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FINANZEN/087: Brief von Merkel und Sarkozy an den kanadischen Premier Harper (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand - 21.06.2010

Gemeinsamer Brief von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy an den kanadischen Premierminister Stephen Harper:


"Sehr geehrter Herr Premierminister,

unser Treffen in dieser Woche in Toronto findet in einer Zeit statt, in der die sich andeutende wirtschaftliche Erholung durch erneute Spannungen auf den Finanzmärkten gefährdet sein könnte.

Seit unserem ersten Treffen in Washington im Jahr 2008 haben wir bei der Umsetzung der Reformagenda zur Finanzmarktregulierung solide Fortschritte gemacht. Unsere Arbeit ist jedoch noch nicht beendet. Die jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten haben gezeigt, dass noch mehr getan werden muss, um finanzielle Stabilität zu gewährleisten. Bei der Umsetzung unserer vereinbarten Agenda müssen wir die bestehende Dynamik aufrechterhalten und die neuen Herausforderungen auf koordinierte Weise angehen.

Wir möchten Ihnen für Ihren Brief vom 17. Juni 2010 danken, in dem Sie eine ehrgeizige Agenda für Maßnahmen und Beschlüsse in Toronto beschreiben. Wir teilen vollkommen Ihre Ansicht, dass wir für die Finanzmarktreformen Klarheit schaffen und diesen Prozess lenken müssen. Auf die in Ihrem Brief genannten Punkte möchten wir näher eingehen und Ihnen Ideen für weitere Maßnahmen und Beschlüsse in Bezug auf einige Themen der Agenda vorstellen, die wir bei vorausgegangenen Treffen diskutiert haben.

Frankreich und Deutschland sprechen sich auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. Juni 2010 für eine internationale Einigung über die Einführung einer Abgabe oder Steuer für Finanzinstitute aus, um eine gerechte Lastenverteilung zu gewährleisten und Anreize zur Eindämmung systemischer Risiken zu schaffen.

Eine solche Abgabe oder Steuer sollte Teil eines glaubwürdigen Abwicklungssystems sein. Wir sind der Ansicht, dass diese Abgabe risikoorientiert sein sollte und das Problem von Fehlanreizen bei systemrelevanten Instituten berücksichtigen sollte.

Frankreich und Deutschland werden dazu aufrufen, an einer internationalen Einigung über eine globale Finanzmarktsteuer, z. B. eine Finanztransaktionssteuer, zu arbeiten, die ein zusätzliches Element des Beitrags des Finanzsektors zu den Kosten der Krisenbewältigung darstellen soll.

Wir stimmen vollkommen zu, dass eine Stärkung des Eigenkapitals und der Liquidität der Banken nötig ist, damit das Finanzsystem Erschütterungen besser widerstehen kann. Um vollständige Transparenz zu gewährleisten, sollten die Ergebnisse laufender, von Bankenaufsichtsbehörden durchgeführter Stresstests veröffentlicht werden; eine solche Veröffentlichung wird in Europa spätestens in der zweiten Julihälfte erfolgen.

Angesichts der möglichen Auswirkungen, die neue Aufsichtsregeln hinsichtlich Eigenkapital und Liquidität auf die Finanzierung unserer Volkswirtschaften haben, sind wir der Ansicht, dass sie in angemessener Weise ausgewählt und justiert sowie stufenweise eingeführt werden sollten, damit die Erholung der Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird. Daher sollten wir darauf hinarbeiten, diese neuen Regeln bis Ende 2012 einzuführen, und dabei für ausreichende Übergangsfristen sowie angemessene Übergangsregelungen sorgen.

Wir stimmen zu, dass in Toronto beschlossen werden sollte, die Umsetzung wirksamer Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz, Regulierung und Aufsicht von außerbörslichen Derivaten (OTC-Derivate) zu beschleunigen, insbesondere durch Berichtspflichten, durch verpflichtenden Handel an Börsen oder über elektronische Plattformen sowie durch die verpflichtende Abwicklung über zentrale Kontrahenten. Wir sollten uns ebenso darauf verständigen, in koordinierter Weise auf die speziellen Herausforderungen zu reagieren, die durch die Märkte für Kreditausfallversicherungen einschließlich der Ausfallversicherungen für staatliche Anleihen entstehen.

In Toronto sollten wir uns ferner dazu bekennen, unseren Kampf gegen Steueroasen, Geldwäsche, Korruption, die Finanzierung des Terrorismus und die Nichteinhaltung international vereinbarter Regulierungsstandards energisch weiterzuverfolgen. Wir sollten koordinierte und angemessene Sanktionen für jene Jurisdiktionen ausarbeiten, die international vereinbarte Standards in Bezug auf den Austausch von Steuerinformationen, die Geldwäsche und die Finanzierung des Terrorismus immer noch nicht einhalten.

Seit unserem Treffen in London im April 2009 ist die Anzahl unterzeichneter Abkommen zum Austausch von Steuerinformationen erheblich gestiegen. Wir sollten nun sicherstellen, dass diese Abkommen vollständig umgesetzt werden. Daher sollten wir die OECD auffordern, im Lichte der Ergebnisse der Arbeit des Globalen Forums für Transparenz und Informationsaustausch bis zu unserem Treffen im November 2011 ihre Liste mit Jurisdiktionen, die die international vereinbarten Standards nicht einhalten, zu überarbeiten.

Wir sollten sicherstellen, dass sich die internationalen Finanzinstitutionen und regionalen Entwicklungsbanken unseren Bemühungen anschließen und ihr Investitionsverhalten in Bezug auf diese Jurisdiktionen überprüfen.

Darüber hinaus sollten wir den Rat für Finanzstabilität (FSB) bitten, bis Ende 2010 eine Liste mit Jurisdiktionen zu veröffentlichen, die eine Zusammenarbeit in Bezug auf international vereinbarte Regulierungsstandards verweigern.

Bei unserem Treffen in Pittsburgh haben wir neue Grundsätze und Standards angenommen, um das Risiko einzugrenzen, das im Zusammenhang mit den Vergütungspraktiken im Finanzsektor besteht. Dem Rat für Finanzstabilität zufolge ist der Umsetzungsstand in den einzelnen G20-Staaten weiterhin uneinheitlich, wodurch Wettbewerbsverzerrungen entstehen und die Glaubwürdigkeit der von den G20 eingegangenen Verpflichtungen gefährdet wird. Um gleiche Rahmenbedingungen für alle zu schaffen, sollte der Rat für Finanzstabilität daher Umsetzungsleitlinien für innerstaatliche Regulierungs- und Aufsichtsbehörden entwerfen und die Umsetzung der Standards in großen Finanzinstituten überwachen. Ferner sollten wir uns dazu verpflichten, sicherzustellen, dass jede nationale Behörde angemessene Sanktionen gegen diejenigen Finanzinstitute verhängt, die die Standards nicht einhalten.

Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass an dem Aufsichts- und Regulierungsrahmen zur Verbesserung von Rating-Prozessen weiterhin gearbeitet werden muss. Der Rating-Markt sollte im Hinblick auf fehlenden Wettbewerb bewertet und die Internationale Organisation der Börsenaufsichtsbehörden (IOSCO) aufgefordert werden, Maßnahmen zur Beseitigung dieses Problems vorzuschlagen. Zusätzlich sollte der internationale Verhaltenskodex für Rating-Agenturen dahingehend erweitert werden, dass er auch die Auswirkungen berücksichtigt, die Kommunikation und Veröffentlichung von Rating-Veränderungen auf die Ausweitung von Finanzmarktturbulenzen und auf die Finanzstabilität haben. Die Staats- und Regierungschefs der G20 sollten den Rat für Finanzstabilität darüber hinaus bitten, bis Juni 2011 zu bewerten, ob die Abhängigkeit des Regulierungsrahmens von externen Ratings verringert werden sollte, und wie dieses Ziel gegebenenfalls erreicht werden kann.

Um gleiche Rahmenbedingungen für alle zu schaffen, sind wir schließlich der Ansicht, dass sich alle G20-Staaten zur Teilnahme an einem Verfahren zur gegenseitigen Begutachtung (Peer Reviews) bekennen sollten, das vom Rat für Finanzstabilität in Zusammenarbeit mit internationalen Standardsetzern und gegebenenfalls weiteren internationalen Institutionen durchgeführt wird.


Kopien dieses Briefs werden an die koreanische Präsidentschaft und die Staats- und Regierungschefs der G20 geschickt."


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 226 vom 21.06.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010