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INTERNATIONAL/265: Infrastrukturprojekte in Schwellenländern auf Rekordniveau - zu welchem Preis? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2015

Entwicklung: Infrastrukturprojekte in Schwellenländern auf Rekordniveau - Doch zu welchem Preis?

von Kanya D'Almeida


Bild: © Darío Montero/IPS

Große Logistikprojekte in Brasilien sind berüchtigt dafür, sich zu verzögern
Bild: © Darío Montero/IPS

NEW YORK (IPS) - Einem neuen Weltbankbericht zufolge haben Investitionen in die Infrastrukturen von 139 Ländern im letzten Jahr einen Rekordwert von 107,5 Milliarden US-Dollar erreicht. Brasilien, Kolumbien, Indien, Peru und die Türkei konnten sich zusammengenommen das größte Stück des Kuchens - 73 Prozent - abschneiden.

Die Zahlen stammen aus der Datenbank des Weltbank-Projektes 'Private Participation in Infrastructure' (PPI). Danach erreichten die Infrastrukturmaßnahmen der Privatwirtschaft in den Bereichen Wasser/Abwasser, Energie und Transport in der ersten Hälfte des letzten Jahres ein Volumen von 51,2 Milliarden Dollar. Im Vergleichszeitraum 2013 waren es 41,7 Milliarden Dollar gewesen.

Die Erkenntnisse sind das Ergebnis einer Überprüfung von 6.000 Projekten in 139 Ländern niedriger und mittlerer Einkommen im Zeitraum von 1990 bis 2014. Sie zeigen, dass der Energiesektor die meisten Investitionen und der Transportbereich mit 55,3 Milliarden Dollar die höchsten Investitionen angezogen hat.

Etwa 33 Straßenbauprojekte wurden mit 28,5 Milliarden Dollar von privaten Anlegern bezuschusst, wobei vier der fünf größten auf Brasilien und die Türkei entfielen. Für den Bau von fünf Flughäfen lagen im letzten Jahr Investitionszusagen in Höhe von 13,2 Milliarden Dollar vor.


Die meisten Infrastrukturinvestitionen in Lateinamerika und der Karibik

Lateinamerika und die Karibik konnten sich, befeuert durch den massiven Infrastrukturboom in Brasilien, Kolumbien und Peru, im letzten Jahr 55 Prozent der globalen Investitionen (69,1 Milliarden Dollar) sichern. Bei den Megaprojekten handelt es sich um elf Großvorhaben, acht von ihnen im peruanischen Energiesektor, die ein Volumen von mehr als acht Milliarden Dollar erreichten. Für das größte Bauvorhaben, die Metro-Linie 2, kamen Investitionen in Höhe von 5,3 Milliarden Dollar zusammen.

Nicht alle Weltregionen konnten einen Anstieg privater Investitionen verbuchen. Indien und China erlebten einen Rückgang, wobei die Volksrepublik mit Zusagen in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar den niedrigsten Stand seit 2010 erreichte. Indien wurden 6,2 Milliarden zugesagt. In Subsahara-Afrika sanken die Infrastrukturinvestitionen von 9,3 Milliarden Dollar im Jahr 2013 auf 2,6 Milliarden 2014. Allerdings legt die Zunahme von Aktivitäten im Infrastrukturbereich in Ghana, Kenia und Senegal nahe, dass der Abwärtstrend in Kürze ein Ende hat.

Wie die Weltbank in einer Mitteilung vom 9. Juni erklärte, wurden im letzten Jahr die vierthöchsten Investitionszusagen gemacht, die nur von denen der Jahre 2010 bis 2012 übertrumpft wurden.

Die Angaben bestätigen das globale Einverständnis, die Durchführung von Megaprojekten mit Hilfe von öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) zu realisieren. So gut wie jede größere internationale Organisation, angefangen von den Vereinten Nationen bis zu den multilateralen Entwicklungsbanken, sind der Meinung, dass der Ausbau der Straßen-, Energie- und Transportnetze in einer Zeit, in der eine Milliarde Menschen ohne befestigte Straßen, 783 Millionen Menschen ohne saubere Wasserversorgung und 1,3 Milliarden Menschen ohne Strom zurechtkommen müssen, wichtig sind.

Doch nimmt man die gigantischen Infrastrukturprojekte und neuen Finanzierungspläne genauer unter die Lupe, zeigt sich, dass von den Milliardeninvestitionen in Autobahnen und Dämme in den Entwicklungsländern vor allem die reichsten Bevölkerungsgruppen profitieren, während die Ärmsten noch ärmer zu werden drohen und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.


Hauptsache groß

Der häufig zitierte Experte für Megaprojektmanagement und -planung, Bent Flyvbjerg von der Universität Oxford, fand heraus, dass im Durchschnitt vom 1.000 Megaprojekten nur ein einziges fristgerecht abgeschlossen wird, dass die Kostenvoranschläge in aller Regel gesprengt werden und die Vorhaben bei weitem nicht halten, was von ihnen erwartet wurde.

Flyvbjergs umfassende Datenbank zu dem Thema hat gezeigt, dass bei ungefähr neun von zehn Großprojekten die Kostenvoranschläge oftmals um über 50 Prozent überzogen werden. Für diese zusätzlichen Kosten werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten.

Nach Aussagen von Nancy Alexander, Finanzexpertin im Nordamerika-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, können die Riesenprojekte Milliarden, wenn nicht gar Billionen Dollar verschlingen. Wenn sie sich zeitlich verzögern und am Ende sogar noch mehr kosten als geplant, könnten sie den Etat eines Landes ruinieren.

Alexander bestätigt zwar, dass es in den Entwicklungsländern einen wirklichen Bedarf an verbesserter Infrastruktur gibt. Gleichzeitig jedoch gebe es einen ebenso dringenden Bedarf, Projekte auf die Personengruppen zuzuschneiden, die am meisten von ihnen profitieren würden. Ob in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser oder Elektrizität - Projekte sollten wirklich so entworfen sein, dass sie ihr Ziel erreichten. Doch das Prinzip der Angemessenheit sei schon lange aus dem politischen Diskurs verschwunden. "Statt 'klein aber fein' verfährt man inzwischen nach dem Prinzip 'größer ist besser'."

Einer der Gründe für diesen Paradigmenwandel ist Experten zufolge der Trend, entwicklungsorientierte Infrastrukturen mit Hilfe der PPPs zu finanzieren. Studien der Heinrich-Böll-Stiftung haben gezeigt, dass die weltgrößten G20-Volkswirtschaften das sogenannte Infrastrukturdefizit mit Hilfe institutioneller Anleger wie Rentenfonds und Versicherungsunternehmen schließen wollen, die über ein geschätztes Gesamtvermögen von 80 Billionen Dollar verfügen sollen.

Getreu diesem Finanzierungsmodell gehen Regierungen eine Vielzahl von PPPs ein. Finanzinstitutionen wiederum schnüren und verkaufen Finanzprodukte, die Investoren am PPP-Portfolio beteiligen. Doch Spekulanten Anteile an der physikalischen Infrastruktur zu überlassen, hat die Folge, dass die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen nicht wirklich sichergestellt werden kann.

Schon jetzt gibt es keine Beweise dafür, dass sich PPPs tatsächlich so positiv auswirken, wie gern behauptet wird. Die Geschwindigkeit, mit der die privatwirtschaftlich geförderten Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden, macht die Unternehmungen bestenfalls zu Vabanquespielen und schlimmstenfalls zu einem Reinfall.


PPPs sind keine Erfolgsrezepte

Eine Überprüfung von 128 Weltbank-geförderten PPPs durch die eigene unabhängige Bewertungsgruppe der Finanzorganisation, der IEG, hat ergeben, dass 67 Prozent dieser PPPs im Energieverteilungsbereich und 41 Prozent von ihnen im Wassersektor versagt haben. Andere Untersuchungen ergaben, dass Megaprojekte selten zu Verbesserungen mit Blick auf den Zugang zu Basisdienstleistungen führen, da viele von ihnen unternommen werden, um vor allem die globale und weniger die lokale Nachfrage zu bedienen.

Alexander zufolge werden Energieprojekte zudem häufig deshalb gestartet, um Bergbauunternehmen mit Strom zu versorgen. Als Beispiel nennt sie den Inga-Damm in der Demokratischen Republik Kongo.

Die 139 Länder, deren Infrastrukturprojekte in der neuen Weltbankstudie untersucht wurden, kommen hinsichtlich der Planung der Unternehmungen sehr schlecht weg. Große Energie- und Logistik-Infrastrukturprojekte in Brasilien zum Beispiel sind berüchtigt dafür, dass sich ihre Fertigstellung verzögert. So hinkt der Abschluss der Bauarbeiten von Eisenbahnen, Häfen, Autobahnen und Stromanlagen dem Zeitplan etliche Jahre hinterher.

In April hat das Internationale Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) herausgefunden, dass im Verlauf eines einzigen Jahrzehnts 3,4 Millionen Menschen durch von der Weltbank finanzierte Projekte vertrieben worden sind. 50 Prozent beziehungsweise 33 Prozent derjenigen, die von solchen Großvorhaben - die angeblich den Nachschub an Wasser und Strom oder den Ausbau der Transport- und Energienetze in einigen der ärmsten Staaten der Welt verbessern sollten - vertrieben wurden, leben in Afrika oder in den drei asiatischen Staaten China, Indien und Vietnam.

Die Forscher kamen ferner zu dem Schluss, dass die Bank und die Internationale Finanz-Korporation, der Weltbank-Arm zur Förderung privater Unternehmen, 50 Milliarden Dollar in Projekte gepumpt haben, die Regierungen und Unternehmen zugutekamen, die für Menschenrechtsverstöße verantwortlich gemacht werden.

Brent Blackwelder, emeritierter Vorsitzender der 'Friends of the Earth International' erklärte gegenüber IPS, dass das Planen von immer größeren Projekten trotz der hohen Misserfolgsquote im Grunde nur unter Beweis stellt, was schon Einstein gesagt habe: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." (Ende/IPS/kb/12.06.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/infrastructure-boom-in-emerging-economies-hits-record-levels-but-at-what-cost/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2015

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