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INTERNATIONAL/377: Mit Japan gegen China (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 18. Dezember 2017
german-foreign-policy.com

Mit Japan gegen China


TOKIO/BRÜSSEL/BERLIN - Nach dem Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Japan steht die Gründung der größten Freihandelszone der Welt bevor. Das Abkommen der beiden in hohem Maße exportorientierten Blöcke, die gemeinsam rund 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung generieren, kann Berichten zufolge schon Anfang 2019 in Kraft treten. Die EU-Kommission und deutsche Wirtschaftsinstitute rechnen damit, dass das Japan-EU Free Trade Agreement (Jefta) zu einem starken Wachstum und der Schaffung hunderttausender neuer Arbeitsplätze führen wird. Soll es einerseits Ersatz für mögliche Einbrüche auf dem US-Absatzmarkt schaffen, ist es andererseits Teil einer Eindämmungsstrategie gegenüber der aufstrebenden Großmacht China. Gegen Beijing arbeiten Berlin und Washington allen Differenzen zum Trotz weiterhin zusammen: Begleitet wurde die Einigung auf Jefta von einer gemeinsamen Erklärung der EU, Japans und der USA, die ein aggressives Vorgehen gegenüber chinesischen Handelspraktiken ankündigt.

Jefta

Anfang Dezember haben Brüssel und Tokio den Abschluss ihrer jahrelangen Gespräche über ein Freihandelsabkommen bekanntgeben - wie es heißt, eine der "größten und umfassendsten Vereinbarungen" dieser Art.[1] Das Japan-EU Free Trade Agreement (Jefta), das von 2013 bis 2017 verhandelt wurde, sei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch bedeutend, schrieben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe in einer gemeinsamen Stellungnahme am 8. Dezember. Beide Vertragsparteien hätten der "Versuchung des Protektionismus" widerstanden. Die Formulierung wurde allgemein als Seitenhieb auf die Abschottungstendenzen der Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump gewertet, der das enorme US-amerikanische Handelsbilanzdefizit durch Handelshemmnisse verringern will. Mit Jefta, das schon 2019 in Kraft treten könnte, entstünde ein 600 Millionen Einwohner umfassender Freihandelsraum, der - gemessen an der Wirtschaftsleistung - den größten Zusammenschluss dieser Art bildete. Die EU und Japan generieren gemeinsam knapp 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung.

Optimistische Prognosen

Das europäisch-japanische Handelsvolumen beläuft sich derzeit auf rund 125 Milliarden Euro. Die Europäische Kommission und deutsche Wirtschaftsinstitute gehen in fast euphorischen Schätzungen von einem raschen Wachstum des bilateralen Handels aus, in dessen Folge auch die Arbeitsmärkte beider Seiten belebt würden. Die Kommission rechnet mit einem Anstieg der Exporte nach Japan um 20 Milliarden Euro; dies könne zur Schaffung von bis zu 280.000 neuen Arbeitsplätzen in der EU führen. Das Münchener Ifo-institut wiederum rechnet aufgrund der prognostizierten zusätzlichen Ausfuhren nach Japan mittelfristig mit einer durchschnittlichen Anhebung des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 0,7 Prozent pro Jahr. Japan, das seit Dekaden unter konjunktureller Stagnation leidet, werde laut den Münchener Konjunkturforschern gar einen durchschnittlichen jährlichen Konjunkturschub von 1,6 Prozent erfahren. Kritiker sehen diese Prognosen indes als zu optimistisch an. Ursache ist, dass die Wirtschaft beider Blöcke auf den Export ausgerichtet ist, insbesondere auf die Erzielung größtmöglicher Exportüberschüsse. Ein Freihandelsvertrag unter zwei exportorientierten Wirtschaftsräumen wird demnach zwar die Konkurrenz verstärken, aber das Problem unsicherer Absatzmärkte für die jeweiligen Exportüberschüsse nicht beseitigen. Da in den USA verstärkt protektionistische Tendenzen um sich greifen, droht beiden Vertragsparteien der Wegfall eines wichtigen Absatzgebiets, das bevorzugter Zielort ihrer Exportüberschüsse ist.

Japan unter Druck

Tatsächlich haben erst die drohenden Ausfälle auf dem amerikanischen Absatzmarkt Jefta möglich gemacht. Die Aufkündigung des Transpazifischen Freihandelsabkommens TPP im Januar durch Donald Trump sei ein wichtiger Impuls gewesen, die jahrelang stockenden Freihandelsgespräche zwischen der EU und Japan zu einem Abschluss zu führen, heißt es. Erst nach Washingtons TPP-Rückzieher habe sich "Japan auf die EU zubewegt".[2] Nun sollen nach Inkrafttreten des Abkommens 90 Prozent aller verbliebenen Zölle zwischen der EU und Japan wegfallen und nach einer Übergangsfrist nahezu alle Handelsbeschränkungen aufgehoben werden. Dies gilt auch für Kraftfahrzeuge; Exporteure aus der EU erhoffen sich Einsparungen in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Zugleich konnten die deutschen Autohersteller eine Ausnahmeklausel durchsetzen, die die Wiedereinführung von Zöllen erlaubt, sollten Japans Kfz-Konzerne allzu erfolgreich sein und den EU-Markt "überrollen". Überdies hat Tokio zugesagt, bei Pharma- und Medizinprodukten bestimmte internationale Standards anzuerkennen, um die Einfuhr europäischer Produkte zu erleichtern. EU-Unternehmen erhalten überdies Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in Japan, etwa im Schienenverkehr. Umgekehrt werden die Herkunftsbezeichnungen hunderter EU-Regionalprodukte in Japan geschützt, während die Besteuerung europäischen Bieres abgesenkt wird. Nicht einigen konnten sich beide Seiten in der Frage des sogenannten Investorenschutzes - der Delegierung rechtlicher Streitfälle zwischen öffentlichen Institutionen und privaten Investoren an internationale Schiedsgerichte.

In den Fußstapfen der USA

Auch in Deutschland und der EU haben die drohenden Einbrüche auf dem US-Absatzmarkt den Druck erhöht, nach Ersatz zu suchen, und die Bemühungen um weitere Freihandelsabschlüsse verstärkt. So hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kurz nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten eine ganze Reihe von Freihandelsinitiativen gegenüber Südamerika, Indien und weiteren Schwellenländern intensiviert. Zusätzlich zur Absicht, etwaige Exportausfälle in den Vereinigten Staaten ausgleichen zu können, hofft Berlin dabei darauf, auch geostrategisch in wachsendem Maß in Washingtons Fußstapfen treten zu können. Das gilt nicht zuletzt für das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur, das seit mehr als 15 Jahren geplant ist, jetzt aber - wie Jefta - neuen Schwung gewonnen hat. Zuletzt wurde mit einer Einigung Anfang des kommenden Jahres gerechnet. Geht es beim Freihandelsabkommen mit dem Mercosur darum, die Stellung der EU im traditionellen US-Einflussgebiet zu stärken, so liegt die strategische Bedeutung von Jefta in der Frontstellung gegen China: Das Abkommen trägt zur Realisierung einer Eindämmungsstrategie gegenüber der Volksrepublik bei, wie sie schon von der Obama-Administration verfolgt wurde. Mittels einer Reihe von Freihandelsverträgen im geografischen Umfeld der aufstrebenden Großmacht China will Berlin deren Aufstieg behindern oder gar revidieren.

Gemeinsam gegen Beijing

Bei der Containment-Politik gegenüber Beijing arbeiten Berlin und Washington dabei auch weiterhin zusammen.[3] Am Rande der 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in der vergangenen Woche in Buenos Aires kamen die USA, Japan und die EU überein, China in Handelsfragen verstärkt "unter Druck" zu setzen. Man werde gemeinsam in Fragen wie den Überkapazitäten in der Stahlbranche oder dem für Produktionsstandorte in China verpflichtenden Technologietransfer "aggressiver" gegenüber Beijing auftreten, hieß es. Insbesondere in China produzierende deutsche Unternehmen haben sich in Berlin immer wieder beklagt, dass der chinesische Staat Technologietransfers von ihnen verlangt. Das gemeinsame Vorgehen der USA, Japans und der EU zeige, wie sehr Beijing mit seiner Modernisierungspolitik die Industriestaaten "verärgert" habe, heißt es in Medienberichten - und "wie groß die Sorge sei, andere Länder könnten dem chinesischen Beispiel folgen".[4]


Anmerkungen:
[1] EU und Japan schaffen Durchbruch bei Freihandel. derstandard.at 08.12.2017.

[2] Hendrik Kafsack: EU und Japan vereinbaren Freihandelsabkommen. faz.net 08.12.2017.

[3] EU, Japan and US to ramp up trade pressure on China. ft.com 11.12.2017.

[4] Einig im Kampf gegen Industrie-Subventionen. faz.net 13.12.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2017

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