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DISKURS/084: Der Sozialismus und die Planwirtschaft (Sozialismus)


Sozialismus Heft 12/2009

Der Sozialismus und die Planwirtschaft

von Eva Müller


Sozialismus als die Gesellschaftsordnung, die auf den Kapitalismus folgt

Der Sozialismus darf kein unbekanntes Fremdwort werden, er darf nicht dem Selbstverbot seitens der einstigen Sozialisten unterliegen

Jahrzehntelang war es für viele, die den Kapitalismus ablehnten, selbstverständlich, dass sie für den Sozialismus sind. Antikapitalisten waren zugleich Sozialisten. Heute ist das scheinbar vorbei. Der Sozialismus sei angeblich "gescheitert". Er ist aber kein Mensch, der scheitern kann. Der Sozialismus als Gesellschaftsordnung wurde von den führenden Männern, einstigen Sozialisten, aufgegeben. Diese hofften, der Kapitalismus als Gesellschaftsordnung sei besser als der Sozialismus, man müsse ihn nur reformieren. Man müsse ihn kritisieren, man könne antikapitalistisch sein, aber nicht prosozialistisch.

Das Denken einstiger Sozialisten stolpert, fällt auf den Kopf. Das Denken setzt aus. Antikapitalisten wollen sie sein, aber keine Sozialisten. Ist dieses Stolpern berechtigt? Ist nicht nach wie vor der Sozialismus die Gesellschaftsordnung, die auf den Kapitalismus als Gesellschaftsordnung folgt?

DIE LINKE führte beispielsweise in Leipzig im März 2009 eine Konferenz mit dem Titel: "Das Grundgesetz: offen für eine neue soziale Idee" durch. Welche neue soziale Idee kann das sein? Der Sozialismus doch nicht! Der reformierte Kapitalismus?

Darauf sollte die Konferenz im März antworten. Die Veranstalter dieser Tagung hofften auf "großen Erkenntnisgewinn", vor allem, wenn bisherige, auf Marx fußende Erkenntnisse vergessen werden. Man könnte doch der Idee vom Sozialismus, der auf den Kapitalismus folgt, treu bleiben?

Aus den einstigen Sozialisten, die sich auf das Werk von Marx stützen, werden Träumer ohne wissenschaftlichen Boden. Die "neue soziale Idee" sollte im März 2009 geboren werden: Es war eine Fehlgeburt!

Das Wort "Sozialismus" wird, bezogen auf Europa, auch auf Deutschland, nicht mehr verwendet seitens der früheren Sozialisten. Ich war 60 Jahre lang Mitglied einer sozialistischen Partei: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), von 1946 bis 2006.

Nun hat sich die PDS mit der WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) vereinigt. Es wurde eine neue Partei: DIE LINKE. Der Name "DIE LINKE" sagt nur, dass sie gegen die Rechten in der Politik ist. Sie ist aber nicht gegen das juristische Recht, nicht gegen die Gerechtigkeit, nicht gegen richtig, rechtens, im Russischen auch nicht gegen die Wahrheit (Prawda). Das sind alles Begriffe, die von "Rechts" abgeleitet sind, nicht von Links. Welche Ziele hat diese vom Namen her neue Partei, DIE LINKE?

Sie will eine "andere Politik", sie will eine "Alternative" zur heutigen kapitalistischen Gesellschaft, aber welche? "Andere Politik" ist ebenso offen wie "alternative Politik". Wenn ich morgen ein anderes Kleid anziehen will, ist auch unklar, welches. Ebenso unklar ist, wenn ich morgen zu Mittag etwas anderes essen will als heute.

Warum wird nicht mehr vom Sozialismus gesprochen, auch wenn gerade der Kapitalismus kritisiert wird, warum ist antikapitalistisch nicht gleich sozialistisch? Warum ist in der Zeitschrift "Sozialismus", die in Hamburg erscheint, außer auf dem Titelblatt das Wort "Sozialismus" im Text nicht mehr zu finden, auf Europa bezogen?

Wer hat das Wort "Sozialismus", auf Europa bezogen, verboten? Die Behörden nicht, sonst wäre auch der Name der Zeitschrift "Sozialismus" verboten. Es ist ein "Selbst-Verbot" seitens der früheren Sozialisten, Selbstverbot in Anlehnung an das Wort "Selbsttötung".

Welche Motive liegen diesem Selbstverbot zugrunde? Darauf suche ich vergeblich eine Antwort. Nicht alle Linken müssen Sozialisten sein, aber drei Viertel waren es sicher. Was sind die Ursachen für dieses Selbstverbot des Wortes "Sozialismus"?

Die einstigen Sozialisten wünschen sich offensichtlich einen reformierten Kapitalismus. Warum wünschen sie sich nicht einen reformierten Sozialismus, einen besseren Sozialismus, bei dem die Erfahrungen aus der Sowjetunion und der DDR berücksichtigt würden? Der Sozialismus als Gesellschaftsordnung, die auf den Kapitalismus folgt, ist in den Köpfen einstiger Sozialisten scheinbar gestorben. Man spricht von Alternativen zur heutigen kapitalistischen Gesellschaft, ohne diese Alternativen näher zu charakterisieren. Man spricht von "neuen sozialen Ideen", und die alten, schon von Marx begründeten Ideen von einem Sozialismus scheinen völlig vergessen zu sein - schade!

Neuerdings erwachte das Wort "Sozialismus" in abgewandelter Form als "Ökosozialismus", ein Sozialismus, in dem die Erhaltung der natürlichen Umwelt zu einem prägenden Merkmal werden soll. Der Ökokapitalismus sei eine Illusion, nur im Sozialismus kann die Menschheit letztlich überleben. (Bruno Kern: Ökosozialismus oder Barbarei, in: "Neues Deutschland", Beilage vom 27.3.2009)

Ob die hier angedeuteten Vorzüge des Sozialismus das verhängte Verbot des Wortes "Sozialismus" seitens einstiger Sozialisten wieder aufheben?


Wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaftsordnungen Kapitalismus und Sozialismus

Erstens: Die Produktionsmittel, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände: Bauwerke, Maschinen, Anlagen, Materialien, Hilfsmittel sind Eigentum aller Bürger eines Landes, Volkseigentum, oder wie es gegenwärtig heißt: "öffentliches Eigentum", das von den staatlichen Organen verwaltet wird, von Ministerien des Staates oder der des Landes und der örtlichen Organe. Diese erhalten auch das Einkommen, das in diesen öffentlichen Betrieben entsteht. Dieses Einkommen wird auf die Beschäftigten verteilt, wobei über den Gewinn, das Mehreinkommen, die staatlichen Organe verfügen. Es geht in ihre öffentlichen Haushalte und wird nach gesetzlichen Regelungen verteilt.

Zweitens: Alle Bürger sind gleich, alle leben von ihren Arbeitsleistungen, ausgenommen Kinder und nicht mehr arbeitsfähige Ältere und Kranke. Diese werden nach festen Regeln versorgt: die Kinder von ihren Eltern, die Alten von einer Rente, die auf früheren Arbeitsleistungen beruht und sie am Einkommen der Gegenwart teilhaben lässt. Einkommen aus dem Besitz an Produktionsmitteln fehlt oder ist klein, wie beispielsweise Zinseinkommen.

Drittens: Da alle Menschen nur von ihrer Arbeit leben und die Unterschiede in der möglichen Arbeitsleistung sich in Grenzen halten, ist die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche nicht mehr vorhanden. Alle leben von ihrer Arbeit, nicht vom Besitz an Produktionsmitteln, mit denen sie andere für sich arbeiten lassen.

Viertens: Da die Produktionsmittel in ihrer Mehrzahl gesellschaftliches Eigentum sind, allen Menschen eines Landes gleichermaßen gehören, kann die Produktion geplant werden. Die Wirtschaft in diesen Ländern ist die Planwirtschaft.

Die Qualität der Pläne hängt allerdings von den Erkenntnissen ab, die die Menschen, die die Pläne ausarbeiten, über die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge haben. Die bisherigen Erfahrungen der einstigen sozialistischen Länder zeigen allerdings, dass das Fehlen von Kenntnissen über diese Zusammenhänge zu Misserfolgen führte.

Die Unterschiede zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus werden gegenwärtig, auf Deutschland bezogen, mit der Frage diskutiert: Unrechtsstaat DDR, Rechtsstaat BRD?

Der Streit, ob die DDR ein Rechtsstaat war oder nicht, ob die BRD ein Rechtsstaat ist oder nicht, lässt sich einfach klären, wenn gesagt wird, um welche Rechte es geht.

In der DDR gab es ein Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz für alle, die arbeiten wollten. Entlassungen und Arbeitslosigkeit waren in der DDR fremd. Es gab ein Recht auf eine kostenlose gesundheitliche Betreuung. Es gab ein Recht auf ein Mindesteinkommen, das ein Leben außerhalb der Armut sicherte: Dafür gab es das Recht auf freie Meinungsäußerungen, wenn man staatlichen Entscheidungen widersprechen wollte, nicht, auch das Recht, in kapitalistische Länder zu reisen, war beschränkt. (Eine meiner Töchter hat z.B. einen Franzosen geheiratet und lebte in Frankreich.)

Diese zuletzt genannten Rechte gibt es heute in großem Umfang. Alle können und dürfen die Politik der Regierenden kritisieren, alle dürfen reisen, wohin sie wollen, vorausgesetzt, sie können diese Reise bezahlen. Aber das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz ist verloren gegangen, das Recht auf eine gesundheitliche Betreuung, wenn man nicht regelmäßig in eine Krankenkasse einzahlt, ist weg. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Welcher Staat ist ein Unrechtsstaat? Die DDR oder die BRD?


Die Unsicherheiten in der Entwicklung der Volkswirtschaften im Sozialismus

Es wurde viel zu wenig beachtet, dass die Entwicklung der Volkswirtschaft mit Unsicherheiten behaftet ist. Deshalb müsste die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses beachtet werden.

Da vor allem die Nachfrage nach konkreten Erzeugnissen und Leistungen nur mit Wahrscheinlichkeiten, die kleiner als 1 sind, voraussetzbar sind, muss diese Wahrscheinlichkeit beachtet werden, was allerdings die Ausarbeitung der Pläne wesentlich komplizierter macht. Nur deshalb nach spontaner kapitalistischer Regulierung sich zurücksehnen und vom Sozialismus nichts wissen zu wollen, ist aber keine Lösung.


Die inneren Widersprüche im Sozialismus und ihre Austragung

Der Sozialismus ist keine Gesellschaftsordnung der vollen Harmonie, sondern er hat auch seine inneren Widersprüche, die zu Konflikten führen. Diese Widersprüche können jedoch ausgetragen werden, die Konflikte zeitweise gelöst werden, ohne dass die gesamte Wirtschaft, die Produktion und das Finanzwesen, die Geldwirtschaft in eine Krise verfallen, aus der es so schwer ist, wieder herauszukommen. Das gesellschaftliche Eigentum ermöglicht eine harmonische Entwicklung, auch wenn "Stolpersteine" nicht zu vermeiden sind, weil es kein Leben ohne innere Widersprüche gibt.

Es gibt viele innere Widersprüche im Sozialismus, die im Einzelnen noch genauer beschrieben werden müssten. Als Beispiel einige innere Widersprüche ökonomischer Art:

Als erstes kann der Widerspruch zwischen den Interessen der gesamten Gesellschaft am ökonomischen Wachstum vermittels der Akkumulation, der Neuinvestitionen in Anlagen, Bauwerke, Maschinen und Material und dem persönlichen Einkommen der Arbeitenden genannt werden. Soll vom produzierten Neuwert als Volkseinkommen mehr investiert werden oder mehr als Lohn für die Arbeitenden ausgezahlt werden?

Dieser innere Widerspruch führt somit auch immer wieder zu äußeren, sichtbaren Konflikten zwischen der Leitung der Betriebe und den Arbeitenden. Diese Konflikte können zu Streiks führen, müssen aber nicht. Auch Verhandlungen zwischen den Vertretern der Betriebsleitung und der Belegschaft können Kompromisse finden, die diesen inneren Widerspruch vorübergehend lösen, ihn austragen. Dieser Widerspruch zwischen den Interessen der Belegschaft und den Interessen des gesamten Betriebes, bezogen auf die Verteilung der Einkommen aus dem produzierten Neuwert, bleibt.

Ein zweiter Konflikt ähnlicher Art folgt aus dem inneren Widerspruch zwischen den verschiedenen Gruppen der Arbeitenden: Wie viel von dem produzierten Mehreinkommen erhalten die einzelnen Gruppen der Beschäftigten: wie viel erhalten die Arbeitenden in der Abteilung A, B oder C, wie viel erhalten die Mitarbeiter der Leitungen D und E? Auch dieser Konflikt kann friedlich gelöst werden: es wird eine Übereinstimmung erzielt oder nicht. Auch dieser innere Widerspruch kann friedlich ausgetragen werden oder sich zu Konflikten zuspitzen.

Ein dritter Konflikt folgt aus dem inneren Widerspruch zwischen den Interessen der Vertreter der verschiedenen Leitungen, die verschiedene Wirtschaftszweige vertreten. Jeder Wirtschaftszweig könnte mehr Investitionsmittel benötigen, um zu modernisieren und die Kapazität zu erweitern.

Solche innere Widersprüche gibt es unendlich viele, sobald man ins Einzelne geht. Diese Widersprüche müssen ausgetragen werden. Über sie muss man in der Öffentlichkeit diskutieren und Wege nach zeitweiligen Lösungen suchen.

Während im Kapitalismus Krisen unvermeidbar sind, braucht es diese im Sozialismus nicht zu geben. Das im Kapitalismus vorherrschende Privateigentum an Produktionsmitteln verbietet staatliche Eingriffe, obwohl diese immer häufiger werden, um Krisen abzuschwächen. Sie widersprechen jedoch dem privaten Charakter des Eigentums an den Produktionsmitteln.

Ob man diese staatlichen Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen der Wirtschaftskrisen als Vorstufen einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel betrachten kann, ist offen. Aber denkbar wäre es.

Diese staatlichen Eingriffe bestehen ja in erster Linie in finanziellen Unterstützungen, die man auch als staatliche Beteiligungen an den bisher privaten Produktionsmitteln betrachten kann, staatliche Anteile an diesen, oder auch teilweise Verstaatlichung bisher privater Produktionsmittel. Das könnte rückgängig gemacht werden, indem staatliche Hilfen zurückgezahlt werden. Es muss aber nicht rückgängig gemacht werden. So entsteht ein neuer Weg zum Sozialismus ohne Revolution, ein friedliches Hinüberwachsen in den Sozialismus.

"Sozialismus in den Farben der BRD" war als Überschrift einer Meldung im "Neuen Deutschland" vom 19. Februar 2009, zu lesen, in dem es um die Verstaatlichung zumindest einer Bank ging. Bundeskanzlerin Angelika Merkel nannte dieses Gesetz "alternativlos". Das könnte ein neuer Weg zum Sozialismus sein, ohne Revolution, alleine aus dem Zwang zur Verstaatlichung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln, um die negativen Auswirkungen von Finanz- und Wirtschaftskrisen abzuschwächen. Wird diese Verstaatlichung nicht rückgängig gemacht, so wäre das ein Schritt auf einem längeren friedlichen Weg zum Sozialismus. Allerdings müsste auch die Regierung für den Sozialismus sein. Aber das kann eine längere Zeit dauern. Erst wird verstaatlicht, dann könnte eine Regierung kommen, die eine sozialistische Gesellschaftsordnung im Einzelnen errichten will und das Großeigentum an privaten Produktionsmitteln, dieses kapitalistische Eigentum in sozialistisches umwandelt. Die Wege zum Sozialismus könnten vielfältig sein. Es muss keine Oktoberrevolution, wie 1917 in Russland, sein!


Die Planwirtschaft als Wirtschaftsweise im Sozialismus

Wirtschaftskrisen im Kapitalismus - Planwirtschaft im Sozialismus

Die letzte Ursache der Wirtschaftskrisen gegenwärtig ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die fehlende staatliche, gesamtgesellschaftliche Regulierung der Produktion der einzelnen Betriebe.

Gegenwärtig gibt es zwar immer häufiger staatliche Eingriffe in die Produktion der einzelnen Betriebe, vor allem wenn der Staat zum Kauf von Anteilen am Eigentum dieses Betriebes greift. Diese Eingriffe mindern die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Produktion dieser Betriebe, sie verhindern jedoch nicht die Wirtschaftskrise selbst: Die Produktion in der Volkswirtschaft geht zurück, Arbeitsplätze werden vernichtet und die Zahl der Arbeitslosen steigt. Diese Arbeitslosen können registriert sein oder nicht. Wenn sie weder Arbeitslosengeld noch Sozialhilfe empfangen, sind es keine statistisch erfassten Arbeitslosen, sondern Menschen, die gerne arbeiten gehen würden, wenn sie einen Arbeitsplatz angeboten bekämen. Manche von ihnen verstehen sich als Selbständige, als Kleinunternehmer, mit oder auch ohne Erfolg. Ein Erfolg ist dann gegeben, wenn ihr Einkommen die bisher für diesen Selbstständigen übliche Höhe erreicht. Oft ist das aber nicht der Fall. Dann ist er zwar ein Selbständiger in der Statistik, aber ein Arbeitsloser in der Wirklichkeit.

In der Planwirtschaft ist es dagegen möglich, so viele Arbeitsplätze zu schaffen, wie es Menschen gibt, die arbeiten wollen und arbeiten können. Von dieser Zahl der Arbeitsfähigen ausgehend, kann ein Plan für die Produktion in den einzelnen Betrieben, Zweigen und der Volkswirtschaft erarbeitet werden. Somit kann in der Planwirtschaft für alle, die arbeiten können und wollen, ein Arbeitsplatz bereitgestellt werden, und somit die Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Produktion verhindert werden. Da das Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln gesellschaftliches Eigentum ist, ist eine Planwirtschaft möglich und notwendig, die von den arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen und von der Nachfrage nach den verschiedenen Produkten ausgeht.


Voraussetzungen für eine gut funktionierende Planwirtschaft

Nur im Sozialismus ist eine Planwirtschaft möglich, weil diese gesellschaftliches Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln voraussetzt. Die Gesellschaft kann über die staatlichen Organe, zentrale oder örtliche, die Entwicklung der Wirtschaft beeinflussen, was nicht möglich ist, solange das Privateigentum an den Produktionsmitteln vorherrscht.

Allerdings setzt das voraus, dass die Gesellschaft über wissenschaftliche Einrichtungen verfügt, die die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge erforschen. Es müssen Erkenntnisse darüber vorhanden sein, wie sich eine Entscheidung über den Produktionsprofit im Betrieb A auf die Betriebe B, C und D auswirkt und welche Folgen diese Entscheidung für den Endverbraucher, den Bürger mit seiner Nachfrage nach Konsumtionsmitteln, in ganz bestimmter Zusammensetzung hat.

Solche Erkenntnisse fehlten oft in den bisherigen Planwirtschaften der UdSSR und der osteuropäischen sozialistischen Länder. Daher wurde die Nachfrage der Bürger oft schlechter befriedigt als in den kapitalistischen Ländern, die keine Planwirtschaften hatten, aber in denen die spontane Marktregulierung das Angebot an die Nachfrage anzupassen vermochte.

Für eine gut funktionierende Planwirtschaft ist es notwendig, erstens einen Plan zu Beginn des Planjahres zu haben, in dem für alle größeren Betriebe Aufgaben für die Produktion, ihre Kosten und der zu realisierende Gewinn enthalten sind, wobei diese Plandaten auch von...bis Daten sein können, Daten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten, 0,6 bis 1,0 der möglichen Realisierbarkeit. Ist diese Wahrscheinlichkeit kleiner als 1, dann müssten ergänzende Wahrscheinlichkeiten im Plan enthalten sein. Die bisher in den sozialistischen Ländern übliche Planung nur mit einer Zahl für eine Aufgabe, der man die Wahrscheinlichkeit 1 zuordnete, reicht nicht mehr. Die von der einen Planzahl abgeleiteten Plandaten haben dann auch verschiedene Wahrscheinlichkeiten, die im Plandokument angegeben sein müssen.

Da das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten bis dahin in der Schule zu den Pflichtaufgaben der Ausbildung gehören muss, wäre das für die Mitarbeiter, die einen Plan erarbeiten, möglich. Ohne solche Wahrscheinlichkeit für diese Plandaten wären diese mangelhaft.

Zweitens: Die Plandaten und -kennzahlen sind zwar zunächst verbindlich, aber im Laufe des Planzeitraums variabel. Der Plan muss fortwährend an den Bedarf und die Produktionskapazitäten angepasst werden. Der Plan ist kein Befehl im militärischen Sinn, sondern eine Orientierung, ein Zielsuchen und -finden. Die staatlichen Organe helfen den Betrieben dabei, sie befehlen nicht. Durch diese Beweglichkeit beim Treffen von Entscheidungen können sowohl Wirtschaftskrisen als auch Mängel im Angebot vermieden werden. Die staatlichen Organe sind Helfer, keine Befehlshaber beim Aufstellen und den notwendigen Veränderungen des Planes.

Die Planwirtschaft ist somit eine Volkswirtschaft, die sich nach Plänen entwickelt, nach Plänen, die vom Bedarf nach den jeweiligen Produkten ausgehen und ihn auch befriedigen. Die Produktion soll und kann sich zwar dem Bedarf anpassen. Bewegliche Preise können dabei helfen: Steigen die Preise, so wird der Bedarf mengenmäßig gemessen zurückgehen. Sinken die Preise, so wird der Bedarf steigen - als Regel gesehen, die auch Ausnahmen zulässt.

Die Erfahrungen aus den Planwirtschaften der einstigen sozialistischen Länder besagen, dass die sich oft rasch wandelnden Bedürfnisse der Menschen durch die sich ändernde Mode, ändernde Herstellungsweise von Produkten und anderem beachtet werden müssen. Volkseigene und genossenschaftliche Betriebe müssen ebenso viel Spielraum haben, sich diesen Änderungen anzupassen wie Privatbetriebe. Dazu bedarf es entsprechender Regelungen seitens der staatlichen Organe.

Nicht das Auf und Ab in der volkswirtschaftlichen Produktion wie im gegenwärtigen Kapitalismus, nicht Aufschwung und danach Wirtschaftskrisen, die nicht nur die Volkswirtschaften, sondern auch die Weltwirtschaft erfassen, sondern tagtägliche Beweglichkeit, die den tagtäglichen Änderungen im Bedarf nach den einzelnen Produkten folgt.

Die volkseigenen und genossenschaftlichen Betriebe müssen solche Spielräume haben, um sich den Schwankungen im Bedarf nach ihren Produkten anzupassen. Auch Preisänderungen können dazu beitragen, diese Anpassung zu ermöglichen. Das gesellschaftliche bietet dazu sogar größere Spielräume als das private Eigentum, trotz anderer Erfahrungen aus der Vergangenheit. Diese Spielräume wurden zu wenig genutzt wegen falschen Vorstellungen von Planerfüllung, die wichtiger zu sein schien als die Befriedigung des Bedarfs nach konkreten Produkten.


Die wichtigsten Plandaten und ihre Wahrscheinlichkeiten.

Zu den wichtigsten Plandaten gehören:

das Produktionsvolumen für alle Produktengruppen, in Festpreisen bewertet, in Produktengruppen zusammengefasst;
der Bedarf nach diesen Produktengruppen, auch in Festpreisen bewertet. Da der Bedarf, soweit voraussehbar, in Grenzen schwanken kann, muss das zu planende Produktionsvolumen in den gleichen Grenzen schwanken und von-bis-Werte haben.

Die Plandaten für das Produktionsvolumen und den Bedarf nach den einzelnen Produktengruppen sind demnach von-bis-Werte, denen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden müssen. Die moderne Rechentechnik erlaubt solche komplizierten Berechnungen der einzelnen Plandaten, man muss nur die Rechentechnik nutzen. Dabei steht im Mittelpunkt nicht die Planerfüllung, sondern die Bedarfsdeckung dank variabler Plandaten, die die vermutete Wahrscheinlichkeit berücksichtigen.

Während in der DDR und in anderen sozialistischen Ländern die Planerfüllung und -übererfüllung im Mittelpunkt standen, ist es jetzt die Bedarfsbefriedigung. Man glaubte damals, je höher die Produktenmenge, desto besser wird der Bedarf gedeckt. Für arme Länder gilt das immer noch, nicht jedoch für reiche Länder. Die Menschen in diesen Ländern brauchen nicht einfach mehr Schuhe, mehr Kleidung und mehr Lebensmittel, sondern sie brauchen ganz bestimmte Modelle an Schuhen und Kleidung, ganz bestimmte Lebensmittel im Rahmen einer Produktengruppe, deren Teilgruppen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten haben.


Die Verbindlichkeit der Plandaten

Wenn die Planwirtschaft dem Ziel dient, die Produktion, ihr Sortiment und ihren Umfang dem Bedarf anzupassen, dann muss sie möglichst beweglich sein. Die Plandaten können daher nicht verbindlich sein, verbindlich ist nur die Forderung, möglichst das zu produzieren, was nachgefragt wird.

In den gegenwärtigen kapitalistischen Volkswirtschaften gibt es zwar keine verbindlichen Pläne für die Betriebe, aber das Streben, einen möglichst hohen Gewinn für die Eigentümer an Produktionsmitteln zu machen, behindert die ausreichende Anpassung an den Bedarf der künftigen Konsumenten. Das Gewinnstreben treibt beispielsweise die Preise in die Höhe und reduziert somit die Nachfrage, bei niedrigen Preisen wäre sie höher. Wenn der letzte Zweck der Produktion Profit ist und nicht die Befriedigung des Bedarfs, dann kommt es zu dem Konflikt, dass zu viel oder zu wenig von einer Produktenart erzeugt wurde, und das kann zu Wirtschaftskrisen führen.

Um in der Planwirtschaft Wirtschaftskrisen zu vermeiden, müssen die Plandaten anpassungsfähig an den Bedarf sein. Die fortwährende Anpassung der Plandaten an den Bedarf bremst ihre Verbindlichkeit.

Deckung des Bedarfs ist wichtiger als die Planerfüllung, die Plandaten sind nur so lange verbindlich, solange sie sich nach dem Bedarf richten. Ihre Anpassungsfähigkeit an den Bedarf ist wichtiger als ihre Verbindlichkeit. Dabei können Plandaten in zwei Richtungen variiert werden: sowohl die Menge einer Produktenart als auch ihr Preis sind variabel, somit auch die entsprechenden Plandaten.

Der Plan und die Plandaten sind für die Betriebe eine Hilfe, eine Orientierung, keine Beschränkung ihrer Anpassungsfähigkeit an den Bedarf dank beweglicher Mengen, die zu produzieren sind, als auch beweglicher Preise.


Die Koordinierung der Plandaten und die Bilanzen

Da die Plandaten von-bis-Werte haben, ist ihre Koordinierung nicht mehr so einfach wie bei einer Planung mit festen Plandaten. Erzeugnisbilanzen und Einkommensbilanzen konnten für diesen Zweck, Plandaten zu koordinieren, genutzt werden.

Eine Erzeugnisbilanz sah beispielsweise wie folgt aus: das Erzeugnis Schuhe, alle Größen, aus Leder, hat ein Aufkommen (Produktion und Import) von 100.000 Stück. Diesem Aufkommen wird die Verwendung (Inlandsverkauf und Export) ebenfalls 100.000 Stück gegenübergestellt.

Üblicher war nicht das Aufkommen und die Verwendung in Stück, sondern in einer Preissumme gegenüberzustellen. Die Preissummen für Aufkommen und Verwendung müssen übereinstimmen. Daraus ließen sich dann die Plandaten für die Betriebe, die Schuhe produzieren und importieren, ableiten, ebenso für den Handel, Groß- und Einzelhandel, der Schuhe verkauft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die geplanten Daten auch erreicht werden, weder unter- noch übererfüllt werden, war gering. Sie wurden über- oder untererfüllt, sodass solche Erzeugnisbilanzen nur Orientierungen für die Betriebe und ihre Pläne waren, aber für die zutreffenden Entscheidungen in den Betrieben nur ein Ausgangspunkt bildeten, nicht den einzigen Ausgangspunkt. Die Herstellung der Erzeugnisbilanzen war zwar sehr aufwendig, aber ihr Sinn war begrenzt. Es gab auch viele andere Bilanzen, so zum Beispiel die der Geldeinnahmen und -ausgaben. Diese Bilanzen begrenzten zwar die Entscheidungsbefugnisse der Betriebsleitungen, sie minderten die Beweglichkeit der Planung, aber waren oft nicht einzuhalten: Es wurde mehr oder weniger Geld im Rahmen der Bilanz eingenommen und ausgegeben, als vorgesehen war. Die Bilanzen verloren ihren Sinn, weil die Plandaten unbeweglich waren.

Auch hier musste mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet werden, was die Planung wesentlich komplizierter machte. Das Koordinieren der Plandaten ist zwar notwendig, aber mit Hilfe komplizierterer Rechnungen, in denen Wahrscheinlichkeiten der Plandaten berücksichtigt werden.

Würde man Erzeugnis- durch Verflechtungsbilanzen ersetzen, so könnte man auf einem einfacheren Weg die verschiedenen Wahrscheinlichkeiten für die Plandaten berücksichtigen, weil die moderne Rechentechnik genutzt werden könnte.


Die Erfahrungen mit der Planwirtschaft müssen ausgewertet werden

Die umfangreichen Erfahrungen, die die einstigen sozialistischen Länder mit der Planwirtschaft gesammelt haben, müssen ausgewertet werden. Das ist leider schwierig, weil 20 und noch mehr Jahre vergangen sind und die Menschen, die sich mit dem Aufstellen der Pläne, den Bilanzen und mit ihrer Durchführung beschäftigt haben, aussterben.

Bis heute scheint sich niemand für die Erfahrungen der einstigen Planer zu interessieren. Der Glaube an den Sozialismus und eine mögliche Planung der Volkswirtschaft scheint gestorben zu sein, so wie der Gedanke an den Sozialismus.

Man kritisiert die gegenwärtigen vielfältigen Krisenerscheinungen in der Wirtschaft, aber glaubt nicht mehr an eine krisenfreie Wirtschaft, an eine Planwirtschaft. Das gilt leider für alle politischen Richtungen, egal ob es Liberale, Christen oder Linke sind. Sozialisten gibt es nicht mehr. Nur die Planwirtschaft erlaubt dauerhaft, Wirtschaftskrisen zu vermeiden. Der Glaube an den Sozialismus und eine mögliche Planwirtschaft darf nicht sterben.


Zusammenfassung

Die Partei DIE LINKE will, wie es scheint, den Kapitalismus reformieren. Die Produktionsmittel sollen Privateigentum bleiben, das Mehrprodukt den Privateigentümern zukommen. Die Kluft zwischen Arm und Reich soll bleiben.

Warum nicht den Sozialismus reformieren, die Produktionsmittel gesellschaftliches Eigentum, staatliches und genossenschaftliches, werden lassen? Der Weg dahin ist noch offen, aber das Ziel sollte bleiben.

Die Linken müssten auch Sozialisten sein. Nur Antikapitalisten sein, reicht nicht. Der Sozialismus muss mit allen seinen inneren Widersprüchen nichtantagonistischer Art gewollt werden, wobei diese Widersprüche gesehen, diskutiert und ausgetragen werden müssen, nicht verschwiegen, wie oft in der Vergangenheit. So könnte der Sozialismus die Gesellschaftsordnung der Zukunft sein.


Eva Müller war Wirtschaftswissenschaftlerin und lehrte politische Ökonomie und Volkswirtschaftsplanung an der Karl Marx Universität in Leipzig.


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Quelle:
Sozialismus Heft 12/2009, Seite 47 - 52
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2010