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AGRAR/1514: Betriebskalkulationen - "Richtig rechnen aber wie?" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Richtig rechnen aber wie?"

Betriebskalkulationen können Betriebe erfolgreich oder auch schlecht darstellen.
Je nachdem welche Zahlen man zugrunde legt

von Onno Poppinga


Auf der diesjährigen Milchtagung von ABL, KljB und Universität Kassel wurde als letzter Tagesordnungspunkt eine Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit der Milcherzeugung in Ökobetrieben vorgestellt. Den Tagungsteilnehmern, die bis dahin sehr lebendig und anregend diskutiert hatten, schien es "die Sprache zu verschlagen". Zu negativ war das Ergebnis dieses letzten Beitrages. Im schriftlichen "Fazit" des Referenten hieß es wörtlich: "Negativer Unternehmensgewinn - Ackerbau - Quersubventionierung, AfA "verfrühstücken", hohe Arbeitsbelastung, Sparsamkeit, Verschuldung, Landverkauf." Auf der Tagung selber gab es spontan zwei kritische Kommentare:

Josef Jacobi, der die Tagungsleitung hatte, stellte die negativen Ergebnisse generell in Frage. Er verwies auf die wirtschaftlich erfreulichen Ergebnisse der Milchviehhaltung im eigenen Betrieb und informierte darüber, dass ca. 50 Mitglieder der Erzeugergemeinschaft, der die Biomolkerei Usseln gehört, innerhalb einer Woche in der Lage gewesen seien, zum Kauf einer weiteren Molkerei eine Million Euro aus Eigenmitteln zur Verfügung zu stellen. Die Betriebe hätten also offensichtlich gut mit ihrer Milchviehhaltung verdient.

Christian Krutzinna, Geschäftsführer des Versuchsbetriebs der Universität Kassel, stellte das Vorgehen bei der Ermittlung der Höhe der Abschreibung für Gebäude und Maschinen in Frage (Beide Kostenblöcke wurden so behandelt, dass am Ende des Abschreibungszeitraums kein Restwert mehr vorhanden sei). Die Nichtberücksichtigung der Restwerte, die erfahrungsgemäß vor allem bei Wirtschaftsgebäuden eine beachtliche Höhe haben, täusche zu hohe Gebäude- und Maschinenkosten vor und stelle die Wirtschaftlichkeit schlechter dar, wie sie sei. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die derartige Wirtschaftlichkeitsberechnungen aktuell auch im Zusammenhang mit Vollkostenrechnungen haben, habe ich mir das methodische Vorgehen im Vortrag prüfend angesehen. Es ist gut dokumentiert im Projektbericht einer Untersuchung, deren Ergebnisse in den Vortrag einbezogen worden waren: Deittert, Müller-Lindenlauf, Athmann und Köpke "Ökobilanz und Wirtschaftlichkeit ökologisch wirtschaftender Milchviehbetriebe mit unterschiedlicher Fütterungsintensität und Produktionsstruktur". Es ist dies der Abschlussbericht eines vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau geförderten Projekts an der Universität Bonn. (http://www.orgprints.org/13567/)

Die mehrjährigen Ergebnisse von 43 im Rahmen des Projekts untersuchten Betriebe (die Schwerpunkte der Betriebe lagen in Nordrhein-Westfalen, ergänzt um Betriebe aus den Neuen Bundesländern und aus dem Allgäu) wurden im Vortrag ergänzt durch Daten von zehn Betrieben in Hessen, die vom AK Ökomilch Hessen betreut worden waren.


Vergleiche sind schwer

Vorweg ist anzumerken, dass eine Beurteilung nach "richtig" oder "falsch" für ein methodisches Vorgehen bei der Untersuchung der Wirtschaftlichkeit von landwirtschaftlichen Betrieben durchaus nicht so einfach ist. Scheint das für den Einzelbetrieb noch ein sehr lösbares Problem zu sein, so wird es beim Versuch, unterschiedliche Betriebe zu vergleichen, sehr schwierig. Als ich seinerzeit an der Landw. Hochschule Stuttgart-Hohenheim im Fach Betriebswirtschaft bei Prof. Dr. Reisch mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen vertraut gemacht wurde, war deren Basis noch der pacht- und schuldenfreie Betrieb. D. h. bei der einzelbetrieblichen Ermittlung des Betriebseinkommens wurden die Pachtzahlungen und Kreditzinsen als Kosten erfasst, beim Vergleich mehrerer Betriebe wurden sie dagegen weggelassen. Der Grund war einsichtig: Mitte der 60iger Jahre hatte ein Großteil der Betriebe schlichtweg keine Kredite und kein Pachtland (bzw. beides nur in geringem Umfang). Angesichts der heutigen Verhältnisse wäre ein Vergleich der Wirtschaftlichkeit landw. Betriebe nach der Maßgabe "schulden- und pachtfrei" natürlich nicht mehr sinnvoll. Zu allgemein ist Pacht verbreitet, zu allgemein werden Kredite in Anspruch genommen. Aber wie damit beim Vergleich von Betrieben umgehen? Generell gilt: Die Verfahren von Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind zeitgebunden - sie sind aber vor allem auch interessensgebunden. So wurde bezüglich der Abschreibungen bei den insgesamt 53 untersuchten Ökobetrieben nach Aussage des Referenten nicht von den real zum Zeitpunkt der Investition angefallenen Kosten ausgegangen, sondern der Abschreibung wurde der sogenannte Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt! (D. h.: was wird der Stall vermutlich kosten, wenn er am Ende des Abschreibungszeitraums neu errichtet werden würde?). Dieses Vorgehen wird seit langem vom Deutschen Bauernverband gefordert und läuft darauf hinaus, für den Besitzer von Anlagevermögen den Kaufkraftverlust außer Kraft zu setzen. Konsequenz wäre, dass die Höhe der Abschreibung deutlich ansteigt, die Wirtschaftlichkeit sich ebenso deutlich verschlechtert. Bei keinem Finanzamt käme man damit durch - aber man kann es ja mal fordern und so "tun als ob".


So tun als ob

Im Folgenden sei auf einige weitere diskussionswürdige Rechenschritte eingegangen.

1. So tun, als ob Kosten = kalkulatorische Kosten = Kosten für entgangenen Nutzen = Faktorkosten

Die "so tun als ob Kosten" spielen in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Zum einen beim Versuch, Betriebe zu vergleichen. Landwirtschaftliche Betriebe sind immer sehr individuell, unterscheiden sich in vielen Merkmalen. Will man z. B. bei agrarökonomischen Untersuchungen eine Frage speziell untersuchen, so ist es eine verbreitete Methode, möglichst viele der einzelbetrieblichen Unterschiede dadurch zu vereinheitlichen, dass man sie durch ein pauschales Vorgehen einzuebnen versucht. Hoffnung ist, durch dieses Vorgehen die Frage, die man speziell untersuchen will, so klar herauszuarbeiten, dass eindeutige Ergebnisse möglich sind. Am konkreten Beispiel: Betriebe unterscheiden sich sehr oft durch den Anteil an Pachtland. Wurde zu meiner Studienzeit die Pacht generell unterschlagen (und dadurch so getan, als wenn alle Betriebe nur Eigenland hätten) so wird heute üblicherweise so vorgegangen, als wenn alles Land nur Pachtland sei (d. h. um den Unterschied einzunehmen, wird das Land im Eigentum unterschlagen). Im Bestreben, eine spezifische Frage zu klären, kann so ein Vorgehen vertretbar sein. Es führt aber gleichzeitig dazu, dass die so vielfältig "egalisierten" Betriebe kaum noch was zu tun haben mit den realen Ausgangsbetrieben. Um auf das Forschungsprojekt der Universität Bonn zurückzukommen: Mit dem Projekt sollte speziell die Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Fütterungsintensitäten untersucht werden. Daraufhin wurden die zahlreichen Unterschiede der realen Betriebe "egalisiert". D. h. dort wo egalisiert" wurde, kann man korrekterweise die Daten nicht mehr heranziehen für Aussagen über die Verhältnisse in den Ausgangsbetrieben. Korrekterweise muss hier auch gesagt werden, dass in der Untersuchung der Universität Bonn an mehreren Stellen darauf hingewiesen wird, dass durch die verwendeten Rechnungsschritte die Werte nicht mehr für eine Darstellung der wirtschaftlichen Gegebenheiten in den realen Betrieben verwendet werden dürfen. Einen durchaus anderen Zusammenhang haben die "so tun als ob Kosten", wenn sie benutzt werden sollen, um zusätzliche Einkommensansprüche zu begründen. Die Argumentation sieht in der Regel folgendermaßen aus: Landwirte sollten als Kapitalbesitzer fordern, zusätzlich zum Gewinn sich auch noch die bloße Bereitstellung von Kapital bezahlen zu lassen. Beispielsweise beim eigenen Boden: Diesen setze man zwar für die Nutzung im eigenen Betrieb ein, potentiell könne man ihn aber auch verpachten. Dieses Nicht-Verpachten sei zu bewerten als entgangener Nutzen, auf den der Kapitalbesitzer einen Pachtanspruch erheben sollte. Eine gekünzelte, eine schräge Argumentation? Nicht unbedingt, es hängt schlicht von der politischen Durchsetzungsfähigkeit der Interessensgruppe ab, die so argumentiert. So haben z. B. die Unternehmen der Energiebranche nach der für sie kostenlosen Zuweisung von Emissions-(=Verschmutzungs)-rechten durch die Bundesregierung die Strompreise erhöht. Ihre Begründung lautete: Es gäbe nun ja auch einen Markt, auf dem sie ihre Emissionsrechte verkaufen könnten. Sie täten das zwar nicht, das seien aber trotzdem als entgangener Nutzen Kosten, die sie bei den Stromkosten zusätzlich in Rechnung stellen müssten. Das Bundeskartellamt ging zwar gegen diese schräge Argumentation vor, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Preiserhöhung bei Strom blieb (zumindest bei den Privatverbrauchern; für die Industrie einigte man sich auf ein eigenes Verfahren). Zurück zur Bonner Untersuchung "Ökobilanz und Wirtschaftlichkeit...". Auf Grund der Datenlage wurden "so tun als ob Kosten" angenommen für den Boden, für die Milchquote und für Gebäude. Für alle Flächen (also auch für die Eigentumsflächen) wurde der ortsübliche Pachtpreis als Zinsanspruch eingesetzt; für die eigene Milchquote eine einheitliche Quotenpacht unterstellt (also auch für den Teil der Milchquote, der im Jahr 1984 den Betrieb kostenlos zugeteilt worden ist). Allein diese "so tun als ob Kosten" für die Milchquote erhöhten die "Kosten" der Milcherzeugung um ca. 2 bis 3 Cent - entsprechend reduzierten sich die Daten für den wirtschaftlichen Erfolg!

Zusätzlich zu den "so tun als ob Kosten" für die Milchquote und den Boden wurden sie noch berechnet für die Zinsansprüche auf "Gebäudekosten und sonstige Kosten". Angenommen wurden dadurch fiktive zusätzliche Kosten von 2 bzw. 1 Cent je kg Milch.


Fazit:

Die Einbeziehung von "so tun als ob Kosten" hat zwar keine Basis in den Realkosten, bewirkt aber eine scheinbare Verschlechterung des wirtschaftlichen Erfolgs. Unter Realkosten ist zu verstehen: Was muss real gezahlt werden? (Ökonomen, die sich in der Geschichte ihrer Disziplin auskennen, nennen sie auch "pagatorische Kosten". In der italienischen Sprache bedeutet "pagare" "zahlen").


Investitionsförderung

In der Bonner Untersuchung und im Vortrag auf der Milchtagung wurde nicht darauf eingegangen, ob die Betriebe Investitionsförderung nach dem AFP erhalten haben. Da die Investitionsförderung aber gerade bei Stallbauvorhaben weit verbreitet ist, ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der 53 Betriebe, zu deren Wirtschaftlichkeit Aussagen gemacht wurden, eine solche Förderung erhalten haben. Da Betriebe aus mehreren Bundeslandern beteiligt sind und da mehrere Wirtschaftsjahre ausgewertet wurden, kann nicht detailliert zu deren Höhe etwas ausgesagt werden (in den meisten Fällen durften sie bei 25 bis 30 Prozent der Baukosten gelegen haben). Die Nicht-Berücksichtigung der AFP-Förderung führt zumindest bei den (vielen?) Betrieben, die diese Förderung erhalten haben, ebenfalls zu einer künstlichen Erhöhung der Kosten der Milcherzeugung. Etwas genauer betrachtet: Im Falle einer Förderung durch das AFP gehen die Buchstellen üblicherweise folgendermaßen mit dieser Subvention um. Die Anschaffungskosten der Gebäude werden in ihrer ursprünglichen Höhe (also ohne Abzug der AFP-Mittel) als Kosten verbucht und von der Höhe dieser Anschaffungskosten wird die jährlich zu berücksichtigende Abschreibung berechnet. Dagegen werden die AFP-Mittel als Einnahme gebucht (ähnlich wie die staatlichen Direktzahlungen) und ebenfalls auf den Abschreibungszeitraum verteilt (als passive Rechnungsabgrenzung). Das findet sich in der Untersuchung aus Bonn aber nicht bei den Einnahmen.

Fazit: Hat ein Betrieb AFP erhalten und wird die Abschreibung auf die ursprünglichen Gebäudekosten bezogen (ohne gleichzeitige Berücksichtigung der AFP als Einnahmen), so werden diese Gebäudekosten deutlich zu hoch berechnet.

Warum dieser Artikel geschrieben werden musste? Nicht um die Wirtschaftlichkeit der Milchviehhaltung in Ökobetrieben "schön zu rechnen", sondern um ein nüchternes, ein realistisches Ergebnis zu ermöglichen: Verwendet man unrealistischerweise Abschreibungen vom "Wiederbeschaffungswert"; berücksichtigt man bei der Abschreibung nicht die Restwerte; behandelt man "so tun als ob Kosten" ("kalkulatorische Kosten") als wenn sie wirklich real anfallen würden; und berücksichtigt man nicht die erhaltene AFP-Förderung, so rechnet man die Wirtschaftlichkeit schlecht.


Misstrauische Frage

Anders formuliert: Angesichts der guten Wirtschaftlichkeit der Ökomilcherzeugung ist es nicht überraschend, dass Mitglieder der Milcherzeugergemeinschaft Usseln für den Kauf einer zweiten Molkerei soviel Geld zur Verfügung stellen konnten.

Eine misstrauische Frage bleibt mir: Das dargestellte methodische Verfahren ist ganz und gar üblich; Vorgaben der DGL z. B. fordern dazu auf, genauso zu rechnen. Ist es vielleicht Absicht, durch ein derartiges methodisches Vorgehen die Betriebe unter Druck zu setzen, ihnen Angst zu machen, sie zu weiteren Investitionen, Rationalisierungsmaßnahmen und Intensitätssteigerungen anzuregen?

Fazit: Die Verwendung von "so tun als ob Kosten" ist sinnvoll für betriebsindividuelle Planungen. Für die Untersuchung - und öffentliche Darstellung - der Wirtschaftlichkeit von Betrieben führen sie sowohl die Bauern wie auch die Öffentlichkeit in die Irre.


Onno Poppinga emeritierter Prof der Agrarwissenschaften Fachgebiet Landnutzung und regionale Agrarpolitik


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Die Höhe der Abschreibungen für Maschinen und Gebäude und deren kalkulierte Restwerte haben einen großen Einfluss auf das Ergebnis der Betriebskalkulation.
- Land: Eigentum oder gepachtet. In der Betriebskalkulation ein entscheidender Unterschied


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011, S. 6-7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2011