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WOHNEN/086: Wohnraum und Diskriminierung (spw)


spw - Ausgabe 4/2009 - Heft 172
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Wohnraum und Diskriminierung
Hinweise und Empfehlungen aus der Arbeit des Antidiskriminierungsprojektes
im Wohnbereich des Planerladen e.V. in Dortmund

Von Tülin Kabis-Staubach


Antidiskriminierungsarbeit in NRW als Modellvorhaben

Diskriminierung auf Grund der Rasse (Hautfarbe), ethnischen Herkunft oder Religion auf den lokalen und regionalen Wohnungsmärkten bilden den Fokus des Integrationsprojektes, das neben anderen Projekten in Aachen, Duisburg, Köln und Siegen im Jahre 1997 als Modellvorhaben gestartet wurde. Die in das Antidiskriminierungsnetzwerk aufgenommenen Projekte beschäftigen sich mit integrationsrelevanten Bereichen wie Arbeitsmarkt, Medien, Polizei, Verwaltung und Wohnen (siehe dazu www.nrwgegendiskriminierung.de).

Die Ausrichtung des Dortmunder Projektes ist vor allem struktureller Natur, d.h. es geht nicht um die Bearbeitung individueller Diskriminierungsfälle sondern vor allem um die Veränderung des institutionellen Rahmens mit den Zielen:

Sensibilisierung der Öffentlichkeitfür Diskriminierung
Anstoßen von interkulturellen Dialogen
Förderung der interkulturellen Öffnung bei den wohnungspolitisch relevanten Institutionen

Die Aktivitäten des Projektes lassen sich den folgenden Bausteinen zuordnen:

systematische Analyse der Versorgungssituation von MigrantInnen (Auswertung von Statistiken, ExpertInneninterviews, ergänzende Umfragen etc.)
Entwicklung und Erprobung von Antidiskriminierungsmaßnahmen durch Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung, Beratung, Testing
Beiträge zur Fachdiskussion, z.B. Veranstaltung von Tagungen und Workshops sowie Dokumentation und Präsentation von Projektergebnissen

Wohnungsversorgung von MigrantInnen - diskriminierende Mechanismen und Praktiken

Zwar lassen sich in Bezug auf die Wohnungsmarktversorgung auch Aufhol- und Normalisierungsprozesse feststellen, die als Indikator für eine gelingende Integration gelten können; grundsätzlich muss aber gesagt werden, dass sich MigrantInnen auf dem Wohnungsmarkt in einer defizitären Versorgungssituation befinden. Sicherlich ist die ökonomische Situation von MigrantInnen zumeist schlechter als von einheimischen deutschen Bewohnern, da sie im Durchschnitt über weniger Einkommen verfügen und in größeren Haushalten leben. Zudem lebt der überwiegende Teil von MigrantInnen in Großstädten, in denen das Wohnungsangebot knapper, der Mietwohnungsmarkt in der Regel vorherrschend und die Mieten durchschnittlich höher sind.

Allerdings sind jenseits von sozioökonomischen und demografischen Faktoren auch die Wirkungen diskriminierender Mechanismen und Praktiken für die signifikant schlechtere Wohnungsversorgung von Migrantenhaushalten ausschlaggebend. AusländerInnen - so der klare Tenor einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) - sind auf dem Wohnungsmarkt schon allein deshalb benachteiligt, weil sie AusländerInnen sind (vgl. Clark/Drever 2001). Auf dem für sie stark verengten Wohnungsmarkt zahlen MigrantInnen im Schnitt pro Quadratmeter Wohnfläche mehr als Einheimische (sog. "Ausländerzuschläge") - und dies trotz der geringeren Größe sowie der schlechteren Ausstattung und Lage ihrer Wohnungen (sog. "Qualitätsdiskriminierung"). Auch bleiben ihnen nicht selten Wohngegenden mit höherer Standortqualität und besserem Image vorenthalten.


Was ist Diskriminierung?

Definition des Europäischen Rates

Der Europäische Rat (1991) hat Diskriminierung als zielgerichtete, unterschiedliche Behandlung von Personen auf Grund bestimmter Merkmale (Sprache, Religion, Hautfarbe, Nationalität, etc.) definiert. Im Unterschied zur bloßen "Benachteiligung" beim Zugang zu Wohnraum, bei der ein Bewerber die Wohnung nicht erhält, weil er bestimmte Voraussetzungen (z.B. im Hinblick auf die Bonität) nicht erfüllt, ist dann von "Diskriminierung" zu sprechen, wenn jemand aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit (z.B. ethnische Herkunft) benachteiligt wird.

"Gefühlte" Diskriminierung

Die empfundene ethnische Diskriminierung unterscheidet sich nach den verschiedenen Lebensbereichen deutlich (vgl. jährliche Erhebung des Zentrums für Türkeistudien zur Diskriminierungswahrnehmung türkischer MigrantInnen in NRW). Immerhin knapp drei Viertel der Befragten haben demnach im alltäglichen Leben die Erfahrung ungleicher Behandlung gemacht. Bei der Wohnungssuche sehen sich immerhin 50 Prozent betroffen. Auch die regelmäßigen Umfragen der Europäischen Kommission zur Benachteiligung und Diskriminierung von MigrantInnen in der Europäischen Union (Eurobarometer 2007) bestätigen, dass der Grad der empfundenen Diskriminierung überaus hoch ist. In Deutschland fühlen sich demnach fast die Hälfte der Befragten wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert (in der EU 25 fast zwei Drittel!). Gleichzeitig sind hierzulande viele MigrantInnen über ihre konkreten Rechtsmöglichkeiten nur unzureichend informiert (nur 73 Prozent). Zudem bestehen vielfach Ängste, diese im Falle einer wahrgenommenen Diskriminierung tatsächlich zu nutzen.


Anstöße des Antidiskriminierungsprojektes

Initiativen gegen die Quotierung von MigrantInnen im öffentlich geförderten Wohnungsbau

Manchmal offen, weit häufiger aber in subtiler Weise finden diskriminierende Belegungspraktiken oder Quotierungen auf dem Mietwohnungsmarkt Anwendung, um die Anteile von MigrantInnen nicht über einen bestimmten Prozentsatz hinaus ansteigen zu lassen. Die Quoten entsprechen in ihrer Zielsetzung einem Zuzugsstopp für MigrantInnen und sind somit gesetzeswidrig. Der Planerladen hat in einer landesweiten schriftlichen sowie einer vertiefenden telefonischen Befragung von Wohnungsgesellschaften solche Ansätze untersucht. Zudem macht er durch vielfältige Aktionen auf diese Problematik aufmerksam, wie z.B. mit der Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Verbesserung der Wohnversorgung von MigrantInnen und die Öffnung bisher verschlossener, "besserer" Wohnstandorte durch die Anmietung von Werbetafeln, Plakataktionen mit begleitenden Ständen und Infoblättern sowie durch Zeitungsinserate.


Wie kann man Diskriminierung aufspüren und bekämpfen?

Da die von Diskriminierung betroffenen Haushalte vielfach nichts davon wissen ("unsichtbare" oder "subtile" Diskriminierung) oder nur Mutmaßungen darüber anstellen können ("gefühlte" Diskriminierung), führt kein Weg an der systematischen Erfassung von Diskriminierungstatbeständen vorbei. Beobachtungs- und Meldestellen zur Erfassung von Diskriminierungsfällen machen Sinn, bilden aber nur die Spitze des Eisbergs ab. Testing-Verfahren (als Online-, Telefon- oder Face-to-face-Testing) bieten an dieser Stelle die einzige Möglichkeit, unabhängig von der individuellen Benachteiligung von MigrantInnen, die strukturelle Ausgrenzung als Ergebnis von Diskriminierungspraktiken auf dem Wohnungsmarkt aufzuzeigen.

"Paired Ethnic Testing"

Um Testing als Instrument zum systematischen Nachweis ungleicher Behandlung beim Zugang zu Wohnraum hierzulande vermehrt bekannt zu machen, wurden nicht nur mehrere Testing-Verfahren praktisch durchgeführt, sondern auch Handreichungen und Empfehlungen zum Einsatz dieser Methode erarbeitet und veröffentlicht. Die Resonanz aus Wissenschaft und Wohnungswirtschaft war enorm. Der nächste Schritt in Richtung systematischer evaluativer Anstrengungen steht noch aus.

Bei dem Verfahren unterscheiden sich die Tester beispielsweise nur in ihrer Ethnie, Herkunft oder Hautfarbe. Sie kontaktieren WohnungsanbieterInnen und geben vor, eine Wohnung anmieten zu wollen. Beide Tester sind ansonsten merkmalsgleich: Sie besitzen die gleichen Einkommens-, Arbeits- und Familiensituationen sowie ebenbürtige Bildungsgrade. Auch die Wohnwünsche der Kandidaten gleichen sich.

Online-Testing (2006/07)

Das Testing bezog sich auf die Wohnungsangebote von Immobilien-Börsen und Wohnungs-Portalen im Internet. 150 VermieterInnen wurde einmal eine E-Mail-Anfrage von einem vom Namen her offensichtlich deutschen und einmal von einem offensichtlich türkisch-stämmigen Wohnungsinteressenten gesendet. Die in korrektem Deutsch formulierten, inhaltlich identischen Anfragen unterschieden sich nur in Stil und Wortwahl sowie insbesondere in der Nennung des Absenders. 105 Anbieter antworteten (ca. zwei Drittel). Zwar gaben 56 Prozent der WohnungsanbieterInnen dem deutschen und dem türkischen Interessenten die gleiche Antwort, aber 42 Prozent der VermieterInnen antworteten nur dem deutschen Interessenten und ließen die Anfrage des offensichtlich türkisch-stämmigen Testers von vornherein unbeantwortet. Das Integrationsprojekt des Planerladens hält dieses Ergebnis - trotz des fehlenden Anspruchs auf Repräsentativität - für alarmierend.

Telefonisches "Paired Ethnic Testing" (2006/2007)

Etwa ein halbes Jahr nach dem Abschluss des Online-Testing und nach der Einführung des AGG (das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) führte der Planerladen ein in der Konfiguration der Tester-Identitäten ansonsten analog angelegtes Telefon-Testing durch. Die angebotenen Mietwohnungen wurden hier dem Immobilienteil lokal-regionaler Tageszeitungen in sieben Ruhrgebietsstädten entnommen. Es handelte sich um durchschnittliche Wohnstandorte im mittleren Preissegment. Auffällig ist, dass bei den 482 Anfragen der türkische Tester doppelt so viele Absagen wie der deutsche Tester in Kauf nehmen musste und der deutsche Tester 24 Prozent mehr Zusagen als der türkische Tester erhielt. In 19 Prozent der Fälle ergab sich eine Ungleichbehandlung zu Ungunsten des türkischen Testers. Bemerkenswert sind in jedem Fall darüber hinaus die im Antwortverhalten der AnbieterInnen feststellbaren "feineren Unterschiede" im Umgang mit dem Wohnungsnachfrager mit Migrationshintergrund.


Empfehlungen für eine effektive Integrationspolitik

...Integration als gesamtstädtische Strategie

Menschenrechte und Antidiskriminierung müssen als Maxime der kommunalen Politik hochgehalten werden. Dies erfordert eine Abkehr vom Postulat der einseitigen Anpassung von MigrantInnen an die Aufnahmegesellschaft und eine Politik der Anerkennung von ethnisch-kultureller Vielfalt in gegenseitigem Respekt für ein interkulturelles Mit- und Nebeneinander. Statt Konfliktvermeidung sollten Konflikte konstruktiv ausgetragen werden, was eine Auseinandersetzung im gegenseitigen Respekt voraussetzt.

Integrationspolitik muss von der politischen Spitze der Stadt aktiv gestaltet werden, basierend auf einem Leitbild für eine interkulturelle Orientierung der gesamten Stadtpolitik. In jedem Fall sollten die Herausforderungen der Zuwanderung zur kommunalpolitischen "Chefsache" erhoben werden. Verschiedene Oberbürgermeister haben inzwischen bei einzelnen Wohn- und Siedlungsvorhaben deutlich Flagge gezeigt. Sie tragen damit nicht zuletzt auch der Tatsache Rechnung, dass eine offene Stadtgesellschaft im überregionalen Wettbewerb um kreative Köpfe auch einen wichtigen "Standortfaktor" darstellt.

Segregation sollte dabei als Realität und Normalität städtischer Sozialräume zur Kenntnis genommen werden. Selbst gewählte ethnische Segregation kann durchaus hilfreich bei der Bewältigung der Einwanderungssituation und der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen sein. Nur beim Zusammenfallen von sozialer und ethnischer Segregation, das sich zu einer Abwärtsspirale der Exklusion zu verfestigen droht, besteht Handlungsbedarf.

Integration als Stadtteilstrategie

Die Stadtteilprogramme müssen weg kommen von der bloßen Strategie des Abbaus von Defiziten bzw. "Rückständigkeiten" und auf der Basis einer sozialräumlich differenzierten Stärken-Schwächen-Analyse die Stärkung der Ressourcen und Potenziale der Integrationsstadtteile verfolgen.

Ein interkulturell aufgestelltes Quartiers- und Konfliktmanagement vor Ort muss dabei als Schlüsselinstrument für die erfolgreiche Bewältigung der komplexen Aufgaben integrierter Stadtteilentwicklung betrachtet werden. Entscheidend ist die Verstetigung und Verbreiterung des ressortübergreifenden Ansatzes sowie neue Organisations- und Steuerungsformen in der Verwaltung, die im Sinne einer Sozialraumorientierung weiterentwickelt und für die gesamte Stadt nutzbar gemacht werden müssen.


Tülin Kabis-Staubach ist Architektin und Vorstandsmitglied des Planerladen - Verein zur Förderung demokratischer Stadtplanung und stadtteilbezogener Gemeinwesenarbeit e.V. in Dortmund.
www.planerladen.de, www.integrationsprojekt.net


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2009, Heft 172, Seite 25-28
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2009