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INTERNATIONAL/226: Panama - Hoffnung auf Entwicklungsschub durch Ausbau des Panamakanals (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2014

Panama: Hoffnung auf Entwicklungsschub durch Ausbau des Panamakanals

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Durch den Ausbau des Panama-Kanals bieten sich ganz neue Einnahmequellen
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Panama-Stadt, 9. Oktober (IPS) - Der Panama-Kanal ist Panamas wichtigste wirtschaftliche Lebensader. Erwartet wird, dass sich nach Abschluss der laufenden Ausbauarbeiten im Dezember 2015 der Anteil des zentralamerikanischen Landes am internationalen Handelsaufgebot verdreifachen wird. Viele Panamaer hoffen aber auch, ebenfalls von dem Megaprojekt zu profitieren.

100 Jahre ist es her, dass der Panama-Kanal als Verbindungsweg zwischen Pazifik und Atlantik eingeweiht wurde. 2006 stimmte die Bevölkerung in einem Referendum für den Ausbau des Wasserwegs. Im Jahr darauf wurde mit der Erweiterung begonnen, die die Abfertigung größerer Schiffe ermöglichen wird.

Jedes Jahr nutzen rund 12.000 Panamax-Schiffe die Abkürzungsroute. Panamax, ein Begriff aus der Seefahrt, meint Schiffe, die höchstens 294 Meter lang und 32 Meter breit sein und einen Tiefgang von maximal zwölf Meter haben dürfen, damit sie durch die bisherigen Schleusentore des Panama-Kanals passen.

Mit neuen Schleusentoren, die auch bis zu 400 Meter langen, bis 52 Meter breiten und bis zu 15 Meter tiefen Frachtern (Postpanamax-Schiffe) die Durchfahrt gestatten, soll dafür gesorgt werden, dass der Kanal 15 Prozent des Seehandels abdeckt. Bisher sind es fünf Prozent, wie Olmedo García, Leiter des Kanal-Instituts der Universität von Panama, betont.

Der Ausbau des Panama-Kanals war per Referendum beschlossen und im Jahr darauf begonnen worden. Ursprünglich sollten die Arbeiten in diesem Monat abgeschlossen sein. Doch Arbeiterstreiks und Dispute über die Kosten des Vorhabens haben das verantwortliche Baukonsortium dazu gezwungen, den Termin auf Dezember 2015 zu verschieben. 'Sacyr' aus Spanien und 'Impregilo' aus Italien sind jeweils zu 48 Prozent an dem Vorhaben beteiligt.


Eine ganze Palette von Vorteilen

Die riesigen Postpanamax-Schiffe haben ein Fassungsvermögen von 14.000 Containern. Die Kapazitäten der Panamax-Frachter liegen bei nur 5.000 Containern. Darüber hinaus wird sich die Durchfahrtszeit nach Abschluss der Erweiterungsarbeiten deutlich verkürzen: von derzeit acht bis zehn auf zweieinhalb Stunden. Die Kanalnutzungsgebühren werden zudem um zwölf Prozent sinken.

An dem Ausbau der 79 Kilometer langen Wasserstraße sind gut 7.000 Menschen beschäftigt. 90 Prozent sind Panamaer. Das 5,2 Milliarden US-Dollar teure Projekt hat nach Angaben der Panama-Kanal-Behörde (ACP) zudem 35.000 indirekte Jobs geschaffen. García zufolge leistet der Kanal einen jährlichen Beitrag zum Staatshaushalt von 1,1 Milliarden Dollar. Die Bruttoeinnahmen belaufen sich auf 2,3 Milliarden Dollar, die Kanalbetriebskosten auf 1,2 Milliarden.

"Sobald die Erweiterungsarbeiten beendet sind, werden wir über den Bau eines vierten Sets von Schleusentoren nachdenken, die zwölf Milliarden Dollar kosten werden", meinte der Experte. Denn: "Der Kanal ist und bleibt unsere wichtigste Einnahmequelle."

Wie Ilya de Marotta, die in der ACP für die Expansionsarbeiten hauptverantwortliche Ingenieurin, betont, sind die Expansionsarbeiten zu 80 Prozent abgeschlossen. Sie seien wichtig, da die Aufnahmekapazitäten des Kanals erschöpft seien und man auf die globale Tendenz, größere Frachter einzusetzen, reagieren müsse.

Den bisherigen Projektionen zufolge werden sich die Kanalnutzungseinnahmen bis 2019 auf 2,5 Milliarden Dollar und bis 2025 auf sechs Milliarden Dollar hochschrauben. "Als Kanalbetreiber und Logistikzentrum erwirtschaften wir 40 Prozent des panamaischen Bruttoinlandsprodukts (BIP)", so García. "Wir verfügen mit Häfen an der Pazifik- und Atlantikseite, mit Eisenbahnen und der Freihandelszone lateinamerikaweit über die beste logistische Anbindung."

Doch damit diese Einnahmen auch die ärmsten Bevölkerungsgruppen erreichen, bedarf es eines Prioritätenwechsels. Trotz eines jährlichen Wirtschaftswachstums von sieben Prozent leben einer Studie aus dem letzten Monat zufolge 27,6 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. García und andere Wissenschaftler sind der Meinung, dass die Armut mindestens neun Prozent höher ist.


Hälfte der Landbevölkerung arm

In den ländlichen Gebieten des 3,8 Millionen Einwohner zählenden Landes sind sogar 49,4 Prozent der Bevölkerung arm. In den Städten beträgt der Anteil zwölf Prozent. Am schlimmsten ist die kleine Gruppe der Indigenen dran, von denen 70 bis 90 Prozent in sozialer Not leben.

Öffentliche Zahlen vom August zeigen ferner, dass 38,6 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung im informellen Sektor tätig sind. Hinzu kommt, dass tausende Familien auf grundlegende Leistungen wie sauberes Leitungswasser, Gesundheitsversorgung und öffentliche Transportmöglichen verzichten müssen.

Alfredo Herazo ist 29 Jahre alt. Jeden Tag besteigt er in Panama-Stadt den Bus, um zur Arbeit nach Colón zu fahren, wo er und sein Vater eine Schlosserei betreiben. Wie er gegenüber IPS berichtet, würde er gerne etwas anderes tun, auch um sich die 79-Kilometer lange Busfahrt zu ersparen, die er zwei Mal am Tag auf sich nehmen muss. "Doch ich habe keine andere Wahl."

Colón ist eine Hafenstadt am karibischen Meer nahe der Einfahrt in den Panama-Kanal. Die zweitgrößte Stadt des Landes liegt in der einst unter US-Kontrolle befindlichen Panama-Kanalzone. Der Wasserweg befindet sich seit dem 1. Januar 2000 vollständig in der Hand Panamas, so wie dies in den von beiden Ländern 1977 unterzeichneten Torrijos-Carter-Abkommen vorgesehen war.

Die 450 Hektar große Freihandelszone von Colón ist die zweitgrößte der Welt nach Hongkong. Etwa 2.500 Import- und Exportunternehmen sind dort angesiedelt, die jährlich rund 30 Milliarden Dollar erwirtschaften. Allerdings sorgten Streitereien mit Kolumbien und Venezuela, den größten Kunden, im letzten Jahr für finanzielle Einbußen.

Jedes Jahr finden sich 250.0000 Besucher in der Freihandelszone in Colón ein. "So wie alle anderen meiner Landsleute würde auch ich gern in der Kanal- oder Freihandelszone arbeiten", meint Herazo. "Die Löhne sind gut und der Kanal ist unser ganzer Stolz. Bekäme ich die Chance, dort als Verkäufer zu arbeiten, würde ich sie sofort ergreifen."

Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Der Niedergang des historischen Zentrums der Hafenstadt Colón zeigt, dass wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht notwendigerweise zusammengehen
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Herazo bedauert, dass die Profite, die der Kanal generiert, nicht bei den normalen Menschen ankommen. Ein Vorwurf, der durch den Zustand der historischen Altstadt bekräftigt wird. Die heruntergekommenen Häuser bieten im Vergleich zu den modernen Gebäuden in der Freihandelszone ein trauriges Bild.


"Das Leben in Colón ist alles andere als gut"

Cesar Santos lebt seit sieben Jahren in Colón. Er verkauft Obst und Gemüse auf dem zentralen Markt im Zentrum der Stadt. Jeden Morgen baut er gegenüber dem Gemeindepark seinen Stand auf. "Ich verdiene gerade so viel, um als armer Mensch über die Runden zu kommen", meint der 32-Jährige. "Das Leben in Colón ist alles andere als gut."

Wie er berichtet, ist die städtische Infrastruktur eine Katastrophe. "Immer wenn es regnet, wird alles überschwemmt. Die Straßen sind dann unpassierbar, die Stadt ist dann lahmgelegt", sagt er. Doch am schlimmsten ist die soziale Not. "Die Menschen hier sind wirklich arm. Wir leben in den heruntergekommenen Häusern einer von den Regierungen vergessenen Stadt. Es kommt zu Diebstählen und Raubüberfällen." Der einzige Lichtblick sei die Freihandelszone, ohne sie wäre die Lage noch verzweifelter.

Auch García in Panama-Stadt ist der Meinung, dass von den Einnahmen aus dem Kanal und dem Finanzzentrum auch die Armen profitieren müssten. "Es gibt eine soziale Bruchstelle", meint er. "Der Kanal dient dem Handel, der Kommunikation und dem Weltfrieden. Nun sollte er noch dafür sorgen, dass eine soziale Schuld beglichen wird. Ein Teil des Wohlstands muss an die Menschen weitergegeben werden." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/10/panama-un-pais-y-un-canal-con-dos-velocidades-de-desarrollo
http://www.ipsnews.net/2014/10/panama-a-country-and-a-canal-with-development-at-two-speeds/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2014