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ENERGIE/1869: Erdgas als geopolitische Waffe - Teil 2 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 23. Mai 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Erdgas als geopolitische Waffe
Teil II: Fracking

von Bernd Müller



Der polnische Ministerpräsdident Donald Tusk hat vorgeschlagen, die Länder der Europäischen Union sollen sich zu einer Energieunion zusammenschließen, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas deutlich zu verringern und um dem russischen Staat seine finanziellen Möglichkeiten zu nehmen. Teil des Vorschlags ist es, heimische Ressourcen stärker zu nutzen. Das umstrittene Fracking-Verfahren soll dabei im großen Stil angewendet werden.

Donald Tusk steht mit seiner Forderung nicht allein. EU-Energiekommissar Günther Oettinger fordert ebenfalls seit einiger Zeit, dass die Vorbehalte gegen Fracking abgebaut werden und das Verfahren in den EU-Mitgliedsstaaten zugelassen wird. Kürzlich hat sich auch CSU-Vize Peter Ramsauer für Fracking ausgesprochen, weil die Folgen der Sanktionen gegen Russland auf die Europäische Union zurückfallen könnten.

Angefeuert wird die Debatte aus den USA. Bei seinem letzten Besuch in Europa hat US-Präsident Barack Obama die europäischen Staaten aufgefordert, stärker ihre heimischen Ressourcen zu nutzen. Bereits 2011 wurde im US-Außenministerium ein Büro für Energieressourcen eingerichtet, das die europäischen Staaten dabei unterstützen soll, unkonventionelles Erdgas mit dem Fracking-Verfahren zu fördern -im eigenen wirtschaftlichen Interesse, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung in einer Studie gezeigt hat.


Myhtos von billiger Energie im Überfluss

Die Diskussion um Schiefergas und Fracking in Europa basiere vor allem auf den Erfahrungen in den USA, wo scheinbar billige Energie im Überfluss vorhanden ist, heißt es in der Studie. Der Mythos von Schiefergas als billige und im Überfluss vorhandene Energiequelle werde vor allem von der Industrie und der Politik aufrecht erhalten, die den europäischen Markt erschließen wollen. Eine genauere Betrachtung zeige aber, dass die Situation in Europa in vielerlei Hinsicht eine andere als in den USA sei.

"Hydraulic Fracturing" - kurz Fracking - ist kein neues Verfahren zur Öl- und Gasgewinnung. Zum ersten Mal wurde es 1947 in Kansas an einer konventionellen Lagerstätte angewandt, um die Förderrate zu erhöhen - mit mäßigem Erfolg. In den 1950er Jahren wurde es auch in der Sowjetunion angewandt, um den Druck in Erdöllagerstätten aufrecht zu erhalten. Neu ist allerdings, dass das Verfahren zur Öl- und Gasgewinnung aus unkonventionellen Lagerstätten, wie zum Beispiel Schiefergestein, eingesetzt wird. Damit der jeweilige Rohstoff gewonnen werden kann, muss das Gestein mechanisch aufgebrochen und ein künstlicher Weg für den Austritt des Gases geschaffen werden. Dazu wird ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und Chemikalien unter sehr hohem Druck in die Tiefe gepresst, wobei Risse von bis zu 15 Millimetern im Gestein entstehen. Nach Abschluss des Frack-Vorgangs wird das Gemisch wieder abgepumpt und das Gas aus dem Gestein strömt dem Bohrloch entgegen.

In der Kritik steht Fracking einerseits wegen vorhandener und befürchteter Schäden für Umwelt und Gesundheit, andererseits wegen des enormen Wasserverbrauchs. Egal ob in Deutschland, Großbritannien, Polen oder den USA, überall haben sich zahlreiche Bürgerinitiativen gegründet, um geplante Bohrungen in ihrer Umgebung zu verhindern, und Umweltverbände tun ihr möglichstes, um über die Risiken aufzuklären.

Auffällig ist, dass über den Chemikaliencocktail, der in die Erde gepumpt wird, größtenteils Stillschweigen bewahrt wird. Zwar veröffentlichten bereits einige Firmen dessen Zusammensetzung, aber nicht, welche Menge der einzelnen Stoffe verwendet wird, schreiben David Schizer und Thomas Merrill von der Columbia Law School in New York. Die Förderunternehmen argumentierten, dass die genaue Zusammensetzung ein Geschäftsgeheimnis sei wie das Rezept der Coca-Cola. Immerhin ist bekannt, dass der Chemiecocktail Schäume, Rostschutzmittel, Säuren und hochgiftige Biozide enthält, damit sich beispielsweise keine Bakterien und Pilze ausbreiten können.

Eigentlich dürfen Chemikalien laut EU-Chemikalienverordnung Reach nur so verwendet werden, wie es deren Hersteller oder Händler im Registrierungsdossier beschreiben. Gefährliche Chemikalien dürfen nur genutzt werden, wenn die mögliche Belastung des Menschen und der Umwelt geklärt ist und wenn entsprechende Maßnahmen zum Risikomanagement eingehalten werden. Allerdings gibt es eine Ausnahme von der Regel: Werden gefährliche Stoffe in Gemischen so verdünnt, dass sie einen bestimmten Grenzwert unterschreiten, braucht sich der Anwender nicht um das Registrierungsdossier kümmern. Für krebserregende Stoffe liegt der Grenzwert bei 0,1 Prozent am Gesamtgemisch. Was auf den ersten Blick gering aussieht, kann in der Praxis eine große Menge bedeuten. So leitete ExxonMobil in der Nähe der Ortschaft Damme ein Gemisch in den Boden, das einen Anteil an Chemikalien von nur 0,2 Prozent aufwies. Aber bei 12 Millionen Litern Flüssigkeit, die in den Boden gepumpt wurden, waren es immer noch 24.000 Liter Chemikalien.


Vorkommen werden übertrieben hoch geschätzt

In der BUND-Studie heißt es, ein Teil der Verwirrung über das tatsächliche Potenzial von Schiefergas komme vom mangelndem Verständnis über den Unterschied zwischen Ressourcen und Reserven. Als Ressource wird die Gesamtmenge eines Rohstoffs bezeichnet, der in einem bestimmten Gebiet vorkommt - was aber nicht unbedingt bedeutet, dass eine wirtschaftliche Förderung möglich ist. Als Reserve wird hingegen die Menge bezeichnet, die innerhalb der existierenden wirtschaftlichen Gegebenheiten gewinnbringend gefördert werden kann.

Die offiziellen Prognosen der US-Regierung stammen vom Amt für Energiestatistik (EIA). Die EIA sei dafür bekannt, dass sie zu optimistischen Schätzungen neige und schon oftmals die Produktionskapazität für Öl und Gas überschätzte. Erst 2012 musste die EIA ihre Schätzung der Schiefergasreserven im Vergleich zum Jahr 2011 um 42 Prozent nach unten korrigieren. Die geschätzten Reserven würden nur ausreichen, um die USA für 24 Jahre mit Gas versorgen zu können. Doch bezeichne der renommierte, unabhängige Geologe David Hughes die aktuelle Schätzung immer noch als "extrem optimistische Prognose". Übertroffen würde diese optimistische Schätzung aber noch von der Schiefergasindustrie. Nachforschungen der Gasanalytikerin Debora Rogers hätten gezeigt, dass die Industrie ihre Reserven "um mindestens 100 Prozent und um bis zu 400-500 Prozent" überbewertete.

Ähnlich ist es in Europa, schreibt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät. So schätzte die EIA 2010 die polnischen Reserven auf 5 Billionen Kubikmeter. 2011 ging das Polnische Geologische Institut (PGI) nur noch von 560 Millarden Kubikmetern aus und 2012 ging die US-amerikanische Geologische Behörde (USGS) sogar nur noch von 38 Milliarden Kubikmetern aus. Unternehmen wie Exxon Mobil, ConocoPhillips, Talisman Energie oder Marathon Oil haben sich bereits aus Polen zurückgezogen, weil die Reserven falsch eingeschätzt wurden oder weil Testbohrungen enttäuschten. In den Niederlanden veröffentlichte das Forschungsinstitut TNO 2009 einen Report, in dem die verfügbaren Schiefergasreserven mit etwa 5,6 Billionen Kubikmetern angegeben wurden. Unabhängige Fachleute überprüften diese Schätzungen und kamen zu dem Schluss: Die Reserven wurden unrealistisch hoch bewertet. Sie wurden nach unten korrigiert - auf 10 bis 20 Milliarden Kubikmeter.

Die BUND-Studie zeigt weiter: Die Schiefergasproduktion in den USA ist nur auf wenige Gebiete beschränkt. Etwa 80 Prozent des Schiefergases werden in nur sechs Feldern gefördert und die Produktion lässt sich dort nicht mehr ausweiten. Auf vier Feldern, die zusammen 68 Prozent der Förderung ausmachen, sinkt die Produktion bereits.

Die niedrigen Gaspreise in den USA werden oftmals als Argument angeführt, Fracking auch in Deutschland oder anderen europäischen Ländern zuzulassen. Doch die niedrigen Preise beruhen nicht auf geringen Produktionskosten, sondern auf ein Überangebot an Gas. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen schreibt, verantwortlich seien dafür die Exportbeschränkungen. Es hätte einen regelrechten Preisverfall in den USA gegeben. Selbst die EIA geht davon aus, dass sich das niedrige Preisniveau nicht auf Dauer halten wird.

Es gebe im Wesentlichen drei Faktoren, die den Gaspreis niedrig halten, heißt es in der BUND-Studie. Durch Finanzmarktprodukte seien die Produzenten gegen niedrige Preise abgesichert. Es gibt eine Reihe von Feldern, die bereits betrieben wurden und noch nicht völlig ausgebeutet waren. Als weiteren Grund werden die Pachtverträge für Grundstücke genannt, die Anlagenbetreiber oftmals dazu zwingen, innerhalb von fünf Jahren mit den Bohrungen zu beginnen, wenn sie ihr Pachtrecht nicht verlieren wollen. So gab das US-amerikanische Unternehmen Chesapeake an, 50 Prozent seiner Bohrungen nur deshalb durchzuführen, um das Pachtrecht zu behalten. Ansonsten wären wichtige Vermögenswerte aus der Bilanz entfallen, was wahrscheinlich den Bankrott bedeutet hätte.

Die starke Überbewertung der Reserven diente vorwiegend dazu, den Aktienpreis der Unternehmen in die Höhe zu treiben und damit die Zahlungsfähigkeit zu sichern. Die niedrigen Gaspreise würden vor allem von den kleinen und mittleren Unternehmen ihren Tribut verlangen: Gehandelt wird heute nicht nur mit Gas sondern auch mit Pachtverträgen und viele dieser Unternehmen mussten ihre Pachtverträge verkaufen, um nicht Bankrott zu gehen. Das Unternehmen Chesapeake gibt an, dass der Handel mit den Verträgen lukrativer ist als die Gasförderung selbst. Vor allem kapitalstarke Konzerne kaufen die Pachtverträge, um die Reserven in ihren Büchern zu vergrößern und damit ihren Unternehmenswert zu steigern, heißt es in der BUND-Studie. Bis vor kurzem seien die USA zu 80 Prozent von kleinen, unabhängigen Unternehmen mit Gas versorgt worden. Innerhalb von nur drei Jahren sind diese zum großen Teil von Konzernen wie Exxon Mobil, BP, Shell, ConocoPhillips oder Chevron verdrängt worden.


Niedrige Gaspreise sind in Europa nicht möglich

Befürworter des Fracking meinen, die Entwicklung in den USA sei auch für Europa bedeutsam und niedrige Gaspreise könnten auch hier die Industrie wieder beleben. Dabei berücksichtigen sie viele Faktoren nicht, wird sowohl vom Sachverständigenrat als auch vom BUND kritisiert. Niedrige Energiepreise sind in Europa kaum möglich. So führt der SRU an, dass die Förderkosten in Europa etwa zwei- bis dreimal so hoch seien wie in den USA. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat im letzten Jahr in einer Befragung von Energieexperten festgestellt, dass die Förderung von Schiefergas in Europa erst attraktiv werde, wenn der Preis deutlich steige. Der Preis im Großhandel lag damals bei 27 Euro pro Megawattstunde (Mwh). Fast zwei Drittel der Befragten ging davon aus, dass der Preis auf über 40 Euro ansteigen müsste, um die Schiefergasförderung wirtschaftlich rentabel zu machen. Ein Drittel geht sogar davon aus, dass der Preis noch weiter steigen müsste.

Die Förderung von Schiefergas ist von günstigen geologischen Bedingungen abhängig und diese sind in Europa weniger verbreitet als in den USA. So liegen zum Beispiel die Schiefergasvorkommen in Polen etwa eineinhalb mal tiefer als in den USA, was die Förderkosten laut Ölfeldzulieferer Schlumberger verdreifachen würde. Stärkere Pumpen und Bohranlagen seien notwendig, um das Gas aus größeren Tiefen zu holen und mit höheren Temperaturen fertig zu werden.

So fielen auch in Polen und Ungarn Testbohrungen so enttäuschend aus, dass sich mehrere Konzerne zurückzogen. Exxon Mobil stellte in beiden Ländern fest, dass keine bedeutenden Reserven vorhanden seien. Ein Vorhaben des ungarischen Unternehmens MOL mit dem kanadischen Unternehmen Falcon Oil & Gas wurde aufgegeben, da die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückblieben. Aus Polen zogen sich einige Unternehmen zurück, weil die geologischen Bedingungen zu schwierig waren.

Mehrere Institutionen haben berechnet, dass die Förderung von Schiefergas in Großbritannien kaum zu niedrigeren Gaspreisen führen wird. So stellte Wood MacKenzie fest, dass die Gasfelder ähnlich produktiv sein müssten wie in den USA, um die Förderung in Großbritannien überhaupt rentabel zu machen. Ansonsten sei eine Verdoppelung der Gaspreise notwendig. Bloomberg New Energy Finance und das Grantham Institute stellten übereinstimmend fest, es sei unwahrscheinlich, dass Fracking zu niedrigeren Gaspreisen führen werde. So seien auch die Bohrkosten in Großbritannien fünfmal so hoch wie in den USA.

Wasserknappheit sei ein weiterer Faktor, der Fracking in Europa teuer machen würden. Laut KPMG, einem globalem Netzwerk von Firmen im Bereich Wirtschaftsprüfung, sei die Verfügbarkeit von Wasser in den europäischen Ländern am geringsten, in denen die Aussichten auf Schiefergas am größten seien. Polen und Tschechien haben die kleinsten erneuerbaren Wasserressourcen pro Kopf in Europa. Durch Fracking könnten sich dort die Wasserpreise verzehnfachen.

Ein weiteres Problem ist, dass es in Europa kaum Fachwissen über das Fracking-Verfahren gibt, so die BUND-Studie. In den USA werde das Know-how seit den 1980er Jahren entwickelt. Dagegen gebe es in Europa keinen vergleichbaren Dienstleistungssektor und kaum verfügbare Ausrüstung oder Grundlagenwissen. So gebe es in den USA etwa 2500 Bohreinrichtungen, während es in Europa gerade mal 72 gibt, von denen wiederum nur ein kleiner Teil tauglich ist für den komplizierten Frack-Vorgang. Außerdem müsste laut KPMG das europäische Pipelinenetz ausgebaut werden, was wiederum umfangreiche Investitionen notwendig macht.

Der BUND schlussfolgert, dass die Förderung von Schiefergas - wenn sie in Europa überhaupt möglich ist - nur langsam Fuß fassen und zu deutlich höheren Preisen führen wird als in den USA.


Bernd Müller, Dipl.-Ing., freier Journalist

Weitere Informationen unter:
www.bernd-mueller.org


Teil 1 erschien in der UZ vom 2.5.2014
[Im Schattenblick siehe unter unter: www.schattenblick.de → Infopool → Politik → Wirtschaft:
ENERGIE/1841: Erdgas als geopolitische Waffe - Teil 1 (UZ)]


Siehe auch frühere Artikel zum Thema bzw. verwandten Themen in der UZ:

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 21 vom 23. Mai 2014, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2014