziell die seit der Rentenreform 2001 deutlich aufgewertete betriebliche Altersvorsorge durch die Krise gekommen ist. Die betriebliche Altersversorgung spielt in Deutschland zwar auf den ersten Blick bisher eine geringere Rolle als in anderen Ländern. Die Rentenfonds nach OECD-Klassifikation(2) machten 2009 5,2 Prozent des deutschen BIP aus, was verglichen mit anderen OECD-Ländern wenig ist - für die Niederlande beträgt der Wert 129,8 Prozent (OECD 2010: 8)! Aber immerhin berichtete die OECD für die deutschen Pensionsfonds Verluste von 8 Prozent (OECD 2009: 33). Die Unterschiede zwischen den Ländern und das vergleichsweise gute Abschneiden der deutschen Pensionsfonds lässt sich zum Teil durch die nationalen Anlagerichtlinien erklären (OECD 2009: 41; s. auch OECD 2010: 6, Abbildung 3).

Die in der OECD-Klassifikation zusammengefassten Pensionskassen und Pensionsfonds machen nur einen Teil der bAV in Deutschland aus. 2008, dem letzten Jahr, für das Daten verfügbar sind, umfassten sie 23,6 Prozent (Pensionskassen) bzw. 3,2 Prozent (Pensionsfonds) der insgesamt 453,8 Mrd. Euro Deckungsmittel.(3) Die anderen drei Durchführungswege waren also für drei Viertel des Volumens verantwortlich: Direktzusagen mit 54,0 Prozent, Direktversicherungen mit 11,0 Prozent und Unterstützungskassen mit 8,2 Prozent (Schwind 2010 zitiert nach aba 2010a). Eine Konzentration nur auf die Angaben der OECD kann hier also leicht in die Irre führen.


Sicherungsmechanismen in der deutschen bAV

Aus sozialpolitischer Sicht ist die Frage zentral, inwieweit durch eine Finanz- und Wirtschaftskrise die Ansprüche der ArbeitnehmerInnen auf Sicherungsleistungen berührt und gegebenenfalls reduziert werden. Das deutsche System der bAV verfügt über mehrere Sicherungslinien mit unterschiedlichen Ausprägungen für die verschiedenen Durchführungswege.(4) Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen ist sicherlich nicht zu vernachlässigen, dass eine reine Beitragszusage des Arbeitgebers nicht möglich ist. Ansprüche in der bAV sind immer auf Leistungen bezogen, entweder als Leistungszusagen oder aber zumindest auf einen Erhalt und eine Verrentung der vom Arbeitgeber oder den ArbeitnehmerInnen durch Entgeltumwandlung geleisteten Beiträge (Beitragszusage mit Mindestleistung). Ein Verlust der einmal geleisteten Beiträge und erworbenen Anwartschaften ist damit aus Sicht der (künftigen) RentnerInnen nicht möglich. Grundsätzlich richten sich die Ansprüche auf Versorgung an den Arbeitgeber und es gilt entsprechend, dass der Arbeitgeber für die Erfüllung der Versorgungszusage haftet, unabhängig vom Durchführungsweg.

Als zweite Sicherungslinie kann für die Durchführungswege Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen die Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gelten, die über die Einhaltung von Anlagebestimmungen wacht. Schließlich ist für alle Sicherungswege eine letzte Sicherung vorgesehen(5): Für die Zusagen aus Direktzusage und Unterstützungskasse sowie - unter speziellen Bedingungen - den Pensionsfonds steht der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) ein. Bei Direktversicherungen und so genannten deregulierten Pensionskassen ist die Protektor AG die Sicherungseinrichtung der Lebensversicherungsunternehmen. Zu berücksichtigen ist aber schließlich auch, dass die Anpassung laufender Betriebsrenten von der Einschätzung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers abhängen.

Dieser technische Überblick ist notwendig, um die Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die bAV zu verstehen. Die oben genannten Verluste der Pensionskassen und Pensionsfonds in Höhe von 8 Prozent (2008) treffen die ArbeitnehmerInnen nicht direkt, sondern wenn, dann mit Blick auf die ihnen entgangenen Überschüsse, d.h. den Bestandteil des Vermögens, der über die Summe der Beiträge hinausgeht und im Laufe der Zeit mit den Beiträgen zusätzlich erwirtschaftet wurde. Hierdurch wird die zu erwartende Rente verringert. Dies gilt auch für Direktversicherungen.

Im Fall der Betriebsrenten aus Direktzusagen, Unterstützungskassen und Pensionsfonds werden bei der Insolvenz eines Unternehmens dessen Zusagen und laufende Verpflichtungen vom PSV übernommen. Der PSV finanziert sich über Beiträge der Arbeitgeber, die einen jährlich neu festgelegten Promille-Satz bezogen auf die von ihnen gemachten Versorgungszusagen bzw. laufenden Versorgungsleistungen an den PSV abführen. Der Beitragssatz bestimmt sich aus der Höhe der Verpflichtungen, die aufgrund neuer Insolvenzen vom PSV getragen werden müssen. Der Beitragssatz stieg von 1,8 Promille 2008 auf 14,2 Promille 2009, um im Folgejahr wieder auf 1,9 Promille abzusinken.(6) Die Zahl der Sicherungsfälle stieg 2009 auf 817 (2008: 522; zum Vergleich: das vorherige Maximum war 2005 mit 745 Fällen erreicht), das Schadensvolumen auf 4.356 Mio. Euro (2008: 592 Mio. Euro; vorheriges Maximum 2002: 1.484 Mio. Euro; aba 2011a). Die Zahl der 2009 neu gemeldeten Versorgungsempfänger betrug 80.735 (2008: 7.495; 2002: 43.565), die der Anwärter mit unverfallbarer Anwartschaft 89.558 (2008: 9.324; 2002: 41.696; aba 2011b). Eine nicht unwichtige Rolle bei der Interpretation dieser Zahlen spielt die Insolvenz des Arcandor-Konzerns mit 2008 über 85.000 Beschäftigten. Die Kosten dieser Insolvenzen werden damit auf die anderen Mitglieder des PSV umgelegt. "Davon übernehmen die 150 größten Unternehmen mit entsprechend hohen Betriebsrentenverpflichtungen die Hälfte. Dies bedeutet, dass in diesem Jahr teilweise zweistellige Millionenbeträge an Beiträgen zum Pensions-Sicherungs-Verein fällig werden" (Flecken 2010: 104).


Sicherheit hat einen Preis

Die Sicherheit der Versorgungszusagen hat damit ihren Preis - und dadurch entwickelt die Finanz- und Wirtschaftskrise auch in diesem Bereich noch eine weitere sozialpolitische Wirkung. Zwar sind die bestehenden Ansprüche recht sicher. Allerdings ist offen, ob die Verluste und die Kosten für die Absicherung die betriebliche Altersversorgung nicht unattraktiver machen. Zur Nutzung der bAV vor und nach der Krise und einem krisenbedingten Wandel von Arbeitgeberfinanzierung zur Finanzierung durch Entgeltumwandlung liegen nur wenige Zahlen vor. Für die nicht oder nur unter besonderen Bedingungen (Pensionsfonds) über den PSV abgesicherten Durchführungswege lässt sich festhalten, dass hier von 2008 auf 2009 eine Steigerung der Nutzung stattgefunden hat (GDV und Bafin zitiert nach aba 2010b, aba 2011c, aba 2011d). Diese Zahlen verraten allerdings nichts über die Tragung der Kosten, ob es sich hier bspw. um Verträge auf der Grundlage von Entgeltumwandlung handelt, und sagen vor allem nichts über die anderen Durchführungswege aus. Dass trotz dieser weiter wachsenden Absicherung die Krise Spuren hinterlassen hat, darauf weist dagegen die WSI-Betriebsrätebefragung 2010 hin: Immerhin fast ein Fünftel (18 Prozent) der befragten Betriebsräte gibt an, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise negative Auswirkungen auf die betriebliche Altersvorsorge im Betrieb habe (sofern bAV vorhanden ist). Davon nennen 25 Prozent einen Ausschluss von neuen Beschäftigten, 37 Prozent die Einschränkung des Angebots und 50 Prozent andere Auswirkungen.


Schlussfolgerungen

Was folgt nun aus diesen Daten und Beobachtungen? Zunächst einmal, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise die bAV auch in Deutschland nicht unberührt gelassen hat und dass Kapitaldeckung, gleich ob durch Rückstellungen in Unternehmen oder durch Auslagerung an andere Träger mit Risiken behaftet ist. Auch deutsche Einrichtungen der bAV haben Verluste hinnehmen müssen und die Kosten der Sicherung von Ansprüchen sind kurzzeitig massiv angestiegen. Insgesamt haben sich Sicherungsmechanismen für die bAV in Deutschland aber als stabil erwiesen, die bereits bestehenden Ansprüche erscheinen als gut abgesichert. Allerdings ist die Sicherung der erreichten Ansprüche nicht der einzige sozialpolitisch relevante Aspekt. Arbeitgeber oder ArbeitnehmerInnen müssen auch weiterhin bereit sein, die bAV zu finanzieren. Die Angaben der Betriebsräte weisen darauf hin, dass in einer Krise diese Bereitschaft leidet und dadurch ein integriertes Alterssicherungssystem, das auch die bAV umfasst, eine weiche Flanke hat. Wenn die bAV ihre Rolle in einem letztlich nicht krisensicheren Umfeld spielen soll, reicht es eventuell nicht, allein die bestehenden Ansprüche zu sichern und vorhandene Sicherungsmechanismen - bspw. Anlagerichtlinien - zu stärken. Wenn die wünschenswerte Rückkehr zu einem öffentlichen Sicherungssystem politisch als nur schwer durchsetzbar erscheint, muss zumindest über eine Steigerung der Attraktivität der bAV oder eine Verpflichtung zur Nutzung und Finanzierung nachgedacht werden.


Dr. Florian Blank ist Wissenschaftler im Bereich Sozialpolitik im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Den Artikel finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Soziales
RENTE/561: Lehren aus der Finanzmarktkrise - Kurskorrektur erforderlich (spw)



ANMERKUNGEN

(1) S. Sozialbeirat 2009. Allerdings wird die nicht stattgefunden habende Rentenkürzung in den Folgejahren "bezahlt".

(2) Dazu zählen in Deutschland Pensionsfonds und -kassen.

(3) Die Gesamtsumme entspricht einem Anteil von etwas über 20% des BIP.

(4) Die folgende Darstellung der Sicherungssmechanismen folgt stark der Darstellung von Flecken (2010:102).

(5) Zur Problematik der regulierten Pensionskassen s. Flecken 2010: 102, 104-105.

(6) Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein Vergleich nur der Jahre 2008-2010 insofern in die Irre führt, als dass 2008 ein Jahr mit nur wenigen Schadensfällen war. Das bisherige Maximum des Beitragssatzes lag 1982 bei 6,9 Promille.


QUELLEN

- aba, 2010a:
Prozentuale Aufteilung der Deckungsmittel in der betrieblichen Altersversorgung im Jahr 2008 - nach Durchführungswegen (Stand: Juni 2010),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/1_Deckungsmittel_bav/1a_deckungsmittel.shtml
(07.04.2011)

- aba, 2010b:
GDV: Bestandsentwicklung der Direktversicherungen seit 1974 - Anzahl in Mio. (Stand: 08.06.2010),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/5_Informationen_durchfuehr/c_Direktversicherung/5c_GDV_entwicklung.shtml
(07.04.2011)

- aba, 2011a: Gesetzliche Insolvenzsicherung - Sicherungsfälle und Schadenvolumen beim PSV (1975-2009),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/4_Finanzierung_bav/4e_psv_sicherungsfaelle.shtml?navid=39
(07.04.2011)

- aba, 2011b:
Gesetzliche Insolvenzsicherung: Neu gemeldete Versorgungsempfänger und gemeldete Anwärter mit unverfallbarer Anwartschaft beim PSV (1975-2009),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/3_Leistungen_bav/3g_psv_versorgungsempfaenger.shtml?navid=38
(07.04.2011)

- aba, 2011c:
BaFin: Pensionskassen - Entwicklung von Pensionsversicherungen im Jahr 2009 (Stand: Dez. 2010),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/5_Informationen_durchfuehr/b_Pensionskassen/5b_d_Pensionskassen.shtml
(07.04.2011)

- aba, 2011d:
BaFin: Pensionsfonds - Bestand an Versorgungsverhältnissen Ende 2009 (Stand: Dez. 2010),
http://www.aba-online.de/seiten/betriebsrente/daten_fakten/5_Informationen_durchfuehr/d_Pensionsfonds/5d_d_pensiondfonds.shtml
(07.04.2011)

- Flecken, Hans-Ludwig, 2010:
Die Wirtschafts- und Finanzkrise als Bewährungsprobe für die Sicherungseinrichtungen der betrieblichen Altersversorgung - Bedarf für ergänzende gesetzliche Regelungen?, in: Betriebliche Altersversorgung 2/2020: 101-105.

- OECD, 2010: Pension Markets in Focus 7/2010.

- OECD, 2009:
Pensions at a Glance 2009, Retirement-income Systems in OECD Countries, Paris.

- Sozialbeirat 2009:
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenvesicherungsbericht 2009.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2011, Heft 183, Seite 33-36
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2011