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ORGANISATION/604: Wohin steuert die UNESCO? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2018

Mit Bioökonomie die Welt retten?
Neue Geschäftsmodelle und alte Strukturen

WOHIN STEUERT DIE UNESCO?
Radikale Maßnahmen zur Reform sind notwendig

von Prof. Dr. Klaus Hüfner


Die Organisation befindet sich in einer schweren Existenzkrise. Seit der Jahrhundertwende wird intensiv über mögliche und notwendige Reformmaßnahmen diskutiert. Aber es wurde keine einzige Reformidee entwickelt, welche die bisherigen Strukturen und Verfahren infrage gestellt hätte. Die aktuelle Finanzkrise der UNESCO ist nur ein Ausdruck des gegenwärtigen Unbehagens. Angesichts der akuten globalen Krisen wird die UNESCO als notwendiger denn je angesehen, ohne dass einzelne Staaten oder Staatengruppen umfassende klare Reformvorschläge unterbreitet haben.


Niemand wird es wagen, die Kernziele der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaften, Kultur und Kommunikation (UNESCO) infrage zu stellen, will sie doch ihren Beitrag zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit leisten sowie weltweit die Achtung vor Recht und Gerechtigkeit, vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken. Die UNESCO wurde als eine Friedensorganisation konzipiert, welche den Vereinten Nationen mit der Vielfalt ihrer Kompetenzbereiche dient.

Wie und von wem diese Arbeit geleistet werden kann, ist bis heute eine Frage geblieben, die keinesfalls zufriedenstellend beantwortet werden konnte. Sollte es eine Organisation werden, die sich ausschließlich aus herausragenden VertreterInnen bedeutender wissenschaftlicher Organisationen zusammensetzt? Oder sollte die UNESCO eine rein staatliche Organisation werden? Oder sollte sich die Mitgliedschaft aus einer Kombination von sowohl fachlich kompetenten Nichtregierungsorganisationen (Fach-NGOs) als auch Regierungen zusammensetzen?


Die Organisation hatte sich anfangs für eine Zwischenlösung entschieden

Der Exekutivrat, der als Bindeglied zwischen der alle 2 Jahre tagenden Generalkonferenz und dem Sekreta riat fungiert und normalerweise 2 mal im Jahr zusammentritt, hat in seiner personellen Zusammensetzung deutliche Veränderungen erfahren. Ursprünglich wurden die Mitglieder als Privatpersonen, als VertreterInnen des Geisteslebens gewählt, die im Auftrag der Generalkonferenz tätig waren. Ab 1955 handelte es sich nicht mehr um unabhängige VertreterInnen der Generalkonferenz, sondern um VertreterInnen der Mitgliedstaaten, die auf 4 Jahre gewählt wurden; eine unmittelbare Wiederwahl ist nicht möglich gewesen.


Radikale Änderung der Zusammensetzung des Exekutivrats

Seit Oktober 1991 besteht der Exekutivrat nicht mehr aus Mitgliedern, die als Einzelpersönlichkeiten gewählt werden, sondern aus Mitgliedstaaten, die als "Mitglieder" bezeichnet werden. Dabei soll der kandidierende Staat darauf bedacht sein, eine Persönlichkeit vorzuschlagen, die auf einem oder mehreren Gebieten der UNESCO sachverständig ist. Eigentlich sollte jeder Mitgliedstaat seineN VertreterIn für den gesamten Zeitraum von 4 Jahren ernennen - ein Verfahren, das mit dem Rotationsmechanismus vieler Ministerien nicht unbedingt kompatibel ist. Es wird daher auch oftmals ebenso verletzt wie die geforderte Sachkompetenz. Eine Revision des Verfahrens von 1991 wurde in keiner Reformdebatte ernsthaft in Erwägung gezogen.

Neue Generaldirektorin lässt hoffen Als im Herbst vergangenen Jahres eine Neuwahl für die Führungsspitze der UNESCO anstand, gab es erstmals öffentliche Anhörungen, die im Frühjahr 2017 weltweit im Internet verfolgt werden konnten. Nach 6 Wahlgängen im Oktober 2017 konnte sich im Exekutivrat die Französin Audrey Azoulay mit einer knappen Mehrheit gegen den lange Zeit führenden Kandidaten aus Katar, Hamad Al-Kawari, durchsetzen. Die 39. Generalkonferenz nahm diesen Vorschlag mit großer Mehrheit an und wählte Azoulay zur 11. Generaldirektorin der UNESCO für eine Amtszeit von 4 Jahren. Eine Wiederwahl auf weitere 4 Jahre ist möglich.

Von der neuen Generaldirektorin werden klare Reformmaßnahmen erwartet, die sich auf folgende Bereiche konzentrieren: 1. deutliche Eingrenzung allgemeinpolitischer Stellungnahmen; 2. Konzentration der Aktivitäten auf wesentliche Prioritäten in den Kompetenzbereichen; 3. angemessene finanzielle Ausstattung der Organisation über den ordentlichen Haushalt, das heißt durch eine deutliche Erhöhung der Mitgliedsbeiträge; und 4. Neudefinition der Rolle der UNESCO als Denkfabrik innerhalb und gegenüber dem UN-System.

Ob es der neuen Generaldirektorin gelingen wird, sofort neue Akzente zu setzen, muss bezweifelt werden. Es wird keinen radikalen Wandel geben, wie unter anderem von der zuständigen deutschen Bundesministerin auf der letzten Generalkonferenz gefordert, denn es fehlen konkrete Vorschläge vor allem von denjenigen Mitgliedstaaten, die eindringlich Reformen einfordern.

Darüber hinaus gibt es noch keine Strategiepapiere von der Generaldirektorin. Die Ausschreibungen für die Einstellung neuer Beigeordneter GeneraldirektorInnen liefen bis zum 15. Januar 2018. Mitte März 2018 finden erste Vorbesprechungen für die erste Sitzung des Exekutivrates im April statt. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie bereits vorher ihr neues Team vorstellen wird. Die Tatsache, dass die 45 Jahre alte Generaldirektorin bereits einen 37-jährigen Amtschef rekrutiert hat, deutet auf eine deutliche Verjüngung hin.

Ihre Chancen, mit innovativen Reformansätzen aufzuwarten, erscheinen nicht sehr groß, denn sie ist eingebunden in den bereits verabschiedeten Arbeitsplan 2018 bis 2021 und den Finanzplan 2018 bis 2019, der notwendigerweise ein Krisenmanagement impliziert, wie im Folgenden dargestellt wird.


Finanzkrise seit 2011 - Austritt der USA und Israels

Seit 2011 ist es der Organisation nicht gelungen, alle Mitgliedstaaten zur Zahlung ihrer Pflichtbeiträge zum ordentlichen Haushalt zu bewegen. Schwerwiegende Verletzungen der Mitgliedspflichten wurden nicht einmal ansatzweise geahndet. Alternative Finanzierungsmechanismen wurden nicht ernsthaft diskutiert. Lediglich ein Notstandsfonds konnte als kurzfristiger Lösungsansatz eingerichtet werden.

Die UNESCO befindet sich heute in einer schweren Finanzkrise. Mehr noch, die beiden Mitglieder USA und Israel haben zum 31. Dezember 2018 ihren Austritt erklärt, wobei seitens der USA neben dem Vorwurf einer antiisraelischen Politik ausgerechnet ihr selbstverschuldeter, alljährlich zunehmender Schuldenberg angeführt wurde.

Ende Februar 2018 sah die finanzielle Situation wie folgt aus: Von den 195 Mitgliedstaaten hatten 53 Staaten ihre Finanzbeiträge geleistet. Dies entsprach 27 Prozent, das heißt 88,8 Millionen US-Dollar von insgesamt 326,5 Millionen US-Dollar.

Aber ganz abgesehen von dem von den USA verursachten Finanzloch in Höhe von 617 Millionen US-Dollar haben andere Mitgliedstaaten gelernt, den "ökonomischen Hebel" ebenfalls einzusetzen: So zahlte 2017 Japan seinen Pflichtbeitrag wegen der Aufnahme von Dokumenten zum Verhalten japanischer Besatzungssoldaten 1937 bis 1938 in Nanjing in das UNESCO-Weltdokumentenerbe erst am 28. Dezember, Großbritannien wegen der Kritik an den unzureichenden Reformbemühungen der Organisation erst am 19. Dezember.


Unsicherheit im aktuellen Haushalt

Anstatt sich auf eine Verdopplung der jährlichen Pflichtbeiträge zu einigen, um einen deutlichen Schritt zur Bewältigung der Finanzkrise zu wagen, diskutierten die Mitgliedstaaten mit höchster Intensität, ob der ordentliche Haushalt 2018 bis 2019 um jährlich 7 Millionen US-Dollar erhöht werden soll oder nicht.

Begrüßt wurde die Verabschiedung eines integrierten Haushaltsrahmens für die Jahre 2018 bis 2019 von insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar, bestehend aus einem regulären Haushalt in Höhe von 595,2 Millionen US-Dollar und - erwarteten - freiwilligen Beitragsleistungen in Höhe von 604,8 Millionen US-Dollar. Während für 2019 der 22-Prozent-Anteil der USA wegen des Austritts nicht mehr angerechnet wird, kann jedoch mit hoher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die rund 72 Millionen US-Dollar Ende 2018 wiederum fehlen werden. Beim Vergleich von erwarteten freiwilligen Beitragsleistungen zu Pflichtbeiträgen fällt das Übergewicht der freiwilligen Beitragsleistungen auf, die in der Regel programm- oder projektspezifisch erfolgen. Damit ist eine enorme Unsicherheit verbunden, da finanzielle Zusagen erst im Laufe der beiden Haushaltsjahre erfolgen.


Wie soll es weitergehen?

Die große Schwachstelle der Vielzahl bisheriger Reformgutachten bestand darin, dass sie die gegebenen Strukturen überhaupt nicht infrage stellten, sodass von Strukturreformen gar nicht gesprochen werden konnte. Die neue Generaldirektorin wäre gut beraten, eine unabhängige und umfassende Evaluierung mit allen interessierten VertreterInnen von Fach-NGOs und Regierungen über die existierenden funktionalen und strukturellen Probleme der UNESCO möglichst umgehend zu organisieren. Darüber hinaus sollte über eine strikte Einhaltung der Vorschriften zur Zusammensetzung des Exekutivrates sichergestellt werden, dass die notwendige Fachkompetenz zur Verfügung steht. Anderenfalls müsste die "Verstaatlichung" rückgängig gemacht werden. Schließlich: Ohne eine Verdopplung der Finanzmittel für den regulären Haushalt und eine Konzentration der Programme auf ausgewählte Prioritäten kann eine erfolgreiche Arbeit nicht gesichert werden.


Der Autor ist Universitätsprofessor a. D., Ehrenpräsident der Weltföderation der UN-Gesellschaften (WFUNA), Senior Research Fellow beim Global Policy Forum und Lehrbeauftragter für UNITAR.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2018, Seite 28-29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2018

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