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INTERNATIONAL/055: Neue Themen, neuer Ansatz - Afrikaner misstrauen WTO-Industriestaaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2011

Handel: Neue Themen, neuer Ansatz - Afrikaner misstrauen WTO-Industriestaaten

von Ravi Kanth Devarakonda


Genf, 19. Oktober (IPS) - Entwicklungs- und vor allem afrikanische Länder sind gegen den Vorstoß der Industriestaaten, neue Themen auf die Agenda die Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) zu setzen. Sie werfen den reichen WTO-Mitgliedern vor, sich um einen Abschluss der laufenden Verhandlungen zu drücken, um dem Süden nicht größere Zugeständnisse machen zu müssen.

Die 2001 angelaufenen Doha-Entwicklungsgespräche sollen die historischen Asymmetrien im weltweiten Handel korrigieren und den armen Ländern unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse die Integration in den Welthandel ermöglichen. Doch die Gespräche sind immer wieder ins Stocken geraten und eine Einigung ist bislang nicht in Sicht.

Die Industriestaaten wollen nun, dass auf der achten WTO-Ministerkonferenz in Genf im Dezember auch die sogenannten Themen des 21. Jahrhunderts - Investitionen, Wettbewerb, Energiesicherheit und Klimawandel - auf den Tisch kommen. Darüber hinaus haben nordamerikanische und europäische Länder eine Kampagne gestartet, die den WTO-Verhandlungsrahmen vom multilateralen Format, das allen WTO-Mitgliedern die gleichberechtigte Mitwirkung an einem Abkommen garantiert, zu einem plurilateralen Ansatz verschieben soll, der die Mitbestimmung auf ausgewählte Länder begrenzt.

Die Industrieländer argumentieren, dass der bisherige Ansatz nicht praktikabel sei, um die Doha-Runde zum Abschluss zu bringen. "Unsere afrikanischen Freunde scheinen jedoch ein Problem mit neuen Themen und dem Plurilateralismus zu haben", meinte Luzius Wasescha, Vertreter der Schweiz bei der WTO. "Sollten die neuen Themen jedoch nicht innerhalb der WTO diskutiert werden, geschieht dies außerhalb, was sie (die afrikanischen Ländern) gereuen könnte."


Kritik an WTO-Motto für Ministertreffen

Der neue Zwist fällt in eine Zeit, in der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy das kommende WTO-Ministertreffen unter das Motto 'WTO: The Institution that Delivers' ('Die WTO - die Institution, die hält was sie verspricht'). Doch die Vertreter der Entwicklungsländer haben ihre Zweifel, ob die Welthandelsorganisation und ihre treibenden Kräfte tatsächlich einhalten, was sie im Verlauf der Doha-Runde zugesagt haben.

"Es ist ein Witz, ein solches Motto ausgerechnet in einem Augenblick zu erwägen, in dem die Zuversicht, die Welthandelsorganisation werde die Bedürfnisse der armen Länder ernst nehmen, am Nullpunkt angelangt ist", sagte ein erboster afrikanischer Handelsvertreter, der sich Anonymität ausbat. "Die Industriestaaten wollen, dass ihre Interessen zuerst behandelt werden und lassen uns mit unseren Anliegen am langen Arm verhungern."

Bei den Entwicklungsländern verfestigt sich zunehmend der Eindruck, dass den Industriestaaten an der Entwicklungsdimension der Doha-Runde nicht gelegen ist, in die gerade die Afrikaner politisch investiert haben. "Anstatt sich auf der nächsten WTO-Ministerkonferenz mit dem zoll- und quotenfreien Marktzugang und den handelsverzerrenden Baumwoll- und anderen Subventionen zu befassen und den armen Ländern zu erlauben, vom Welthandel zu profitieren, bestehen einige Länder auf neue Inhalte", sagte der südafrikanische Vertreter bei der WTO, Faizel Ismail.

"Welchen Sinn macht es, die Themen des 21. Jahrhunderts zu behandeln, wenn die Themen des 20. Jahrhunderts nicht abgeschlossen wurden, die für die ärmsten Länder Afrikas und anderswo von so großer Bedeutung sind?", hatte unlängst der Handelsvertreter von Mauritus bei der WTO, Shree Baboo Chekitan Servansing, den Vorsitzenden des WTO-Generalrats, Yonov Frederick Agah aus Nigeria, gefragt.

Agah übersieht die Vorbereitungen für das achte WTO-Ministertreffen. Servansing ist Koordinator der afrikanisch-karibischen-pazifischen Länder bei der WTO. Er setzt sich dafür ein, dass die noch aus der Uruguay-Handelsrunde stammenden Umsetzungs-, Handels- und Entwicklungsfragen, die Erleichterungen für Entwicklungs- und arme Länder vorsehen, umgesetzt werden.

Doch die Industriestaaten gehen auf Abstand. In einem IPS vorliegenden vertraulichen Brief an ausgewählte Länder forderte der australische Handelsminister Craig Emerson "einen neuen Kurs" bei den Bemühungen, den Handel zu liberalisieren, und das am besten noch vor dem G20-Gipfel der größten Industrie- und Schwellenländer in Cannes (Frankreich). Emerson befürwortet eine möglichst frühe Behandlung ausgewählter Themen im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde und Parallelveranstaltungen unter Berücksichtigung des plurilateralen Ansatzes.

In dem Schreiben ist zwar von einigen Zugeständnissen an die ärmsten Länder die Rede. Emerson betont in seinem Brief jedoch, dass die Agenda der Doha-Runde viel zu umfangreich und komplex sei, um Fortschritte zu erzielen. Sicherlich gebe es Punkte im Doha-Abkommen, die sich leichter abhandeln ließen. "Wir sollten in der Lage sein, diese Fragen voranzubringen". Auch die Suche nach alternativen Ansätzen zur Lösung der strittigen Themen, vor allem derjenigen, die den Marktzugang betreffen, müsse in Erwägung gezogen werden.

Mit Blick auf Wettbewerbsmaßnahmen, Investitionen, Klimawandel und Energiesicherheit drängte der australische Handelsminister seine WTO-Kollegen dazu, über die im Doha-Mandat festgeschriebenen Themen hinauszugehen. Dadurch werde ein Mechanismus zur Modernisierung der WTO-Arbeit freigesetzt, der zudem ein Schritthalten mit den Anforderungen der modernen globalen Wirtschaft möglich mache, meinte er.

Während die Industriestaaten die Vorschläge Australiens begrüßten, werden sie von afrikanischen und anderen Ländern abgelehnt. "Warum sollten afrikanische Ländern diesen neuen Ansätzen zustimmen", fragte Martin Khor, der geschäftsführende Direktor des in Genf angesiedelten 'South Centre', das die Interessen der armen Länder vertritt. "Die WTO ist eine multilaterale Organisation. Sie sollte plurilaterale Abkommen in den eigenen Reihen unterbinden, da der multilaterale Charakter der Organisation darunter leiden würde."

Die Industriestaaten pickten sich die für sie interessanten Themen der Doha-Runde heraus und versuchten sich, unter dem Vorwand, neue Themen einzubringen, aus der Doha-Runde zu stehlen, meinte ein afrikanischer Diplomat. Das Motto des bevorstehenden WTO-Ministertreffens sollte seiner Meinung nach 'WTO: The More it Changes, the More it Remains the same' ('Die WTO - Je mehr sie sich verändert, umso mehr sie dieselbe') lauten. Den Industriestaaten gehe es seit jeher darum, in der WTO ihren Willen zu bekommen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.wto.org/english/tratop_e/dda_e/dda_e.htm#development
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105466

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2011