Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


ARBEIT/2714: Gute Arbeit, schlechte Arbeit, keine Arbeit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Gute Arbeit, schlechte Arbeit, keine Arbeit
Das Arbeitsplatz-Argument zwischen Tatsachen und Spekulation

von Jürgen Maier


Arbeitsplätze sind der Joker in jeder Diskussion. Sie können vorschlagen, was Sie wollen, mehr Umweltschutz, besseren Verbraucherschutz, mehr Chancengleichheit, aber wenn der Vorwurf kommt, das ist ja alles ganz nett, aber es kostet Arbeitsplätze, dann sind Sie in der Defensive. Krönen Sie aber Ihre Vorschläge mit dem Nachweis, dass Sie sogar noch Arbeitsplätze damit schaffen, haben Sie eigentlich schon gewonnen.

Viele dieser Diskussionen sind allerdings geprägt davon, dass alle Beteiligten ziemlich im Nebel stochern und viele Behauptungen, was Arbeitsplätze schafft oder vernichtet, oft nur grobe Vermutungen sind. Schafft eine ökologische Verkehrswende Arbeitsplätze oder vernichtet sie sie? Bringt eine Agrarwende mehr oder weniger Arbeitsplätze? Kostet die Globalisierung Arbeitsplätze - oder kostet die Begrenzung der Globalisierung Arbeitsplätze? Nicht zu vergessen: es kommt nicht nur auf die Zahl, sondern auch auf die Qualität der Arbeitsplätze an.

So heftig wir über Strukturwandel, gewollten oder ungewollten, diskutieren - was das wirklich für Zahl und Qualität der Arbeitsplätze bedeutet, bleibt in der Regel im Nebel. Ein schönes Beispiel für diese häufig spekulativ geprägten Diskussionen konnte man auf dem 'Business 20 Summit' am 3. Juni bewundern, dem G20-Parallelgipfel der Wirtschaft. Generalsekretär der Welthandelsorganisation (WTO) Roberto Azevedo erklärte in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für den Freihandel unter großem Beifall, an den verlorenen Arbeitsplätzen der angeblichen "Globalisierungs-Verlierer" sei der Freihandel, die Globalisierung nur zu einem geringen Teil schuld. Der weitaus größte Teil gehe auf das Konto von Digitalisierung, Automatisierung, Rationalisierung, technologischem Wandel, und den könne man auch mit Protektionismus nicht aufhalten. Schon beim nächsten Tagesordnungspunkt widersprach ihm der Chef der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer. Diese ganze Technik-Skepsis kenne man doch, auch bei der Ablösung der Schreibmaschine durch den Computer habe man den Verlust von Millionen Büro-Arbeitsplätzen prognostiziert. Was sei passiert? Wir haben mehr Büro-Arbeitsplätze denn je, weil man mit Computern eben viel mehr machen könne als mit Schreibmaschinen. Technologische Innovation vernichte keine Arbeitsplätze, sondern schaffe neue.


Also was nun? Offenbar Ansichtssache

Ähnlich sieht es aus, wenn man über einzelne Branchen oder Sektoren diskutiert. Nehmen wir etwa die Automobilindustrie, von der angeblich jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland abhängt. Das ist das Standardargument, um jede Diskussion über eine andere Verkehrspolitik abzuwürgen. Wie weit deutsche Regierungen gehen, um ihre Autoindustrie vor Regulierung zu schützen, hat man im Zuge des Abgasskandals wieder einmal eindrücklich gesehen. Alles hat aber, wie immer im Leben, 2 Seiten. Die Frage, wie zukunftsfähig die deutsche Autoindustrie überhaupt noch ist, stellen sich nicht nur die Wirtschaftsmedien. Das Geschäftsmodell, überdimensionierte "Premium"-Autos mit Verbrennungsmotor in die ganze Welt zu verkaufen, gerät ins Stocken. Die illegalen Machenschaften von VW haben in den USA Milliardenstrafen zur Folge. Bei der Elektromobilität verlieren deutsche Konzerne den Anschluss; die Kanzlerin lobbyiert in China für geringere Elektroauto-Quoten. Für die Annahme, dass die schützende Hand deutscher Regierungen über ihre Autokonzerne in Wirklichkeit ein vergiftetes Geschenk ist, das ihre Zukunftsfähigkeit eher gefährdet als befördert, gibt es gute Gründe. Die Arbeitsplätze in der Autoindustrie wurden also von denen gefährdet, die mit dieser Begründung seit Jahr und Tag sinnvolle Regulierungen verhindern, mit denen diese Industrie zukunftsfähig wird - vom Tempolimit über die Abschaffung milliardenschwerer (und weltweit einmaliger) Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg oder der Pendlerpauschale bis hin zur Sabotage wirksamer Abgasstandards.

Aber was bedeutet eine "Verkehrswende", eine weniger autozentrierte Verkehrspolitik für die Arbeitsplätze? Kaum zu fassen, aber offenbar haben wir davon eigentlich nicht viel Ahnung. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass "business as usual" weder für die deutsche Verkehrspolitik noch für die deutsche Autoindustrie funktionieren wird. Was bedeuten die nicht aufzuhaltenden Trends zu mehr öffentlichem Verkehr, mehr Carsharing, mehr Elektromobilität, mehr "autonomes Fahren" usw. für die Arbeitsplätze? Dazu gibt es nicht viele belastbare Untersuchungen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie zentral das Arbeitsplatz-Argument für das Abwürgen innovativer Vorschläge ist. Man bekommt den Eindruck, in der Praxis ist das "Arbeitsplatz-Argument" in der Verkehrspolitik vor allem ein Argument für die Aufrechterhaltung des Status Quo, mehr nicht.


Wenn das "Weiter so" Arbeitsplätze vernichtet

Anders sieht es in der Landwirtschaft aus. Kaum eine Branche hat in den letzten Jahrzehnten derart viele Arbeitsplätze verloren. Das muss nicht per se schlimm sein. Jedenfalls argumentiert kaum ein Verfechter der heutigen Agrarpolitik damit, dass diese Arbeitsplätze sichert oder gar schafft - da geht es nur um "Wettbewerbsfähigkeit". Das ist offenbar nicht dasselbe. Schafft dagegen eine Agrarwende, eine Ökologisierung und Regionalisierung der Landwirtschaft, Arbeitsplätze? Theoretisch ja, aber praktisch? Angesichts des massiven Höfesterbens, der Existenzkrise vieler landwirtschaftlicher Betriebe sollte das keine unwichtige Randfrage sein.

Eine andere Frage ist immer noch die Qualität der Arbeitsplätze. Was soll man davon halten, wenn in Ökobetrieben für die "gute Sache" sogar die Chefs sich selbst ausbeuten und die Beschäftigten deutlich unter Tarif bezahlt werden? Ist das dann ein "besserer Arbeitsplatz"? Sind "Green Jobs" bessere Jobs für die Beschäftigten? Stimmt es, dass in den Öko-Branchen die gewerkschaftliche Organisation besonders niedrig ist? Allen Diskussionen um den "sozial-ökologischen Umbau", um die "Transformation" zum Trotz scheint dies offenbar kein Thema zu sein, weder für die Wissenschaft, noch für die Branchenverbände noch für Gewerkschaften noch für Umweltverbände. Die Datenlage ist ausgesprochen lausig. Wir wissen es schlicht nicht. Aber wer solch einen "Umbau" propagiert, sollte das eigentlich wissen - vor allem, wenn er die Beschäftigten dabei mitnehmen will.

Dass es bei den vielzitierten "globalen Wertschöpfungsketten" massive Ausbeutung und frühkapitalistische Zustände gibt, wissen spätestens seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes alle halbwegs informierten Zeitgenossen. Aber dagegen wirksam vorzugehen, ist gar nicht so einfach. Seit Gründung der WTO haben sich die Regierungen quasi selbst verboten, Produkte aus solchen unmenschlichen Herstellungsmethoden mit Strafzöllen zu belegen: ein Kleid ist ein Kleid, egal wie es hergestellt wird, und darf nicht unterschiedlich behandelt werden - eines der zentralen Dogmen des Freihandels und der Freihandelsabkommen, das die Nichtregierungsorganisationen schon immer abgelehnt haben. Ob solche "Wertschöpfungsketten" mit freiwilligen Selbstverpflichtungen wirksam reguliert werden können, wenn die nicht einmal die Handelsketten ihre eigenen Lieferketten noch durchschauen, bleibt mehr als fraglich.


Enorme Steuern und Abgaben auf Arbeitsplätze

Die Politik bleibt also in der Pflicht, für gute Arbeit zu sorgen und nicht mit dem Verweis auf anonyme Marktkräfte oder die Globalisierung so zu tun, als könnten sie nichts machen. Seit vielen Jahren fordern Umweltverbände und andere eine ökologische Steuer- und Abgabenreform, mit der der Faktor Arbeit weit weniger besteuert und der Faktor Energie- und Ressourcenverbrauch viel stärker besteuert wird. 1998 war dies eine zentrale Forderung eines breiten Bündnisses zur Bundestagswahl. Die Bundesregierung setzte dies sehr zaghaft um, um bald davon wieder Abstand zu nehmen. Heute ist die "Ökosteuer", die die Rentenbeiträge ein wenig gesenkt hat, längst in Vergessenheit geraten, auch wenn sie nie abgeschafft wurde. Die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel wollte die Ökosteuer im Wahlkampf 2002 unbedingt wieder abschaffen. Die Beträge, um die es geht, sind heute so gering, dass sich der Aufwand kaum noch lohnen würde. Würde Arbeit weit weniger belastet und stattdessen die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung unabhängig von der Zahl der Beschäftigten in einem Unternehmen erhoben, würde ein wesentlicher Rationalisierungstreiber entfallen.

Ob sich die prognostizierten massiven Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung und Automatisierung durch eine ökologische Steuerreform im großen Stil aufhalten lassen können, sei dahingestellt. Wenn Computer und Roboter unsere Sozialabgaben bezahlen statt Arbeitnehmer, wäre in der Tat ein zentraler Anreiz beseitigt, Arbeitnehmer durch Maschinen zu ersetzen. Andere argumentieren längst, es sei doch im Grunde positiv, wenn uns Maschinen und Roboter die Arbeit abnehmen, aber die Vorteile davon müssten eben auf alle statt auf wenige verteilt werden, etwa mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Wie dem auch sei, eines scheint mir klar: Ohne starke Gewerkschaften dürften bei all diesen Entwicklungen kaum Ergebnisse herauskommen, die nicht nur den Arbeitgebern nützen. Wenn Gewerkschaften in Bangladesch nach allen Regeln der Kunst finanziell und organisatorisch unterstützt und in modernen Streikmethoden geschult würden - da würde sich so manches Textilbündnis wahrscheinlich rasch erübrigen.


Der Autor ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 2-3
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang