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MEINUNG/046: Gelernt, mit dem Streik umzugehen (Goethe-Universität Frankfurt)


Goethe-Universität Frankfurt - 8. Mai 2015

Gelernt, mit dem Streik umzugehen

Die Deutschen reagieren bislang gelassen auf den Streik der GDL. Aber ein Einverständnis mit den Zielen der Gewerkschaft lässt sich daraus nicht ableiten, so der Politikwissenschaftler Claudius Wagemann.


FRANKFURT. Der sechstägige Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) legt noch bis kommenden Sonntag weite Teile des Personen- und Güterverkehrs in Deutschland lahm. Der Politikwissenschaftler Prof. Claudius Wagemann zeigt sich aber überrascht vom Umgang der Bevölkerung mit der Ausnahmesituation: "Die Deutschen, die an sich nicht sehr streikerfahren sind, gehen damit recht gelassen um." Allerdings sei mit dem bereits achten Streik dieser Art die traditionelle "Gewerkschaftsfreundlichkeit" der Mehrheit der Bevölkerung an ihre Grenze gekommen. "Ich glaube nicht, dass der Protest von der breiten Bevölkerung noch ernst genommen wird."

Interessant findet Wagemann, dass der GDL-Streik extrem personalisiert sei; Gewerkschaftschef Weselsky polarisiere die Öffentlichkeit. Hingegen sei die Diskussion um den Streik der Pilotenvereinigung Cockpit mit wesentlich weniger Polemik geführt worden. "Cockpit hat eben keinen Weselsky an der Spitze", so Wagemann. Er bestätigt ferner die Analyse vieler Beobachter, dass sich hinter dem aktuellen Streik der Lokführer ein weitreichenderer Konflikt verberge, nämlich der um das geplante Tarifeinheitsgesetz. Die GDL befinde sich im Kampf gegen das Gesetz in einem strategischen Dilemma: Mit ihrem aktuellen Streik, der die Macht einer vergleichsweise kleinen Gewerkschaft vor Augen führe, mache sie das Zustandekommen des Gesetzes eher noch wahrscheinlicher. Andererseits müsse sie sich aus Gründen des Selbsterhalts dagegen wehren.

Wagemann hebt aber hervor, dass die GDL mit ihrem Streik durchaus ein Zeichen setze gegen neoliberale Tendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft. "Sie bricht mit ihrem Streik verkrustete Strukturen auf. Eine Monopolgewerkschaft wie der DGB steht dagegen solchen Streikformen eher ablehnend gegenüber, weil man die Zersplitterung der Gewerkschaftsfront und damit verbunden den eigenen Machtverlust fürchtet."

Der Politikwissenschaftler verortet den Konflikt in einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel: Er spricht von einer "institutionellen Sklerosis". Parteien, Gewerkschaften und Verbände verlören zunehmend Mitglieder und büßten Zustimmung seitens der Gesellschaft ein. Neue Formen des Protestes und der Beteiligung träten auf den Plan. "Bewegungen wie Blockupy, die besonders junge Leute über Social Media ansprechen, füllen gewissermaßen dieses Vakuum." Besonders die Gewerkschaften drohten den Anschluss zu verlieren, indem sie große gesellschaftliche Debatten über die Zukunft der Gesellschaft jenseits von Kapitalismus und Sozialismus den neuen Protestkulturen überließen.


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 gegründet mit rein privaten Mitteln von freiheitlich orientierten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern fühlt sie sich als Bürgeruniversität bis heute dem Motto "Wissenschaft für die Gesellschaft" in Forschung und Lehre verpflichtet. Viele der Frauen und Männer der ersten Stunde waren jüdische Stifter. In den letzten 100 Jahren hat die Goethe-Universität Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geisteswissenschaften."

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Quelle:
Goethe-Universität Frankfurt
Pressemitteilung Nr. 122 vom 8. Mai 2015
Herausgeber: Die Präsidentin Abteilung Marketing und Kommunikation
60629 Frankfurt am Main
Redaktion: Dr. Dirk Frank, Pressereferent / stv. Leiter
Abteilung Marketing und Kommunikation
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2015

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