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INTERNATIONAL/259: Brasilien - Korruption bei Megaprojekten schädigt Image der Rousseff-Regierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2015

Brasilien:
Korruption bei Megaprojekten schädigt Image der Rousseff-Regierung

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Modell einer Offshore-Ölplattform
Bild: © Mario Osava/IPS

RIO DE JANEIRO (IPS) - Industrielle Megaprojekte können Regierungen in eine gefährliche Schieflage bringen. So wirft die Krise des brasilianischen Erdölgiganten 'Petrobras' nicht nur ein schlechtes Licht auf den ehemaligen linken Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011), sondern bringt auch seine Nachfolgerin, die ebenfalls der Arbeiterpartei PT zugehörige Dilma Rousseff, in arge Bedrängnis.

Im Jahr 2014 räumte das Unternehmen ein, im Zusammenhang mit Korruption 6,2 Milliarden Real (2,1 Milliarden US-Dollar) abgeschrieben zu haben, hinzu kamen Verluste in Höhe von 44,6 Milliarden Real aufgrund überbewerteter Raffinerien und anderer Vermögenswerte. Das ganze Ausmaß der Verluste wird wohl nicht bekannt werden. Wohl steht fest, dass Petrobras auf internationaler Ebene an Glaubwürdigkeit verloren hat. Das Firmenimage ist lädiert.

Die Aussagen der im Zusammenhang mit der Operation 'Lava-jato' ('Autowäsche') beschuldigten Personen sowie die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei haben zu der Erkenntnis geführt, dass die im Zeitraum 2004 bis 2012 geflossenen Schmiergelder etwa drei Prozent des Wertes der Verträge mit 27 Unternehmen ausgemacht haben. Der größte finanzielle Schaden wurde offensichtlich durch unzulängliche Entscheidungen, schlechte Planung und Missmanagement verursacht.

In Brasilien hat der Bestechungsskandal reichlich Staub aufgewirbelt, und die Folgen sind nach wie vor unüberschaubar. Zwei Drittel der Einbußen der Vermögenswerte konzentrierten sich auf die beiden größten Petrobras-Projekte: auf die fast fertiggestellte Raffinerie 'Abreu e Lima' im Nordosten und den Petrochemischen Komplex (COMPERJ) in Rio de Janeiro. In beiden Fällen waren die Bauarbeiten während der Amtszeit Lulas begonnen worden.

Petrobras informierte die Investoren darüber, dass COMPERJ, ein Megaprojekt im Wert von 21,6 Milliarden Dollar, im vergangenen Jahr seine als unprofitabel geltende Petrochemie-Sparte abgestoßen hatte. Die Raffinerie produziert inzwischen täglich nur noch 165.000 Barrel Erdöl. Für das unterfinanzierte Unternehmen wird es nun schwierig werden, Investitionen in Millionenhöhe für die Fertigstellung der Raffinerie aufzubringen, die bereits zu 82 Prozent steht. Sollte das Projekt unvollendet bleiben, wären die Verluste noch höher.


Massenentlassungen und Verarmung

Die Folgen dieses Debakels sind bereits sichtbar. Tausende Arbeiter wurden entlassen. Am Standort des Industriekomplexes in Itaboraí, etwa 60 Kilometer von Rio entfernt, nimmt der wirtschaftliche und soziale Niedergang seinen Lauf. Die Lagerung bereits angeschaffter Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden, verschlingt jährlich Millionen Dollar.

Die Petrobras-Krise hängt auch mit dem Verfall der internationalen Ölpreise und mit den jahrelang in Brasilien bereitgestellten Treibstoffsubventionen zusammen, durch die die Preise künstlich niedrig gehalten wurden, um die Inflation zu kontrollieren. In Gefahr ist nun auch die Schiffsindustrie, die expandiert war, um die Nachfrage der Ölfirmen zu befriedigen. Schätzungen zufolge werden die Werften bis zu 40.000 Arbeiter entlassen müssen, sollte die Krise anhalten.

Der Industriezweig erlebte in Brasilien nach einer erneut hohen Nachfrage nach Bohrinseln und anderen Gerätschaften zur Erdölförderung einen Aufschwung. Damals schickte sich Petrobras an, im Atlantik unter zwei Kilometer dicken Salzschichten lagernde Ölvorkommen ('pre-salt oil reserves') zu fördern. Die Raffinerie Abreu e Lima, die 230.000 Barrel täglich weiterverarbeiten kann, nahm Ende 2014 die Arbeit auf. Doch überstiegen die Projektkosten den Voranschlag um das Achtfache.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass eine geplante Partnerschaft mit dem staatlichen venezolanischen Ölunternehmen PDVSA, die Lula mit seinem inzwischen verstorbenen Amtskollegen Hugo Chávez (1999-2013) vereinbart hatte, nicht so verlief wie vorgesehen. So hielt PDVSA seine Zusage, 40 Prozent der Baukosten zu finanzieren, nicht ein. Aufgrund des Abkommens waren jedoch teure Maschinen angeschafft worden, die für die Verarbeitung des in Venezuela geförderten Schweröls erforderlich sind.

Pläne für den Bau von zwei weiteren Raffinerien in den nordostbrasilianischen Bundesstaaten Ceará und Maranhão wurden von Petrobras als nicht kosteneffizient genug verworfen. Zu dem Zeitpunkt waren bereits fast 900.000 Dollar in den Erwerb von Bauland gesteckt worden. Das Desaster der Ölindustrie macht nach wie vor Schlagzeilen, da vier Raffinerien sowie Dutzende Werften und große Bauunternehmen in den Skandal verwickelt waren. Diese Dienstleister werden beschuldigt, an Petrobras Schmiergelder gezahlt zu haben.

Auch bei anderen Großvorhaben in den Bereichen Energie und Logistik ist es zu erheblichen Verzögerungen gekommen. Megaprojekte schossen in dem größten Staat Lateinamerikas wie Pilze aus dem Boden, als die Wirtschaftsentwicklung während der acht Amtsjahre Lulas hohe Zuwächse generierten. Ein Wachstumsbeschleunigungsprogramm der Regierung gab zusätzliche Anreize. Der großangelegte Bau von Schienenstrecken, Häfen, Straßen und Kraftwerken sowie die Erzeugung von Biotreibstoffen stellten die Produktionskapazitäten Brasiliens weiter auf den Prüfstand.


Jahrelange Verzögerungen

Die meisten Projekte bleiben jedoch mehrere Jahre hinter ihrem Zeitplan zurück. Die Umleitung des Flusses São Francisco durch ein 700 Kilometer langes Netz aus Kanälen, Aquädukten, Tunneln und Rohren sowie der Bau von Staudämmen zur Erhöhung der Wassergewinnung im semiariden Nordosten sollten eigentlich schon 2010, am Ende von Lulas zweiter Amtszeit, fertiggestellt sein. Inzwischen haben sich die Kosten bereits verdoppelt. Dabei ist noch nicht einmal sichergestellt, dass der kleinere der beiden großen Kanäle bis Ende dieses Jahres in Betrieb genommen werden kann. Auch private Projekte wie der Bau von Eisenbahnlinien im Nordosten sind zeitlich in Verzug geraten. Proteste indigener Gemeinschaften und der Umweltbehörden sowie Streiks führen zu weiteren Verzögerungen.


Bild: © Mario Osava/IPS

Das Wasserkraftwerk 'Santo Antônio' im nordwestbrasilianischen Bundesstaat Rondônia 2010 während der Bauphase
Bild: © Mario Osava/IPS

Die Welle von Megaprojekten in den vergangenen zehn Jahren erklärt sich dadurch, dass in Lateinamerika im Allgemeinen und in Brasilien im Besonderen in den 1980er und 1990er Jahren zu wenig in die Infrastruktur investiert wurde. Ab 1980 baute Brasilien keine Ölraffinerien mehr. Die erfolgreiche Vermarktung von Ethanol als Benzin-Alternative ließ in der Folgezeit dafür auch keine Notwendigkeit mehr erkennen. Das Land exportierte Benzin und führte Diesel ein. Erst als sich die Zahl der Autos im Land und der industrielle Ölverbrauch rasant erhöhten, wurde der Bau neuer Raffinerien dringend erforderlich.

1984 wurden die letzten großen Wasserkraftwerke eingeweiht: Itaipú an der Grenze zu Paraguay und Tucuruí im nördlichen Amazonasregenwald. 2001, als der damalige Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995-2003) Maßnahmen zur Stromrationierung über einen Zeitraum von acht Monaten in Kraft setzte, brach eine Energiekrise aus.

Die Rückkehr des Wirtschaftswachstums während Lulas Regierungszeit machte umso deutlicher, wo die Defizite lagen und wie wichtig es war, die verlorene Zeit aufzuholen. Wunschdenken verleitet Planer oft dazu, eine Vielzahl von Megaprojekten anzugehen. Die Konsequenzen, zu denen auch eine grassierende Korruption gehört, liegen längst auf der Hand. Die politischen Folgen für die Rousseff-Regierung und die Arbeiterpartei lassen um die Stabilität des lateinamerikanischen Giganten fürchten. (Ende/IPS/ck/21.05.2015)


Links:
http://www.ipsnews.net/2015/05/megaprojects-can-destroy-reputations-in-brazil/
http://www.ipsnoticias.net/2015/05/los-megaproyectos-pueden-sepultar-reputaciones-en-brasil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2015

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