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INTERNATIONAL/004: Brasilien - Wirtschaft boomt, doch nicht alles Gold, was glänzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2010

Brasilien: Wirtschaft boomt - Doch nicht alles Gold, was glänzt

Von Mario Osava


Rio de Janeiro, 13. Dezember (IPS) - Brasilien gehört zu den besonders erfolgreichen Wirtschaftsmächten der Welt. Dennoch sieht die Zukunft nicht nur rosig aus. Ein Rückgang der Industrieproduktion könnte den Erwicklungsprozess abbremsen wenn nicht gar umkehren.

Ein Beispiel ist der Handel. China hat sich zum wichtigsten Handelspartner des südamerikanischen Landes aufgeschwungen, das dessen Rohstoffe einführt und Industriegüter nach Brasilien ausführt. Die USA, einst Partner Nummer eins, nehmen mehr Industriegüter ab, was damit zu tun, dass beide Länder im Agrarbereich als Konkurrenten auftreten.

Was den Handel mit China betrifft, ist Brasilien in einem dicken Plus, das es in den ersten zehn Monaten des Jahres auf 5,1 Milliarden US-Dollar brachte. Die Handelbilanz mit den USA hat sich hingegen seit 2009 verkehrt. Nach einem Rekordhoch von 9,9 Milliarden Dollar 2006 schlug die Handelsbilanz zwischen Januar und Oktober mit 6,8 Milliarden Dollar in ein Defizit um.

Die Exporte von Januar bis November stiegen im Vergleichszeitraum des Vorjahres sogar um 30,7 Prozent. Allerdings legten die Importe im Zuge einer kontinuierlichen Entwicklung seit 2007 mit einem Anstieg von 43,9 Prozent deutlich schneller zu. Im Jahr zuvor erzielte Brasilien einen Handelsüberschuss von 46,1 Milliarden Dollar, der jedoch jedes Jahr rückläufig war und November dieses Jahres 14,9 Milliarden Dollar erreichte.


Handel mit Industriegütern rückläufig

Zu allem Übel beruht das Handelsplus auf dem Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Rohstoffe. Die Bilanz des Handels mit Industriegütern ist in diesem Jahr hingegen mit 35 Milliarden Dollar negativ. Nach Ansicht von Rogerio Souza, Chefökonom am Forschungsinstitut für industrielle Entwicklung (IEDI), könnte sich dieser Betrag in den kommenden zwei Jahren leicht verfünffachen.

Die globale Finanzkrise 2009 hatte dem Industriesektor Brasiliens besonders stark zugesetzt. Sein Output ging um sieben Prozent zurück. Nach einer kurzen Erholungsphase Anfang 2010 sackte die Produktion im zweiten Quartal weiter ab und stagnierte in den darauf folgenden Monaten.

Dass die Industrieproduktion gerade mit Blick auf das rapide Wirtschaftswachstum auf der Stelle tritt, verdeutlicht nur den Rückgang ihres Anteils am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der Wert liegt bereits sechs Prozent unter dem von 1970. Damals steckte die Industrialisierung Brasiliens noch in den Kinderschuhen und Kaffee war das Hauptexportgut des Landes.

Der Industriesektor insgesamt trug zu 25,4 Prozent zum BIP 2009 bei, wobei der Anteil der weiterverarbeitenden Industrie bei 15,5 Prozent dümpelt. Gleichzeitig schnellte der Beitrag des Dienstleistungssektors am BIP auf 68,5 Prozent in die Höhe. Ein solch hoher Anteil des Dienstleistungssektors sei in einkommensstarken Ländern normal, nicht aber in Brasilien, wo sich die Industrie zugunsten höherer Einkommen noch konsolidieren müsse, erläutert Souza. Brasilien sei nach wie vor ein Land mittleren Einkommens.

Dem Experten zufolge sticht dieser Wandel besonders stark hervor - und wird negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Industrie abfärben, die einer überdimensionalen Flut von Importen gegenübersteht.


Schwierige Rahmenbedingungen

Weitere Probleme, mit denen sich das größte Land Südamerikas konfrontiert sieht, sind die unzureichende Infrastruktur, die hohen Kreditzinsen, die schwere Steuerlast und die horrenden Energiekosten. Alle diese Faktoren treiben die Industrieproduktionskosten Brasiliens in die Höhe.

Paulo Francini, Forschungsleiter des Industrieverbands des Bundesstaates São Paulo (FIESP), hatte bereits Ende November darauf hingewiesen, dass die Abwertung des chinesischen Yuan zusammen mit einem um 42 Prozent gegenüber dem US-Dollar überbewerteten brasilianischen Real den brasilianischen Unternehmen jede Wettbewerbschance ausschließen, solange die Produktionskosten nicht halbiert werden.

Das Problem lässt sich anhand der brasilianischen Textilindustrie besonders gut demonstrieren. Vor fünf oder sechs Jahren überstiegen de Exporte die Importe um 400 Millionen bis 500 Millionen Dollar jährlich. Im laufenden Jahr jedoch ist ein Defizit in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar im Anzug - mit Importen im Wett von fünf Milliarden Dollar, wie Fernando Pimentel vom Brasilianischen Textilindustrieverband (ABIT) erklärte.

Der Sektor hat zwar mit kräftigen Investitionen in neue Technologien und Equipment gegengesteuert, doch sah er sich mit viel zu vielen Negativfaktoren konfrontiert wie den hohen Steuer- und Zinsauflagen, der unzureichenden Infrastruktur und fehlenden technologischen Innovationen.

"Brasiliens Textil- und vor allem die Bekleidungsindustrie befinden sich zwar auf Wachstumskurs, doch erfolgt das Wachstum viel zu langsam", berichtete Pimentel. Wie er weiter betonte, leidet die Industrie aber nicht nur an inländischen, sondern auch an ausländischen Negativfaktoren wie Wechselkursmanipulationen und Subventionen, die einem "illegitimen Wettbewerb" Tür und Tore öffneten.

Die Textilbranche beschäftigt direkt und indirekt acht Millionen Brasilianer, die einer neuen Studie des Nationalen Industrieverbands (CNI) zufolge das Vierfache beziehungsweise Zehnfache chinesischer und indischer Beschäftigter verdienen. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.cni.org.br/portal/data/pages/FF808081239C151201239F3211D766CE.htm
http://www.cni.org.br/portal/data/pages/FF808081239C151201239F3211D766CE.htm
http://www.fiesp.com.br/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97048


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2010