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FRAGEN/002: UN-HABITAT-Chef Joan Clos - Städte der Zukunft erfordern soziale Gerechtigkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2012

UN: Städte der Zukunft erfordern soziale Gerechtigkeit - UN-HABITAT-Chef Joan Clos im Interview

von Rousbeh Legatis



New York, 13. Juni (IPS) - Die Städte der Zukunft müssen nicht nur besser geplant werden, sondern Horte der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit werden. Dieser Ansicht ist Jean Clos, der Exekutivdirektor des UN-Programms für menschliches Siedlungswesen (UN-HABITAT). Im Gespräch mit IPS erläutert er, wie die derzeit mehr als drei Milliarden Städter dazu beitragen könnten, die Metropolen dieser Welt gesünder und lebenswerter zu machen. Es folgen Auszüge aus dem Interview.

IPS: In wieweit bedingen sich städtisches Leben und Entwicklung?

Jean Clos: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Es liegt also auf der Hand, dass die weltweiten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts die urbanen Gebiete betreffen. Es sind die Städte, die dem Druck durch Globalisierung, Migration, soziale Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Klimawandel und Jugendarbeitslosigkeit auf besonders direkte Weise ausgesetzt sind. Andererseits sind sie seit Jahrhunderten Stätten der Innovation, und sie produzieren derzeit mehr als 75 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.

IPS: Welche Rolle spielen Städteplanung und -entwicklung?

Clos: Angesichts der schnellen Urbanisierung sind Städteentwicklung und -planung von großer Bedeutung. Wir brauchen vielseitige, gut vernetzte Städte, von denen eine integrative Wirkung ausgeht. Wir müssen von monofunktionalen, bindungsarmen, sozial trennenden und wirtschaftlich unproduktiven Städten wegkommen. Die Stadtbewohner selbst - vor allem die ärmsten und anfälligsten - müssen die Hauptnutznießer sein. Das 'Recht auf die Stadt' bleibt ein mächtiges Prinzip, um sicherzustellen, dass sich die kollektiven Interessen einer Stadt durchsetzen.

Ein die Menschenrechte beachtender Ansatz ist der einzige Weg, um die Würde aller Städter angesichts der vielen Rechtsverstöße etwa gegen angemessene Lebensbedingungen zu gewährleisten. Ein solcher Paradigmenwechsel lässt sich sicher nicht ohne die Berücksichtigung fundamentaler Fragen wie Gleichheit, Armut und soziale Gerechtigkeit bewerkstelligen.

IPS: UN-HABITAT setzt sich für 'nachhaltige Städte für alle' ein. Wie muss man sich solche Städte vorstellen?

Clos: Allgemein gesprochen geben die asiatischen und europäischen Städte mit Singapur, Tokio und Osaka sowie Kopenhagen, Stockholm und Oslo die besten Beispiele ab. Der 'Green City Index' von Siemens bietet ein umfassendes und drastisches Set von Wertmaßstäben für nachhaltige Städte wie Energieverbrauch, Landnutzung, effektives Bauen, Transport, Wasser- und Müllaufbereitung, Luftqualität und Umweltpolitik an.

Dem Index zufolge schneiden San Francisco, Vancouver und New York innerhalb Nordamerikas am besten ab. Die lateinamerikanischen Vorzeigestädte sind Curitiba und Bogota. In Afrika konnten vor allem Kapstadt und Durban punkten.

IPS: Die Bürger werden meist aus Stadtentwicklungs- und planungsprozessen ausgeschlossen. Was kann getan werden, um ihnen mehr Gehör zu verschaffen?

Clos: Wir betonen die Bedeutung bürgerlicher Partizipation und die Fähigkeit lokaler Gemeinschaften, die sich aus unterschiedlichen Akteuren wie Bürgern, Gruppen, Zivilgesellschaft und Privatsektor zusammensetzen. In vielen Fällen sind die Bürger von wichtigen Informationen abgeschnitten. Oder aber es fehlen die Mechanismen, die ihre Beteiligung an städtischen Entscheidungen möglich machen würden.

Vor diesem Hintergrund wird UN-HABITAT auf der Rio+20-Nachhaltigkeitskonferenz in diesem Monat die Initiative 'Ich bin ein Stadtveränderer' ('I'm a City Changer') starten, die als Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Beispielen aus den Städten gedacht ist. Sie ist auch ein Partnerschaftsprojekt für nachhaltige Städte, von dem sich möglichst vielseitige Akteure wie Stadt- und Lokalbehörden, Zivilgesellschaft, Regierungen und Privatsektor angesprochen fühlen sollen.

Ich rufe alle Menschen dazu auf, sich für die Bedeutung solider nationaler Städtebaustrategien, ausgewogener regionaler Entwicklungsmaßnahmen und starker urbaner, wirtschaftlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen einzusetzen. Wir alle müssen zu Stadtveränderern werden und darüber nachdenken, wie wir zu Städten kommen, die nachhaltiger, gerechter und wohlhabender sind.

IPS: Inwieweit könnte Rio+20 messbare Ergebnisse zugunsten einer nachhaltigen Städteentwicklung erzielen und die Städte wieder in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses rücken?

Clos: Rio+20 kommt die besondere Bedeutung zu, die Arbeit ins richtige Verhältnis zu setzen, indem sie einer nachhaltigen Urbanisierung innerhalb eines breit angelegten Entwicklungszusammenhangs Priorität einräumt.

Heute sind regionale und lokale Behörden mehr denn je gefragt, praktische Ergebnisse zu erzielen, die zur Verringerung der Armut, zum Schutz der Umwelt und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber möglichen Katastrophen beitragen. UN-Habitat empfiehlt den Ländern nachdrücklich die Einrichtung nationaler Städtestrategiebehörden, die regionale und lokale Entwicklungsmaßnahmen entwickeln und die lokalen und nationalen Bemühungen zusammenführen, um sicherzustellen, dass die Urbanisierung zum Wohlstand beiträgt. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.unhabitat.org/?gclid=CIyDoOD1yrACFQW-zAodUV-PWg
http://ipsnews.wpengine.com/Library/2012/06/joan_clos_350.jpg
http://ipsnews.wpengine.com/2012/06/qa-we-all-have-to-start-being-city-changers/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2012