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ENERGIE/2085: Wo Licht ist, fällt auch Schatten (Leibniz)


Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 2/2015

Wo Licht ist, fällt auch Schatten

von Katja Lüers


Sonne, Wind, Wasser - in 15 Jahren sollen erneuerbare Energien rund die Hälfte des Strombedarfs übernehmen. Darüber herrscht Konsens in Deutschland. Geht es aber um die Förderung der Photovoltaik, haben die Leibniz-Ökonomen Claudia Kemfert und Manuel Frondel unterschiedliche Sichtweisen.


An den Küsten Deutschlands drehen sich die Windräder, auf unzähligen Hausdächern blitzen Photovoltaikanlagen in der Sonne. Erneuerbare Energien gehören längst zu unserem Alltag. Ohne Wind und Sonne wird die Energiewende nicht zu schaffen sein. Selbst für das nicht allzu sonnenverwöhnte Deutschland stellt die Solarenergie eine bedeutende Alternative dar. "Der autarke Haushalt wird eines Tages Standard in Deutschland sein. Mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach und dem Batteriespeicher im Keller kann sich dann jeder Verbraucher selbst versorgen", sagt Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI). Doch noch seien die Speichertechnologien zu teuer und die Photovoltaik-Module nicht effizient genug.


"Hohe Kosten, wenig Wirkung"

"Umso mehr ärgert es mich, zu sehen, wie viel schlechte PV-Technologie bereits auf deutschen Dächern installiert ist - und zwar zu absurd hohen Kosten", sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Die Photovoltaik sei ein Paradebeispiel für eine fehlgeleitete Subventionspolitik: Der PV-Boom von 2009 bis 2013 war ein Hauptgrund dafür, dass sich die EEG-Umlage, die alle Verbraucher über den Strompreis tragen, verfünffacht hat - von etwa 1,3 Cent auf 6,24 Cent pro Kilowattstunde. 2015 ist sie erstmals seit ihrer Einführung im Jahr 2000 gesunken - auf 6,17 Cent.

Stark fallende Preise für Solarmodule sowie die hohen Einspeisevergütungen führten in der Vergangenheit dazu, dass die Photovoltaik massiv ausgebaut wurde. "Dies ist entgegen erster Intuition keine gute, sondern eine gefährliche Entwicklung: Letztlich müssen die deutschen Stromverbraucher über höhere Stromrechnungen rund 116 Milliarden Euro für die zwischen 2000 und 2014 installierten PV-Anlagen zahlen", sagt Frondel. Diesen Kosten würden nur geringe positive Umweltwirkungen gegenüberstehen: "In Deutschland wird viel mehr Windstrom produziert als Solarstrom, aber die Kosten sind nur ein Bruchteil von dem, was wir für Solarstrom bezahlen", kritisiert Frondel.


"Atom und Kohle treiben die Energiepreise"

Am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) hingegen sieht seine Kollegin Claudia Kemfert große Vorteile in der Förderung: Die Ausgaben für importierte Energie sinken pro Jahr und liegen bei rund 11 Milliarden Euro. Zudem seien die Kosten Investitionen, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen. Die wahren "Kosten-Tsunamies" entstünden durch die Kohle- und Atomenergie. Der Abbau und die Verbrennung der Kohle verursachen enorme Umweltschäden, die Atommüllendlagerung bedeuten finanzielle Jahrhundert-Belastungen. "Derzeit finanzieren wir den Umbau des Energiesystems, die Aufwendungen insbesondere für Solarstrom sinken weiter", so Kemfert. Zudem habe die Förderung aus Deutschland die Kosten für Solarenergie so stark senken können, dass davon alle Weltregionen profitieren: "Auch arme Länder, die bisher kaum Zugang zu Strom hatten."

Kemfert macht weniger die Photovoltaik für den Anstieg der Ökostrom-Umlage verantwortlich als die niedrigen Strompreise an der Börse: "Die EEG-Umlage errechnet sich aus der Differenz zum Börsenpreis, und je niedriger der Börsenpreis, desto höher die Umlage. Die Frage ist, warum der aktuelle Tiefstpreis nicht an die Privatkunden weitergegeben wird." Zudem seien die Ausnahmen für die Industrie immer weiter angestiegen: Viele Unternehmen zahlen überhaupt keine EEG-Umlage. Die Umweltökonomin fordert mehr Transparenz für den Bürger.


"Die nächste Kostenlawine rollt schon"

Dass die Ökostrom-Umlage erstmals gesunken ist, macht Kemfert zufolge deutlich, dass die Kostendynamik der vergangenen Jahre durchbrochen ist. Sie geht davon aus, dass die Umlage in den nächsten Jahren nicht oder nur leicht steigen wird, bevor sie endgültig sinkt. Frondel hält dagegen: "Die Umlage wird steigen, da der Ausbau an Windkraftanlagen vor deutschen Küsten an Fahrt gewinnt. Da rollt die nächste Kostenlawine auf den Verbraucher zu." Für die Photovoltaik befürchtet er einen "Solarboom 2.0" - verursacht durch Selbstversorger: "Denn einerseits wird Haushaltsstrom tendenziell teurer, andererseits werden die PV-Module billiger", erklärt Frondel. Insofern werde es für Haushalte immer lukrativer, eine Solaranlage zu installieren. Sie zahlen keine Mehrwertsteuer, keine Stromsteuer, keine Netzentgelte und keine EEG-Umlage. Ein Haushalt, der knapp 30 Cent pro Kilowattstunde Strom an seinen Versorger zahlt, spart auf diese Weise über 20 Cent je kWh. Ein Anreiz für all jene, die das nötige Kleingeld besitzen, um sich Sonnen-Paneele aufs Dach zu bauen. "Wenn die Politik die Rahmenbedingungen nicht ändert, könnten bald schon einige Millionen mehr PV-Anlagen deutsche Haushalte mit Strom versorgen", befürchtet Frondel. Was erfreulich klingt, würde nicht folgenlos bleiben: Immer weniger Menschen müssten die EEG-Umlage finanzieren. Kemfert widerspricht deutlich: "Das Gegenteil ist richtig. Viele Selbstversorger müssen bereits eine 'Solarabgabe' zahlen. Dies hat die Nachfrage nach Solarenergie einbrechen lassen. Wir erleben deshalb derzeit einen massiven Rückgang des Solarausbaus. Die PV-Ausbauziele der Bundesregierung wurden 2014 schon nicht erreicht. 2015 wird vermutlich noch weiter unter dem Zubauziel liegen."


Ohne Zukunft: Solarbranche in Deutschland

Geht es um Arbeitsplätze in der Solarindustrie, sind sich Kemfert und Frondel weitgehend einig. Allein 2014 sind über 40.000 Arbeitsplätze verloren gegangen - eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus. "Die Politik hätte viel früher gegensteuern müssen", lautet der Tenor der beiden Wissenschaftler. Während sich die Kohlelobby für den Erhalt von wenigen tausend Arbeitsplätzen engagiert, ist die Solarindustrie ins Ausland abgewandert. "Diese Entwicklung ist besonders schade, weil Deutschland die Solarenergie auf den Weg gebracht und finanziert hat. Die Erträge erwirtschaften jetzt andere", kritisiert Kemfert.

Frondel befürchtet, dass die Fehlentwicklungen dazu führen, dass die Deutschen der Energiewende den Rücken kehren. "Wir empfehlen, an Stelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ein alternatives Instrument zur kosteneffizienteren Förderung erneuerbarer Energien einzusetzen", so Frondel. Der weitere PV-Ausbau sollte schnellstmöglich gestoppt werden. "Man sollte die garantierte Vergütung von Wind- oder Solarstrom zugunsten einer Quotenregelung abschaffen. Dabei müssten die Stromanbieter einen bestimmten Prozentsatz am Strommix aus erneuerbaren Energien erzeugen", schlägt Frondel vor. Kemfert hält die Quotenregelung für illusorisch: "Wir brauchen kein neues Instrument. Die EEG-Förderung wird auslaufen, sobald sich die Anlagen am Markt behaupten. Dies wird voraussichtlich in einigen Jahren der Fall sein."


Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der privaten Hertie School of Governance. Claudia Kemfert ist gefragte Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen; unter anderem beriet sie den damaligen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso im Zuge der High Level Group on Energy and Climate.

Manuel Frondel ist seit Oktober 2003 Leiter des Kompetenzbereichs "Umwelt und Ressourcen" am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen; seit 2009 ist er zudem Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie der Ruhr-Universität Bochum. Manuel Frondel ist Diplom-Physiker und Diplom-Wirtschaftsingenieur und arbeitet vor allem im Bereich der empirischen Wirtschaftsforschung mit der Anwendung statistisch-ökonometrischer Methoden bei umwelt-, ressourcen- und energie-ökonomischen Fragen.

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Quelle:
Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2015, Seite 32-35
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2015

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