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INTERNATIONAL/230: Neuer Schritt in der eurasischen Wirtschaftsintegration (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 42 vom 17. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Neuer Schritt in der eurasischen Wirtschaftsintegration
Am 1. Januar tritt die Eurasische Wirtschaftsunion in Kraft

von Willi Gerns



Am vergangenen Wochenende fand in Minsk ein Gipfeltreffen der GUS-Staaten und im Anschluss daran eine Tagung der Präsidenten der neuen Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) statt, die am ersten Januar 2015 Kraft treten soll.

Beim Gipfel der GUS wurden von den Staatschefs der ihr angehörenden Länder eine Reihe von Dokumenten in den Bereichen Grenzkontrolle, Bekämpfung von Drogen- und Menschenhandel sowie Finanzaufklärung unterzeichnet. Der nächste GUS-Gipfel soll im Herbst 2015 in Astana stattfinden. Natürlich kam auch die Ukraine-Frage ins Gespräch. Der ukrainische Präsident Poroschenko nahm allerdings nicht am Gipfel teil.

Usbekistans Präsident Karimow erklärte in diesem Zusammenhang, er finde es sonderbar, dass Kiew die Ukraine-Krise beilegen wolle, ohne echte Freunde um Hilfe zu bitten. Der Krieg im Herzen Europas müsse beendet werden, und die Konfliktparteien im Südosten der Ukraine sollten nicht nur eine Einigung erreichen, sondern das Blutvergießen auch tatsächlich stoppen und die Minsker Vereinbarungen über Waffenruhe einhalten.

Der belarussische Staatschef Lukaschenko betonte: "Es ist unzulässig, lebenswichtige Fragen, die die Ukraine betreffen, an einem weit entfernten Ort, etwa in Berlin oder Mailand zu entscheiden. Dann stellt sich die natürliche Frage: Wozu sollte man sich in anderen Fragen - wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen - an uns wenden? Auch diese Fragen sollten dann in Berlin oder Mailand geklärt werden."

Russlands Präsident Putin widersprach in Minsk den Behauptungen der EU, Kiews und der Machthaber der Republik Moldowa, dass Moskau die Eurointegration der Ukraine und Moldawiens behindere. Er stellte fest: "Wir waren nie gegen eine verstärkte Kooperation mit der Europäischen Union. Das wollen auch wir selber. Es kommt aber auf die Bedingungen unserer Kooperation an. Die Probleme hängen nicht mit unseren Gegenreaktionen zusammen. Sie gehen vielmehr darauf zurück, dass unsere Partner es nicht für nötig halten, die Risiken, die der russischen Wirtschaft drohen können, wenn sie anderen handelswirtschaftlichen Organisationen beitreten, mit uns rechtzeitig, sachlich und offen zu besprechen."

Nachdem das russische, das usbekische und das belarussische Parlament den Verträgen über die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) zugestimmt und sie von den Präsidenten dieser Staaten ratifiziert wurden, steht dem Start dieser neuen Stufe der Wirtschaftsintegration im eurasischen Raum nichts mehr im Wege. Er soll am 1. Januar 2015 erfolgen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird bis zu diesem Zeitpunkt auch die Aufnahme der Republik Armenien in die Union erfolgt sein. Später kommt Kirgistan hinzu. Dafür ist allerdings noch einige Zeit erforderlich. Wie Leonid Sluzki, der Vorsitzende des russischen Duma-Komitees für Fragen der GUS und der eurasischen Integration, vor Journalisten erklärte, gibt es Interesse weiterer Staaten an der EAWU, und dies sowohl im postsowjetischen Raum als auch darüber hinaus. Prinzipiell sei die EAWU für die Teilnahme weiterer Staaten offen.

Nach dem Beitritt Armeniens handelt es sich bei der EAWU um einen wirtschaftlichen Integrationsraum mit einer Bevölkerung von mehr als 190 Millionen Menschen. Die Fläche wird fast 20,5 Millionen Quadratkilometer betragen. Die EAWU ist äußerst reich an Bodenschätzen wie Erdöl, Erdgas und Kohle sowie an Edelmetallen.

Die EAWU soll einen einheitlichen Markt für Waren und Dienstleistungen bilden. Die bereits auf dem Weg dahin in der Zollunion und der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) erreichten Vereinbarungen über einheitliche Zollregulierungen und Tarife sowie die freie Warenbewegung gelten weiter. Auch die Quoten zur Verteilung der Einnahmen aus den Einfuhrzöllen bleiben zunächst in Kraft. Sie müssen natürlich mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten jeweils modifiziert werden. Im Vertragswerk über die Bildung der EAWU sind auch Verfahren zum Schutz gegen Importe geregelt. Die Investitionsrichtlinien der Mitgliedsländer werden angeglichen. Ebenso soll es es um einheitliche makroökonomische, Kartell-, Währungsund finanzpolitische Standards gehen. Ein Übergang zu einer einheitlichen Währung ist allerdings, soweit bekannt, nicht vorgesehen.

Das höchste Organ der EAWU wird der Oberste Eurasische Wirtschaftsrat sein, der aus den Präsidenten der Teilnehmerstaaten besteht. Außerdem gibt es den Rat der Eurasischen Regierungen, dem die Premiers der Teilnehmerstaaten angehören, die Eurasische Wirtschaftskommission, die für die laufende Arbeit zuständig ist und zunächst aus je zwei Vertretern der Teilnehmerstaaten besteht und das Gericht der EAWU. Als Sitz für die Eurasische Wirtschaftskommission ist Moskau, für das Gericht der EAWU Minsk und für den Finanzregulator Alma-Ata vorgesehen.

Obwohl die Eurasische Wirtschaftsunion im Verhältnis zu ihrer Vorstufe, der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft mit ihrem einheitlichen Wirtschaftsraum, nur einen weiteren Integrationsschritt und nichts qualitativ völlig Neues bedeutet, ist sie doch eine bittere Pille für Washington, Brüssel und Berlin. Besteht doch deren erklärte und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln betriebene Zielstellung darin, eine Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken unter Führung Russlands um jeden Preis zu verhindern. Die Konzeption dafür hat Brzezinski bereits in seinem 1999 erschienenen Buch "Die einzige Weltmacht" entwickelt. Im Kern geht es bis heute darum, jedes "Aufkommen eines Rivalen" für die "einzige Weltmacht" zu verhindern. Russland soll auf seine eigenen Grenzen beschränkt und zugleich durch Assoziierungsverträge zwischen der EU und Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie durch die NATO-Osterweiterung wirtschaftlich und militärisch eingekreist werden. Die reichen Rohstoffressourcen des eurasischen Raumes sollen unter die Kontrolle der USA gebracht werden. Wobei die EU-Staaten und nicht zuletzt ihre Hauptmacht Deutschland sich dabei ebenfalls ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen, was zu Widersprüchen zwischen den imperialistischen Räubern führt. Diese Strategie und ihre Gemengelage ist letztlich auch der tiefste Hintergrund für die gegenwärtige Ukraine-Krise und ihre möglichen dramatischen Folgen für den Frieden in Europa und in der Welt.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 42 vom 17.
Oktober 2014, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2014