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UN-REPORT/072: UN-Sonderkomitee legt kritischen Bericht über Situation im Gazastreifen vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2011

Nahost: UN-Sonderkomitee legt kritischen Bericht über Situation im Gazastreifen vor

Von Thalif Deen


New York, 2. August (IPS) - Die UN-Vollversammlung hatte im Dezember 1968 ein dreiköpfiges Sonderkomitee einberufen, um die israelischen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Palästinensergebieten untersuchen zu lassen. Israel war verärgert und verweigerte dem Komitee den Besuch im Gazastreifen und im Westjordanland. So sahen sich die drei UN-Diplomaten gezwungen, die alle sechs Monate stattfindenden Anhörungen von Palästinensern auf die Städte Kairo, Amman und Damaskus zu verlegen. Doch inzwischen hat sich die geopolitische Lage drastisch gewandelt. Und erstmals seit 43 Jahren konnten Gespräche mit ägyptischer Hilfe im Gazastreifen geführt werden.

Die neue ägyptische Regierung hat nach dem Sturz des israelfreundlichen ehemaligen Staatspräsidenten Hosni Mubarak durch einen Volksaufstand im Februar dem 'UN-Sonderausschuss zur Untersuchung israelischer Praktiken, die die Menschenrechte des palästinensischen Volkes und anderer Araber der besetzten Gebiete beeinträchtigen', über den Grenzkontrollposten Rafah die Einreise in den Gazastreifen ermöglicht. Die Entscheidung kommt einem Tabubruch gleich.

Der Besuch bestätigte das, was das Komitee seit langem kritisiert und in einem neuen vorläufigen Bericht festgehalten hat: die entsetzlichen Lebensbedingungen der Palästinenser und die verheerenden Auswirkungen der israelischen Wirtschaftsblockade. Israel verstoße fortgesetzt gegen internationales Recht, hieß es. "Leider mussten wir feststellen, dass die von Israel gegen den Gazastreifen verhängten Restriktionen die kollektive Bestrafung der Bevölkerung zur Folge haben."

Die Untersuchung weist darauf hin, dass Israel dem Gazastreifen 35 Prozent Land durch die Einrichtung einer Pufferzone genommen hat. Außerdem wurden die palästinensischen Fischereigebiete auf drei Seemeilen vor der Küste verkleinert. Diese Maßnahmen hätten dazu geführt, dass sich die Menschen im Gazastreifen kaum selbst ernähren, geschweige denn die zerschmetterte Wirtschaft durch Exporte auf die Beine bringen können. "Wir sind über Berichte alarmiert, dass Israel die Einhaltung der Restriktionen mit Waffengewalt auch gegen Kinder und ältere Menschen durchsetzt", kritisierte das Komitee.

Dem Komitee gehören die ständigen Vertreter Sri Lankas, Malaysias und Senegal bei den Vereinten Nationen, Palitha T.B. Kohona (Vorsitz), Hussein Haniff und Fod Seck an. Sie werden der UN-Vollversammlung im September einen umfassenden Bericht vorlegen. Die Lebensbedingungen im Gazastreifen seien, "um es vorsichtig auszudrücken, sehr unzufriedenstellend, und daran ist die Blockade schuld", sagte UN-Botschafter Kohona im Gespräch mit IPS. Ein Ende der Blockade mit ihren verheerenden wirtschaftlichen, bildungspolitischen, psychologischen, gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen würde sich wirtschaftlich und ökonomisch sofort positiv auf die Menschen im Gazastreifen auswirken und als vertrauensbildende Maßnahme wirken.

Israels fortgesetzte Abriegelung des Gazastreifens verstoße gegen die Menschenrechte der dort lebenden Palästinenser und gegen internationale humanitäre Rechte und Standards, so Kohona, ein ehemaliger Leiter der UN-Vertragsabteilung. Sie sei repressiv und lebensgefährdend und müsse endlich aufgehoben werden.

Der Bericht des Komitees basiert auf Aussagen von Opfern, Zeugen und UN-Vertetern. Er dokumentiert die gravierenden Auswirkungen der Blockade auf die Menschenrechte. Wohngebäude, Schulen und andere Infrastrukturen sind durch die Bombardierung des Gazastreifens durch Israel im Dezember 2008 und Januar 2009 zerstört worden und konnten aufgrund der Beschränkungen, was den Import von Baumaterialien angeht, nicht wieder aufgebaut werden.

Die Wirtschaftsleistung hat erheblich abgenommen und kann lediglich durch den Schmuggel durch unterirdische Tunnel aufrechterhalten werden. Dem Komitee zufolge läge es in der Verantwortung der Besatzungsmacht, den Wiederaufbau des Gazastreifens zu unterstützen.

Abgesehen von der Notwendigkeit, Wohnhäuser, Schulen und Geschäfte wieder aufzubauen, müssten dringend Wasseraufbereitungsanlagen, Straßen, Abwässerkanäle und Strom bereitgestellt werden. Das Komitee würdigte in diesem Zusammenhang das Engagement lokaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und insbesondere die Arbeit der Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge in Nahost UNRWA.


Traumatisierte und chancenlose Kinder

Für viele palästinensische Kinder sieht die Zukunft düster aus. Sie litten unter gesundheitlichen, psychologischen und sozialen Problemen, die Schulabbrüche und Kinderarbeit begünstigen, monierte das UN-Komitee. "Wir hoffen, dass die israelische Regierung ernsthaft die möglichen Konsequenzen für Generationen von Kindern bedenkt, die unter Entbehrungen und einem Mangel an Möglichkeiten ohne Aussicht auf ein produktives und hoffnungsvolles Leben leiden."

Die Verstöße Israels gegen die Rechte palästinensischer Kinder waren ein konstantes Thema bei den Anhörungen im Gazastreifen. So berichteten Zeugen und Behördenvertreter, dass palästinensischen Mädchen und Jungen der Zugang zu Bildung durch Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit und der Sicherheitsmauer vor allem in Ostjerusalem und im Gazastreifen und durch Drohungen und Gewalt von Seiten israelischer Siedler versperrt werde.

Das Komitee äußerte sich zudem besorgt über die hohe Zahl von Minderjährigen, die in israelischen Gefängnissen einsitzen und zweifelhaften Verhörtechniken und Folter unterzogen und mit ihren Familien aus ihren Dörfern vertrieben werden. Auch die Praxis israelischer Sicherheitskräfte, nachts in die Häuser von Palästinensern einzudringen, um selbst siebenjährige Kinder abzuführen, wurde heftig kritisiert.

Der neuntägige Arbeitsbesuch des Komitees in der Region beinhaltete auch Anhörungen in der jordanischen Hauptstadt Amman über die Menschenrechtssituation im Westjordanland und auf den syrischen Golanhöhen.

Wie Kohona IPS berichtete, reisten die Komiteemitglieder in gepanzerten Fahrzeugen in den Gazastreifen. Auf der Hotelterrasse hätten sie sich ausgemalt, wie das Leben für die Palästinenser aussehen könnte, würde die israelische Blockade endlich aufgehoben. "Familien würden genussvoll auf der Terrasse zu Abend essen, während die Sonne langsam im Meer versinkt. Der Rauch der Schischapfeifen durchzöge die Luft, während die Kinder spielten und die Fischerboote aufs Meer hinausführen. Vielleicht eines Tages!" (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2011