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DISKURS/122: Nachhaltigkeit erfordert pluralistische Wirtschaftsstile (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015

Nachhaltigkeit erfordert pluralistische Wirtschaftsstile
Warum »die Wirtschaft« in der Ökonomie von morgen zunehmend durch »das Wirtschaften« ersetzt wird

Von Reinhard Loske


Auf die Frage, was eine nachhaltige Wirtschaft auszeichnet, geben Protagonisten der »Grünen Ökonomie« heute ganz andere Antworten als diejenigen der »Postwachstumsökonomie«. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass die Industriegesellschaften beim Ressourcenverbrauch und beim Ausstoß klimaverändernder Spurengase mit gewaltigen Reduktionserfordernissen konfrontiert sind, doch ist die Frage, wie der Übergang von der gegenwärtigen »expansiven Moderne« in eine zukünftige »reduktive Moderne« gelingen kann, mehr als strittig.

Während die Wachstumsoptimisten von grünen Märkten, grünen Jobs, grünen Technologien und enormen Innovationspotenzialen schwärmen, um so an die politischen Hauptdiskurse anschlussfähig zu werden, sprechen die Wachstumskritiker eher von De-Materialisierung, Entschleunigung, Entrümpelung, Produktlanglebigkeit und einer Kultur des Teilens und Tauschens, Leihens und Schenkens, Reparierens und Kooperierens. Kurzum: Während erstere die ökologischen Reduktionserfordernisse als produktivitätssteigernde Wachstumschance und Aufgabe der Technologiepolitik deuten, sehen letztere sie als Imperativ zur Begrenzung ressourcenzehrender Wirtschaftsaktivitäten und zur Förderung neuer sozialer Arrangements, die mit weniger Verbrauch und Verschleiß auskommen.

Die Frage ist nun, ob sich die eher technologie- und wirtschaftspolitisch ausgerichteten Strategien des »Grünen Wachstums« und die eher sozial-ökologisch ausgerichteten »Postwachstumsstrategien« kategorisch ausschließen oder doch ergänzen und wechselseitig befruchten können. Die Reflexion dieser Frage ist nicht nur für grüne Parteien essenziell, sondern auch für sozialdemokratische. Ob es für eine moderne Sozialdemokratie wirklich ratsam ist, sich in dieser Angelegenheit ohne Wenn und Aber mit dem technikzentrierten Wachstumsmantra zu verbinden und dieses mit »neuem Fortschritt« gleichzusetzen, wie es auch in dieser Zeitschrift mehrfach empfohlen wurde, kann aus guten Gründen bezweifelt werden.

Meines Erachtens sollten für Mitte-Links-Volksparteien - wie die SPD - die vielen sozialen Innovationen, die wir zurzeit vor allem in unseren Städten beobachten können, vom Sharing und Upcycling über die Tauschringe, das Urban Gardening und die Transition Towns bis zu der neuen Reparaturkultur, dem Social Banking und den Prosumer-Netzwerken, von größtem Interesse sein und keineswegs links liegengelassen werden. Wer weiß, vielleicht sind die Avantgarden und Pioniere von heute der Mainstream von morgen.

Einstweilen lässt sich in dieser Diskussion faktisch ein »Schisma« beobachten. Man beäugt sich mit großer Skepsis und verwendet große Mühe darauf, die Konzepte der jeweils anderen Community zu dekonstruieren. Die Wachstumskritiker und ihre Konzepte gelten den Freunden des grünen Wachstums als rückständig, realitätsfern, übertrieben technikkritisch und realpolitisch untauglich. Sie würden einfach nicht wahrhaben wollen, dass uns der Rückweg in Suffizienz, Subsistenz und Regionalorientierung versperrt sei, weil Arbeitsteilung,Wettbewerb, Globalisierung und nun auch die digitale Revolution dies unmöglich machten.

Umgekehrt schauen die Protagonisten der Postwachstumsgesellschaft mal mitleidig, mal fassungslos auf die grünen Technikoptimisten und Fortschrittsprediger, weil diese aus ihrer Sicht nicht zur Kenntnis nehmen, dass Entlastungseffekte durch technische Innovationen von wachsender Produktion und wachsendem Konsum aufgezehrt oder gar überkompensiert würden und somit letztlich wirkungslos seien. Was nützt es, so fragen sie, wenn Geräte, Maschinen, Gebäude oder Fahrzeuge immer effizienter werden, es von ihnen zugleich aber immer mehr gibt. Die Kritik an diesem sogenannten »Rebound-Effekt«, der sich in allen entwickelten Volkswirtschaften empirisch sehr gut zeigen lässt, kann mittlerweile als Hauptwesenszug der wachstumsskeptischen Gemeinde gelten.

Auch darüber, wie Zukunftsinteressen in Gegenwartshandeln einbezogen werden können, um ökologischen gegenüber ökonomischen Interessen ein stärkeres Gewicht zu verleihen, gehen die Meinungen im Diskurs über nachhaltiges Wirtschaften durchaus weit auseinander: Plädieren die einen eher für anspruchsvolle Umweltgesetze, setzen andere eher auf die Internalisierung externer Effekte und sehen ökonomische Instrumente wie den Emissionshandel, Umweltsteuern oder Haftungsregelungen als Mittel der Wahl. Vertrauen die einen auf die Regulationskraft des Staates, setzen die anderen auf die Innovationskraft des Marktes. Plädieren die einen eher für Wertewandel, sozialen Wandel und maßvolle Lebensstile, setzen die anderen eher auf technologische Durchbrüche mit hohem Umweltentlastungspotenzial. Sind die beschriebenen Widersprüche unüberwindbar?

An dieser Stelle soll die These vertreten werden, dass diese Dichotomie möglicherweise unfruchtbar ist und wir eher auf eine »nachhaltige Dualökonomie« setzen sollten, in der einerseits der formelle Sektor aus Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen nachhaltig »umgebaut« wird, andererseits neue Formen kooperativen Wirtschaftens im informellen nicht primär erwerbswirtschaftlichen Sektor eingeübt und politisch gefördert werden, wobei es durchaus Brücken zwischen beiden Welten geben kann.

Nachhaltige Transformation der Wirtschaft aktiv mitgestalten

In einer solchen Sichtweise geht es eben nicht ausschließlich um Energie- und Ressourceneffizienz und erneuerbare Energie- und Rohstoffquellen, nicht nur um Solaranlagen und Windräder, Elektroautos und Energiesparhäuser, sondern um eine neue soziale Praxis des rechten Maßes. Neben der »Ökonomie der Ressourceneffizienz« und der »Ökonomie der Substitution« (von nicht erneuerbaren durch erneuerbare Quellen), die ihrem Wesen nach beide wettbewerbs- und innovationsgetrieben sind, werden in Zukunft neue Formen kooperativen Wirtschaftens eine immer wichtigere Rolle spielen, in deren Zentrum das menschliche Miteinander und die Übernahme von sozial-ökologischer Verantwortung stehen.

Einige Beispiele mögen verdeutlichen, was gemeint ist und welche Rolle der Politik hierbei zukommt: In einer »Ökonomie des Teilens« werden viele Dinge gemeinschaftlich genutzt, getauscht, verliehen oder verschenkt. Wo Gebäude, Maschinen, Autos, Kleidung oder Nahrungsmittel im Sharing-Modus genutzt werden, bieten sich Umweltentlastungs- und Ressourceneinsparpotenziale. Teilweise werden diese Aktivitäten heute durch gemeinwohlorientierte Communitys organisiert (z.B. Foodsharing oder Urban Gardening und Stadtteilautos), teilweise gehen sie aber auch über in para-kommerzielle (z.B. Kleidertausch oder Mitfahrgelegenheiten und Übernachtungsmöglichkeiten) oder kommerzielle Strukturen (z.B. Car-/Ridesharing oder Couchsurfing). Hier hat der Staat durchaus die Aufgabe, den eher gemeinwohlorientierten und para-kommerziellen Teil der Sharing Economy gegenüber dem rein kommerziellen (z.B. Uber, Airbnb, Car2go, DriveNow) zu stärken, etwa durch faire Wettbewerbsbedingungen, steuerliche Besserstellung oder Verbesserungen im Vereins- oder Stiftungsrecht.

In einer »Ökonomie der Langlebigkeit« werden Gebrauchsgüter durch Pflege, Wartung und Reparatur erheblich in ihrer Nutzungseffizienz verbessert und schonen so Ressourcen und Umwelt. Das Entstehen einer neuen Reparaturkultur und neuer Dienstleistungsmärkte für Reparaturen kann die Politik auf verschiedene Weise fördern, etwa in dem sie »geplante Obsoleszenz« (vorsätzliches und vorzeitiges »Kaputtgehenlassen« von Gebrauchsgegenständen) gesetzlich verbietet oder zumindest erschwert, den Produkten beigepackte Reparaturanleitungen obligatorisch vorschreibt sowie Produkthaftungsregeln verschärft und Produkthaftungsdauern verlängert.Auf der anderen Seite können Kindergärten, Schulen, Volkshochschulen, Kirchengemeinden oder Sozialeinrichtungen »Repair Cafés« einrichten, in denen Reparaturkompetenz entwickelt wird.

In einer »Ökonomie des Prosumierens« (eine Wortkombination aus den Begriffen Produzieren und Konsumieren) verschwimmen die Grenzen zwischen Erzeugung und Verbrauch zunehmend. So nehmen etwa immer mehr Menschen ihre Energieerzeugung in die eigene Hand, indem sie sich eine eigene Solaranlage aufs Dach setzen, grünen Strom beziehen oder sich an einer ökologisch orientierten Energiegenossenschaft beteiligen. Auch fragen sich immer mehr Menschen, wie eigentlich die Tiere gehalten und die Pflanzen angebaut werden, die sie essen, und beteiligen sich an Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften im ökologischen Landbau. Seit Neuestem wollen auch immer mehr Menschen von ihrer Bank wissen: »Was machst Du eigentlich mit meinem Geld? Wie legst Du es an?« Mit anderen Worten: Eine wachsende Zahl von Menschen will ihre Verantwortung nicht mehr an der Steckdose, der Ladentheke oder dem Bankschalter abgeben, sondern die nachhaltige Transformation der Wirtschaft aktiv mitgestalten.

Eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern will als Wirtschaftssubjekt nicht mehr nur auf die Rolle des (nach möglichst niedrigen Preisen strebenden) Konsumenten reduziert werden, sondern Produkt- und Produktionsverantwortung im Sinne sozial-ökologischer Werte übernehmen. Die Wirtschaft von morgen wird die Entfremdung zwischen Konsumierenden und Produzierenden, Arbeit(splatz)gebern und Arbeit(splatz)nehmern zu einem guten Teil überwinden und Anstrengungen zur Wiedereinbettung der Ökonomie in Kultur und Gesellschaft unternehmen. »Die Wirtschaft« wird es in Zukunft immer weniger geben, »das Wirtschaften« hingegen wird zunehmend zur Sache aller. Die Rolle der Unternehmen wird sich radikal wandeln und mehr und mehr in kooperative Netzwerkstrukturen münden. Es wird nicht mehr ausreichen, Corporate Social Responsibility im Munde zu führen und die Öffentlichkeit mit bunten Broschüren zu beglücken! Was zählt, sind nachhaltige Produkte und Dienstleistungen.

Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieses Weges, das muss abschließend betont werden, ist allerdings, dass die Einkommensunterschiede in unseren Gesellschaften nicht weiter steigen oder besser sogar abgebaut werden, denn soziales, ökologisches und unternehmerisches Engagement kann nur wirklich gedeihen, wo Abstiegs- und Existenzängste nicht übermächtig werden.


Reinhard Loske ist Professor für Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten/Herdecke. Zuvor war er für Bündnis 90/Die Grünen u.a. bremischer Senator für Umwelt und Europaangelegenheiten und Mitglied des Deutschen Bundestages.
reinhard.loske@uni-wh.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2015, S. 46 - 48
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von
Kurt Beck, Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka,
Thomas Meyer und Bascha Mika
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Die NG/FH erscheint zehnmal im Jahr (Hefte 1+2 und 7+8 als Doppelheft)
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Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2015

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