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DISKURS/092: Der Traum vom "grünen Wachstum" (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010
Wohlstand durch Wachstum? Wohlstand ohne Wachstum? Wohlstand statt Wachstum?

Der Traum vom "grünen Wachstum"

Sind eine nachhaltige Entwicklung und stetiges Wirtschaftswachstum vereinbar?

Von Bernd Sommer und Harald Welzer


Als Reaktion auf das Zusammenfallen von Wirtschafts- und Klimakrise wurde eine Idee populär, die man auf Neudeutsch als "Win-Win-Strategie" beschreiben kann: die Idee des grünen Wachstums (Green Growth). Das Konzept ist so einfach wie attraktiv: Durch (staatliche) Investitionen in Klimaschutz- und Umwelttechnologien, bzw. die Förderung der entsprechenden Branchen, wird ein Impuls zur Wiederbelebung der Wirtschaft gesetzt und zugleich ein Beitrag zum nachhaltigen Umbau von Ökonomie und Gesellschaft geleistet.


Galt in der Vergangenheit - trotz fehlender empirischer Belege - Wirtschaftswachstum als das Patentrezept zur Lösung von Arbeitsmarkt-und Verschuldungsproblemen, soll durch die Ergänzung um das Attribut "grün" Wachstum nun zusätzlich zur Lösung der Klimakrise beitragen.

Messungen zufolge sank in den vergangenen zwei Jahren der Treibhausgasausstoß in Europa tatsächlich. Sogar so sehr, dass es für die EU keiner besonderen Anstrengung mehr bedürfen sollte, das Klimaziel zu erreichen, ihre Emissionen bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990 um 20 % zu reduzieren. Jedoch ist dies nicht als Ergebnis "grüner Konjunkturpakete", die entgegen der zahlreichen Verlautbarungen oftmals gar nicht so "grün" waren (wie das Beispiel der "Abwrackprämie" zeigt), sondern vor allem Resultat der Entwicklung, dass trotz des über Schulden finanzierten ökonomischen Stimulus in Milliardenhöhe, Europas Volkswirtschaften schrumpften, i.e. "negativ wuchsen". Denn ökonomisches Wachstum war bislang weniger die Lösung, als vielmehr eine der Hauptursachen des Klimaproblems. Studien zeigen, dass Wachstum einer der wichtigsten Treiber für die CO2-Emissionen der modernen Ökonomien ist. [1]


In einer begrenzten Welt ist unbegrenztes Wachstum nicht möglich

Insbesondere seit Erscheinen des Berichts des Club of Rome "The Limits to Growth" [2] wird in der Wissenschaft und Politik darüber diskutiert, dass bei Beibehaltung der nichtnachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise in den westlichen Industrienationen in absehbarer Zeit absolute natürliche Wachstumsgrenzen erreicht werden. Die Interaktionen zwischen Soziosphäre (dem direkt durch Menschen aktiv gestalteten Teil des Planeten) [3] und der außermenschlichen Biosphäre lässt sich analog zum Stoffwechsel eines Organismus inputseitig (Ressourcenverbrauch) und outputseitig (Emissionen) beschreiben und dieser "gesellschaftliche Metabolismus" riskiert durch beiderlei naturräumliche Grenzen limitiert zu werden. Mit anderen Worten, unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich. Diese schlichte Einsicht, die Kindern weniger Schwierigkeiten macht als Ökonomen, wird gegenwärtig durch eine ganze Reihe von Endlichkeiten deutlich: die Energievorräte, die Umweltbelastbarkeit, die biologischen Ressourcen, die Traglast des Planeten. [4]

Das ökonomisch extrem erfolgreiche System, das sich während der vergangenen 250 Jahre in den frühindustrialisierten OECD-Staaten herausbildete, basiert darauf, dass es den Treibstoff zur unablässigen Produktion von Mehrwert und Wachstum von Außen, d.h. vor allem aus den (Ex-)Kolonien, bezieht. Eine globalisierte Welt hat jedoch kein Außen, das die Ressourcen für die als unendlich gedachte Wachstumswirtschaft liefern könnte. Die Folge ist, dass sich, wie Albrecht Koschorke bemerkt hat, die Ausbeutung vom Raum in die Zeit verlagert: Der Kollaps des Systems wird hinausgeschoben, in dem es Raubbau an der Zukunft der kommenden Generationen betreibt. Deshalb werden nicht nur im Rahmen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise die Probleme mit Schuldenmachen bewältigt: Auch bei der Energieversorgung (Atom), bei den Meeren und beim Klima nimmt die heutige Generation Kredite auf, die ihre Kinder und Enkel zu begleichen haben. [5]


Entkoppelung?

Der Idee des "grünen Wachstums", also die Vorstellung der Vereinbarkeit von stetigem Wirtschaftwachstum mit Umwelt- und Ressourcenschutz, liegt die Annahme zu Grunde, dass sich ökonomische Aktivität mittelfristig vom Ressourcenverbrauch und den Emissionen entkoppeln lässt. In der Tat existieren Untersuchungen, die zeigen, dass sich für die OECD-Länder in den Jahren 1982 bis 1997 die OECD-weite Energieintensität je Einheit des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verringerte sowie der Anteil von fossilen Energieträgern bei der Energieerzeugung zurückging. [6] Gleichwohl stiegen die Treibhausgasemissionen in demselben Zeitraum um 21 % an, was bedeutet, dass das Wirtschaftswachstum die Effizienzgewinne aus technischen Innovationen überkompensiert hat. Mit anderen Worten, bislang ist nur eine "relative Entkoppelung" sichtbar, absolut steigen mit der ökonomischen Aktivität Ressourcenverbrauch und Emissionen weiter an.

Aber nicht nur empirisch steht der Nachweis, dass Green growth möglich ist, noch aus. Bislang gibt es auch kein glaubwürdiges Szenario eines ökologischen nachhaltigen, kontinuierlichen Wachstums für eine Welt mit neun Milliarden Menschen im Jahr 2050. [7] Visionen absoluter Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Emissionen/Ressourcenverbrauch sind aus zwei zentralen Gründen fragwürdig: (1.) Besteht auch heute noch ein großes Potenzial zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch die Verbesserung der Energieeffizienz, ist nicht absehbar, dass sich (technische) Effizienzsteigerungen ad infinitum fortsetzen lassen. (2.) Die Dematerialisierung der ökonomischen Aktivitäten in den OECD-Staaten ist nicht zuletzt ein Resultat davon, dass ressourcen- und emissionsintensive Industriezweige in den vergangenen Jahren in Länder wie China und Indien verlagert wurden, wo seither der Ausstoß von Treibhausgasen massiv ansteigt. [8]


Wachstum wozu?

Vor dem Hintergrund des hier Ausgeführten ist zu fragen, wie das Festhalten am Wachstumsparadigma - nicht nur in der Mainstreamökonomie, sondern auch in den Diskursen zur nachhaltigen Entwicklung - zu erklären ist. Ein häufig vorgebrachtes Argument, gerade von Akteuren der Entwicklungspolitik, lautet, dass Wirtschaftswachstum zur Beseitigung von Armut und Hunger notwendig sei. Es steht außer Frage, dass ärmere Länder ein Recht darauf haben, eine Dignity Line an Ressourcennutzung zu erreichen, also ein Niveau, das ein menschenwürdiges Auskommen für ihre Gesellschaftsmitglieder erlaubt. Grundsätzlich macht das Paradigma des Wachstums aber nur so lange Sinn, wie nicht genügend Produktivkraft entwickelt ist, um existenzielle Not global zu beseitigen. Heute, nach einer gigantischen Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, gibt es keinen Grund dafür, dass Menschen aufgrund von Nahrungsmittelmangel verhungern. Dass trotzdem etwa eine Milliarde Menschen keine ausreichende Ernährung hat, zeigt an, dass hier kein Mangel-, sondern ein Verteilungsproblem vorliegt.

Ein weiteres Argument der Wachstumsadvokaten lautet, dass ohne eine stetige Steigerung der Wirtschaftsleistung soziale und politische Instabilität drohe. Ökonomisches Wachstum - so lautet die Argumentation - erlaube die Absorbtion der Arbeitskräfte, die durch die für den Kapitalismus typischen Produktivitätssteigerungen "freigesetzt" werden. So wird davon ausgegangen, dass eine Volkswirtschaft wie die amerikanische eine jährliche Steigerung der Wirtschaftskraft von 3-5 % benötigt, damit es nicht zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt. Abgesehen davon, dass ein Phänomen wie Jobless Growth die Korrektheit dieser Annahme grundsätzlich in Frage stellt, gerät vollkommen aus dem Blickfeld, dass sich durch eine Veränderung der sozialen Logik - wie der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle - ebenfalls Personen in den Arbeitsmarkt (re)integrieren ließen. Lässt sich bzgl. der Rolle des Wachstums bei der Armutsbekämpfung sowie als Garant politischer Stabilität noch wissenschaftlich streiten, so ist ein anderer Punkt in der Forschung relativ eindeutig: Für das subjektive Wohlbefinden bzw. das Glücksempfinden der Menschen spielt die wirtschaftliche Leistungskraft nur eine untergeordnete Rolle. So haben psychologische Studien in den USA gezeigt, dass das individuelle Glücksempfinden im Vergleich zu den 1950er nicht angestiegen ist, obgleich die Wirtschaftsleistung des Landes sowie die individuellen Durchschnittseinkommen stark zugenommen haben. [9] Ab der Gewährleistung eines bestimmten materiellen Versorgungsniveaus - so die Glücksforschung - erhöht ein steigendes Einkommen nicht das persönliche Wohlbefinden. [10]

In dem Begriff des Green Growth findet der Glaube, dass ein unbegrenztes, stetiges Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Schonung der natürlichen Umwelt und Ressourcen doch noch irgendwie möglich ist, seinen pointiertesten Ausdruck. Sachliche Belege dafür, dass diese Annahme realitätsangemessen ist, gibt es kaum. So zeigt die Fokussierung auf das "grüne Wachstum" eindrücklich, wie schwer es den Gesellschaften der Industriemoderne fällt, von einem ihrer liebsten jedoch anachronistisch gewordenen Glaubensgrundsätze Abschied zu nehmen.


Prof. Dr. Harald Welzer leitet das Center for Memory Research (CMR) am Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI). Bernd Sommer ist dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Research Analyst des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).


Anmerkungen

[1] Ramanathan, R. (2006): A multi-factor efficiency perspective to the relationships among world GDP, energy consumption and carbon dioxide emissions. Technological Forecasting and Social Change 73, 483-494 sowie Hamilton, C. und Turton, H. (2002): Determinants of emissions growth in OECD countries. Energy Policy 30, 63-71.

[2] Meadows, Dennis L. et al. (1972): Die Grenzen des Wachstums - Berichte des Club of Rome zur Lage der Menschheit, München.

[3] Mauelshagen, F. (2010): Die Gesellschaft erscheint im Anthropozän. Für eine Soziosphäre im Erdsystem. KWI-Intervention #6.

[4] Rockström, J. et al. (2009): "A safe operating space for humanity", in: Nature, Vol. 461, September 2009, S. 472-475.

[5] WBGU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2009): Kassensturz für den Weltklimavertrag. Sondergutachten. Berlin: WBGU.

[6] Hamilton, C. und Turton, H. (2002).

[7] Jackson, T. (2009): Prosperity without Growth? The transition to a sustainable economy. London: Earthscan.

[8] Homer-Dixon , T. (2006): The Upside of Down. Catastrophe, Creativity, and the Renewal of Civilization. Washington D.C.: Island Press., S. 201ff.

[9] Ibid., S. 192f.

[10] Stiglitz, J. et al. (Hrsg.) (2009a): Survey of existing approaches to measuring socio-economic progress, www.stiglitz-sen-fitoussi.fr


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010, S. 3-4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010