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ARBEIT/2400: Altern im Beruf - Deutschland braucht Mentalitätswandel (idw)


Universität Rostock - 09.02.2015

Forscherin der Uni Rostock: Deutschland braucht Mentalitätswandel

Altern im Beruf - (k)eine Option?

von Wolfgang Thiel


Soll Arbeit im Alter zur Regel werden? "Deutschland braucht mehr Fachkräfte", sagt Professorin Dr. Thusnelda Tivig, Leiterin des Departments "Altern des Individuums und der Gesellschaft" der Interdisziplinären Fakultät der Universität Rostock in der Veranstaltung Denkwerkstatt Demografie des Rostocker Zentrums zur Erforschung des demografischen Wandels. Für die Volkswirtin ist es unumstritten, dass "die Arbeitskraft älterer Menschen eine Kompensationsmöglichkeit für sinkende Nachwuchszahlen darstellt, auf die wir nicht verzichten können."

"Altern im Beruf - (k)eine Option?" Die herkömmliche Vorstellung sei, so Tivig, "dass der längere Verbleib im Beruf von den Arbeitsbedingungen abhängt, allen voran der Belastung im Job". Das vielerwähnte Beispiel des Dachdeckers scheine das bestens zu veranschaulichen. "Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Vorstellung irreführend ist", kommentiert die Forscherin.

"Anders als erwartet, erweisen sich auch Berufe mit hoher physischer und psychischer Belastung als für Ältere gut geeignet. Unsere Studien belegen das für Gesundheits- und Pflegeberufe, wie Krankenschwester oder Helfer in der Krankenpflege." Der Verbleib in diesen Berufen im Alter 55 ist überdurchschnittlich, die Abgangsrate im Alter 60-64 Jahre ist in den letzten Jahren stark gesunken. Bankfachleute und Buchhalter hingegen, deren Belastung im Beruf als niedrig eingestuft wird, verbleiben im Alter 55 nur unterdurchschnittlich lange im Beruf und weisen eine weit höhere Abgangsrate aus dem Beruf vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter auf. Mehr noch: In die hoch belastenden Gesundheits- und Pflegeberufe gibt es auch im Alter über 45 Jahre noch Nettozuwanderung, in den Beruf der Bankfachleute hingegen nicht.

Eine mögliche Erklärung für die kontraintuitiven Ergebnisse könnte im Falle der Gesundheits- und Pflegeberufe die hohe Teilzeitquote sein. Sie liegt in diesen von Frauen dominierten Berufen bei 40 bis 50 Prozent. "Physische und psychische Belastungen lassen sich bei Teilzeitarbeit besser verkraften und die kumulierte Belastung über den gesamten Erwerbsverlauf fällt niedriger aus", skizziert die Wissenschaftlerin. Sie empfiehlt daher, die Belastung in einem Beruf nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfassen, sondern über den gesamten Berufsverlauf zu bewerten. Weiterhin dürfe nicht vergessen werden, dass auch der technisch-organisatorische Fortschritt Belastungen reduzieren kann.

Viele Unternehmen in Deutschland nehmen schon heute einen Fachkräftemangel wahr. Nicht nur Ingenieure und Informatiker sind knapp. Auch für die duale Berufsausbildung gibt es nicht mehr genügend Nachwuchs. In immer mehr Betrieben bleiben Lehrstellen unbesetzt. Deshalb wird die Arbeitskraft der Älteren immer wichtiger. Der demografische Wandel, über den Deutschland seit Jahrzehnten debattiert, ist kein Zukunftsthema. Er findet schon seit Jahrzehnten statt und seine Folgen haben den Arbeitsmarkt längst erreicht. Dennoch verließen viele Ältere nach wie vor den Beruf vor Erreichen des Renteneintrittsalters. Als einen entscheidenden Faktor dafür sieht die Rostocker Forscherin die Rentengesetzgebung. Die Abgangsraten der 60-64-Jährigen seien nach Einführung von Frühverrentungsabschlägen entweder drastisch gesunken oder nach einigen Schwankungen im Trend sinkend verlaufen. Die abschlagsfreie Rente mit 63 bewirke nun genau das Gegenteil. Braucht Deutschland also einen Mentalitätswandel? "Ja", meint Tivig, "unbedingt. Und seine Herausbildung sollte durch verlässliche Politikmaßnahmen nicht gebremst, sondern unterstützt werden."

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution210

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Rostock, Ingrid Rieck, 09.02.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2015

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