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ORGANISATION/591: Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung hängt von Indikatoren ab (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Was gezählt wird, zählt!
Umsetzung der SDGs hängt von Indikatoren ab

von Katrin Erlingsen


Im September 2015 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Sie umfasst 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) und 169 Unterziele, die von allen Staaten umgesetzt werden sollen. Dies soll anhand von globalen Indikatoren überprüft werden, also durch statistische Daten, die Rückschlüsse auf Veränderungen bei den 17 Zielen zulassen. In den kommenden Wochen wird darüber entschieden, welche Indikatoren dies sein werden.


Von Januar 2013 bis Juli 2015 wurden die SDGs von der Offenen Arbeitsgruppe (Open Working Group, OWG)[1] bei den Vereinten Nationen (UN) verhandelt. Dabei war zwar klar, dass man sich auf Indikatoren einigen werden müsse, um die Umsetzung der SDGs zu messen. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass die OWG die globalen Indikatoren nicht bis Sommer 2015 würde erarbeiten können. Die Verhandlungen von Zielen und Unterzielen nahm zu viel Zeit ein. Zudem wurde bezweifelt, dass die hochpolitische OWG in der Lage sein würde, sich auf robuste Indikatoren zu einigen.

Daher schuf die Statistische Kommission der Vereinten Nationen (UNSC) im März 2015 die 'Inter-Agency and Expert Group on SDG-Indicators' (IAEG). Diese Gruppe besteht aus 28 Abgesandten nationaler Statistikbehörden - unter anderem des Statistischen Bundesamtes. Aufgabe der IAEG ist es, mit Unterstützung von UN-Organisationen eine Liste globaler Indikatoren zu entwickeln und der UNSC zu ihrer Sitzung im März 2016 vorzulegen.


Von verschwindenden Sternen

Um zu dieser Liste zu kommen, hat die IAEG in mehreren Treffen und Online-Konsultationen mögliche Indikatoren sondiert. Auch die Zivilgesellschaft konnte sich an den Konsultationen beteiligen, allerdings gibt es Kritik daran, dass Kommentare meist im Sande verliefen. Grundlage für die Indikatorenliste bildete ein Aufschlag, der von UN-Organisationen zusammengestellt wurde. In vielen Fällen konnte auf bestehende Indikatoren, beispielweise aus anderen UN-Prozessen, zurückgegriffen werden. In anderen Bereichen mussten neue Indikatoren entwickelt oder neue Datenerhebungen auf den Weg gebracht werden.

Dies spiegelt sich auch im Bericht wider, den die IAEG im Februar 2016 an die UNSC überwiesen hat.[2] Er enthält 231 Indikatoren, wobei manche Indikatoren bei mehreren Unterzielen erwähnt werden. Rund ein Drittel der Indikatoren waren bei einer früheren Version des Berichts[3] mit einem Stern versehen, da noch weiter an Methode und/oder Datengrundlage gearbeitet werden musste. In der Version vom Februar sind diese Sterne zwar verschwunden, was jedoch nicht heißt, dass es nun keine methodischen Diskussionen mehr gäbe. Diese Arbeit will die IAEG auch nach März 2016 fortsetzen.[4]

Die IAEG schlägt zudem vor, dass die Indikatoren (wo relevant) nach Einkommen, Geschlecht, Alter, Rasse, Ethnie, Migrationsstatus, Behinderung, Wohnort und anderen Charakteristika aufgeschlüsselt werden sollen.[5] Genauere Informationen zu dieser Disaggregierung sowie Methodik und Datenquellen finden sich in den sogenannten Metadaten, die zu jedem Indikator erstellt wurden.[6] Allerdings bleibt offen, wie und wann über das "relevante" Niveau der Datendisaggregierung entschieden werden soll. Dabei ist diese dringend notwendig, um zu überprüfen, ob die Staatengemeinschaft dem Motto der SDGs gerecht wird, niemanden zurückzulassen, also alle Ziele für alle Menschen umzusetzen.


Wenn Indikatoren zu Konflikten werden

In den Beratungen der IAEG hat sich gezeigt, dass das Ziel eines rein technischen, unpolitischen Prozesses nicht erreicht wurde. Denn letztlich kamen Konflikte, um die schon in der OWG gerungen wurde, auch in der IAEG zum Vorschein. So wurde im Rahmen der OWG zum Beispiel hart darum gerungen, ob es einen universellen Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen und reproduktiven Rechten geben sollte oder ob Jugendliche hiervon ausgeschlossen werden sollten. Dabei haben gerade Jugendliche einen besonderen Bedarf an Aufklärung und Verhütungsmitteln, um sich vor ungewollten Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV zu schützen. Letztlich einigte man sich auf einen universellen Zugang (Unterziel 5.6). Der vorgeschlagene Indikator misst jedoch nicht den Zugang aller Jugendlichen und Frauen, sondern nur den von Frauen zwischen 15 und 49 Jahren.

Bei der Sitzung der UNSC im März 2016 wurde die von der IAEG vorgeschlagene Indikatoren-Liste zwar als "Startpunkt" angenommen, auf dessen Grundlage aber weiter gearbeitet werden müsse. Diese recht schwammige Formulierung konnte erst nach langen Debatten angenommen werden. Im nächsten Schritt muss nun der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) den Indikatoren zustimmen, um sie dann der Generalversammlung zur Annahme zu überweisen. Es ist aber auch möglich, dass es im ECOSOC oder der Generalversammlung zu erneuten Debatten und Verhandlungen kommt.


Keine klare Position der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat keine offizielle Position zum Indikatoren-Prozess, allerdings lassen sich einige Linien aus Aussagen von MinisteriumsmitarbeiterInnen ableiten: a) die Indikatoren sollen nach Möglichkeit alle 3 Dimensionen der Nachhaltigkeit abdecken, b) bei der Datendisaggregierung müsse Augenmaß gewahrt werden, und c) die Zahl der Indikatoren solle überschaubar (100-120) gehalten werden, um die statistischen Systeme der Staaten nicht zu überfordern.

Der Vertreter des Statistischen Bundesamtes in der IAEG hat zunächst eine sehr zurückhaltende Position zur Datendisaggregierung eingenommen, die weit hinter das zurückfiel, was Deutschland in der OWG vertreten hat.[7] Aber auch bei inhaltlichen Fragen zu einzelnen Indikatoren scheinen das Statistische Bundesamt und die Fachministerien oft nicht die gleiche Position zu vertreten. VertreterInnen der Zivilgesellschaft haben hierauf wiederholt hingewiesen. Versuche eines direkten Austauschs mit dem Statistischen Bundesamt waren selten von Erfolg gekrönt.

Vor diesem Hintergrund kann es als Erfolg gewertet werden, dass sich die IAEG klar zu einer differenzierten Datendisaggregierung bekannt und immerhin 241 Indikatoren vorgeschlagen hat, auch wenn diese nicht ausreichen, um die SDGs in all ihren Aspekten abzubilden.

Bei den weiteren Beratungen der Indikatoren im ECOSOC und der Generalversammlung sollte die Bundesregierung ein ambitioniertes Ergebnis einfordern, das nicht hinter die Kompromisse des OWG zurückfällt. Um dies sicherzustellen, muss die Bundesregierung auf technische und politische Verhandlungen im ECOSOC und in der Generalversammlung vorbereitet sein. Auch darüber hinaus muss die Arbeit der IAEG und des statistischen Bundesamtes enger begleiten werden als bisher.


Von Omnibussen und Vorreiterinnen

Auch Deutschland wird zu allen globalen Indikatoren berichten müssen. Um dies zu gewährleisten, müssen die Kapazitäten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder dringend gestärkt werden: Das sogenannte "Omnibusprinzip", das eine Obergrenze für die Anzahl der Statistiken setzt, die von den Ämtern erhoben werden können, muss aufgehoben werden. Wenn die Bundesregierung - wie oft angekündigt - Vorreiterin bei der Umsetzung der SDGs sein will, muss sie auch die eigene Verwaltung hierzu in die Lage versetzen.


Die Autorin arbeitet als entwicklungspolitische Referentin bei der Stiftung Weltbevölkerung in Berlin.


Anmerkungen:

[1] https://sustainabledevelopment.un.org/post2015/owg.

[2] http://unstats.un.org/unsd/statcom/47th-session/documents/2016-2-IAEG-SDGs-E-Revised.pdf.

[3] http://unstats.un.org/unsd/statcom/47th-session/documents/2016-2-IAEG-SDGs-E.pdf.

[4] Absatz 32, 33, 37 in http://unstats.un.org/unsd/statcom/47th-session/documents/2016-2-IAEG-SDGs-E-Revised.pdf.

[5] http://unstats.un.org/unsd/statcom/47th-session/documents/2016-2-IAEG-SDGs-E.pdf, Annex III.

[6] http://unstats.un.org/sdgs/iaeg-sdgs/metadata-compilation/, Version vom 18.1.2016.

[7] http://unstats.un.org/sdgs/files/open-consultation-iaeg/Open_Consultation_Compilation-Members_and_Observers-20150915.pdf, S. 374ff.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 22-23
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2016

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