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UN-REPORT/067: Bevölkerung und Klimawandel - Weltbevölkerungsbericht 2009 (DGVN)


Bevölkerung & Entwicklung Nr. 69 - Dezember 2009
Informationsdienst der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)

Bevölkerung und Klimawandel
Weltbevölkerungsbericht 2009

Von Christina Kamp


"Beim Klimawandel geht es um Menschen. Menschen verursachen Klimawandel, Menschen sind davon betroffen, Menschen müssen sich daran anpassen. Und nur Menschen haben die Macht, ihn aufzuhalten", heißt es im aktuellen Weltbevölkerungsbericht 2009 des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). Der Bericht "Eine Welt im Wandel: Frauen, Bevölkerung und Klima" stellt die Menschen - und insbesondere die Frauen - in den Mittelpunkt. Die internationale Klimapolitik könne nur dann erfolgreich sein, wenn sie die Bevölkerungsentwicklung stärker berücksichtigt, lautet die Schlussfolgerung des Berichts, den die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) in deutscher Kurzfassung im November 2009 in Berlin vorgestellt hat.


Aktuellen Projektionen zufolge wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 von heute 6,8 Milliarden auf 9,1 Milliarden Menschen anwachsen. 98 Prozent dieses Bevölkerungswachstums finden in den Entwicklungsländern statt. Gleichzeitig verändert sich das Klima, mit verheerenden Folgen vor allem in armen Ländern, die am wenigsten darauf vorbereitet sind. Der Weltbevölkerungsbericht zeigt, dass Familienplanung, reproduktive Gesundheit und die Förderung von Frauen den Klimawandel beeinflussen können. UNFPA untersucht in dem Bericht nicht nur die Wechselwirkungen zwischen dem Klimawandel und Bevölkerungsdynamik, Umweltmigration und Armut, sondern präsentiert auch Lösungswege zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Der Bericht nimmt Bezug auf die kommenden Klimaverhandlungen in Kopenhagen im Dezember dieses Jahres und gibt konkrete Empfehlungen ab (s. u.).

Die Autoren des Weltbevölkerungsberichts fordern die Regierungen auf, die Planung und das Management umweltbedingter Migration zu verbessern und in die Katastrophenvorsorge zu investieren. In Kopenhagen dürfe es nicht nur um klimafreundliche Technologien und die Reduktion von Treibhausgasen gehen. "Die Klimadebatte der Zukunft muss über technische und finanzielle Fragen hinaus geöffnet werden und die menschlichen Dimensionen des Klimawandels einschließlich der Gender-Thematik berücksichtigen", schreibt UNFPA-Direktorin Thoraya Ahmed Obaid in ihrem Vorwort zum Weltbevölkerungsbericht.


Klimawandel verschärft Armut

Bislang habe sich die Klimadebatte größtenteils um die relative Verantwortung der einzelnen Länder zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen und zur Finanzierung der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Energieversorgung und andere klimafreundliche Technologien gedreht. Diese Fragen seien zwar von entscheidender Bedeutung. Wichtig sei aber auch die Frage nach den unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Bevölkerung in den Regionen sowie in den einzelnen Ländern - als auch nach den unter schiedlichen Folgen für Männer und Frauen.

Der Klimawandel droht die Armut weiter zu verschärfen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen in noch tieferes Elend zu stürzen. Weltweit leben zahllose arme Menschen in Küstengebieten, in tief liegenden Mündungsdeltas oder auf Inseln. Viele von ihnen sind Kleinbauern oder beziehen ihren Lebensunterhalt aus dem Meer. Arme Haushalte sind Klimaveränderungen besonders schutzlos ausgeliefert, da sie wenig oder keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten und anderen Sozialleistungen haben, die sie vor den Folgen der sich verändernden Bedingungen schützen könnten - und da es ihnen an finanziellen Mitteln mangelt, können sie der drohenden Gefahr durch Migration auch nicht entgehen.


Demographische Faktoren

Die Klimawissenschaftler, und das gilt auch für die Autoren der Berichte des Weltklimarates (IPCC), sind sich bewusst, welch bedeutende Rolle die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Bevölkerungswachstums in den letzten Jahrzehnten für den Anstieg der künftigen Treibhausgasemissionen spielen. Langfristig könnte ein langsameres Bevölkerungswachstum helfen, die globalen Emissionen in eine Balance mit der Atmosphäre zu bringen. Kurz- und mittelfristig könne es den Ländern helfen, sich besser an Klimaveränderungen anzupassen, heißt es im Weltbevölkerungsbericht.

Die Auswirkungen des Bevölkerungswachstums auf die Treibhausgasemissionen sind aber nicht die einzige Verbindung zwischen Demographie und Klimawandel. Die Haushaltsgröße ist eine weitere Variable, die mit darüber bestimmt, wie viele Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt werden. Wie Studien gezeigt haben, ist der durchschnittliche Energieverbrauch pro Kopf in kleineren Haushalten höher als in größeren Haushalten. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Veränderungen in der Altersstruktur und geographischen Bevölkerungsverteilung - der Trend zum Leben in der Stadt beispielsweise - den Anstieg der Emissionen beeinflussen.

Das Bevölkerungswachstum kann in vielen Regionen zur Verknappung natürlicher Ressourcen wie Wasser und Ackerland führen und damit die Folgen des Klimawandels verschärfen. In armen Ländern entstehen zusätzliche Hürden bei der Armutsbekämpfung, die die Millenniums-Entwicklungsziele aufs Spiel setzen könnten. "Gesundheit muss daher Schwerpunkt der Entwicklungshilfe sein - gerade angesichts des Klimawandels. Sonst riskieren wir, die hart errungenen Entwicklungsfortschritte für immer zu verlieren", mahnt DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr.

Wie stark eine Verringerung des Bevölkerungswachstums ins Gewicht fallen wird, hängt auch von den zukünftigen globalen ökonomischen und technologischen Trends sowie der Entwicklung des Konsums ab. Nach Schätzung von Experten würden bei einem Anstieg der Weltbevölkerung bis 2050 auf nur acht Milliarden anstelle der bislang projizierten neun Milliarden Menschen etwa ein bis zwei Milliarden Tonnen weniger Kohlendioxid (CO2) freigesetzt.


Frauen sind besonders betroffen

Der Klimawandel wird nicht nur Menschenleben in Gefahr bringen und die Lebensgrundlagen verringern, er verschärft auch die Kluft zwischen reichen und armen Menschen und die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern. Denn er wirkt sich - insbesondere in armen Ländern - auf Frauen anders aus als auf Männer. Kommt es zu Dürren oder unregelmäßigen Regenfällen, müssen Frauen deutlich mehr Zeit und Energie aufwenden, um Nahrung, Wasser und Brennmaterial heranzuschaffen.

Die Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen und die mangelnde Aufmerksamkeit für die negativen Folgen der Geschlechterungleichheit für Entwicklung, Gesundheit, Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Menschen schwächen die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften gegenüber dem Klimawandel. Am anpassungsfähigsten seien Gesellschaften, in denen alle Menschen zur Schule gehen können, Zugang zu Gesundheitsfürsorge haben, den gleichen Schutz der Gesetze genießen, in der Lage sind, über ihr eigenes Leben zu bestimmen und in vollem Umfang an politischen Entscheidungsprozessen partizipieren können, heißt es im Weltbevölkerungsbericht. Eine solche Anpassungsfähigkeit wurzelt häufig auch direkt in der Kultur, beispielsweise in den weit verbreiteten Traditionen, Bedürftigen zu helfen und in Zeiten der Not zusammenzuhalten.

Der Weltbevölkerungsbericht zeigt, dass Investitionen in Frauen und Mädchen die ökonomische Entwicklung vorantreiben, die Armut bekämpfen helfen und zugleich die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegenüber den Folgen des Klimawandels stärken kann. Entsprechend würde eine stärkere Partizipation von Frauen in der Klimafrage - ob als Wissenschaftlerinnen, als Aktivistinnen oder als Unterhändlerinnen bei Klimakonferenzen - neue Perspektiven und Lösungsansätze bringen und könne sich positiv auf die gesellschaftliche Antwort auf den Klimawandel auswirken.


Reproduktive Gesundheit

Die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo war ein Meilenstein in der Geschichte der Bevölkerungs- und der Entwicklungspolitik. Auf dieser Konferenz kam die Welt überein, dass es in der Bevölkerungspolitik nicht um Zahlen geht, sondern um die Menschen. Wenn neben dem Zugang zu Dienstleistungen der Basisgesundheit und Grundbildung der Bedarf an freiwilliger Familienplanung und reproduktiver Gesundheitsfürsorge erfüllt wird, dann wird sich die Weltbevölkerung auf natürlichem Wege, nicht durch Zwang oder Kontrolle, stabilisieren - so die Annahme im von 179 Ländern angenommenen Kairoer Aktionsprogramm. Der Rückgang der Geburtenraten würde zu einer niedrigeren Bevölkerungszahl führen als in den meisten Treibhausgas-Emissionsszenarien zugrunde gelegt wird.

"Ein Kopenhagener Abkommen, das der Menschheit hilft, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und sich an den Klimawandel anzupassen, indem es das Wissen und die Kreativität von Frauen und Männern mobilisiert und erschließt, würde den Startpunkt einer wahrhaft wirksamen langfristigen Strategie für den Umgang mit dem Klimawandel markieren", so UNFPA-Direktorin Obaid.


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Empfehlungen des Weltbevölkerungsberichts für die
Klimaverhandlungen in Kopenhagen

Den Unterhändlern, die im Dezember 2009 zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen zusammenkommen, empfehlen die Autoren des Weltbevölkerungsberichts 2009 Maßnahmen in fünf wichtigen Bereichen:

1. Auf allen Ebenen der Klima- und Umweltdiskussionen ein besseres Verständnis von Bevölkerungsdynamik, Gender und reproduktiver Gesundheit einbringen.

2. Dienstleistungen der Familienplanung und Verhütungsmittel im Rahmen der reproduktiven Gesundheit und Rechte vollständig finanzieren und sicherstellen, dass niedrige Einkommen keine Zugangsbarriere darstellen.

3. Forschung und Datenerhebung darauf ausrichten, das Verständnis der Geschlechterfrage und der Bevölkerungsdynamik für die Minderung des Klimawandels und die Anpassung an seine Folgen zu verbessern.

4. Die geschlechtsspezifische Aufschlüsselung von Daten zu umweltbedingter Migration verbessern und heute schon mit den Vorbereitungen auf die - infolge des Klimawandels erwarteten - größeren Bevölkerungsbewegungen beginnen.

5. Aspekte zur sozialen Geschlechterfrage in die globalen Bemühungen zur Minderung des Klimawandels und die Anpassung an seine Folgen integrieren.


Weitere Informationen:
www.weltbevoelkerung.de
www.unfpa.org

At the Frontier: Young People and Climate Change. Youth Supplement to UNFPA's State of the World Population Report. New York, 2009,
www.unfpa.org/ swp/2009/en/ypreface.shtml

UNFPA-Weltbevölkerungsbericht 2009. Eine Welt im Wandel: Frauen, Bevölkerung und Klima. Kurzfassung.
Hrsg. Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), Hannover, 2009, 58 Seiten. Download:
www.weltbevoelkerung.de/pdf/WBB_09_deutsch_final.pdf



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Quelle:
Bevölkerung & Entwicklung Nr. 69 - Dezember 2009, S. 1-3
Herausgeber:
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
Zimmerstraße 26/27, 10969 Berlin
E-Mail: info@dgvn.de
Internet: www.dgvn.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010