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MEINUNG/111: Skizzen zur staatlichen Planung in China und anderen Ländern (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Skizzen zur staatlichen Planung in China und anderen Ländern
Die drei Säulen für eine nachhaltige Wirtschaft

Von Günter Buhlke, 27. April 2021


In Russland haben Partei und Regierung mit der zentralen Planung das Land nicht umfassend auf Fortschrittskurs bringen können. Bedeutende Entwicklungsimpulse erhielten jedoch die Bildung, die Wissenschaft, das Gesundheitswesen, die Kultur und das System der Landesverteidigung.

Die historischen Rückstände in der Volkswirtschaft waren durch den 2. Weltkrieg und den anschließenden Kalten Krieg kaum aufzuholen. Die Erwartungen, die an die zentrale Planung geknüpft waren, konnten nicht erfüllt werden. Die Bevölkerung musste sich mit einer Grundversorgung zufrieden geben. Der Investitionsbedarf der Wirtschaft, der Infrastruktur musste hinter der Sicherheit zurückstehen.

Traditionelle Marxisten gehen davon aus, dass alle Bereiche, die zum Überleben der menschlichen Gesellschaft grundsätzlich notwendig sind, im Besitz der Gemeinschaft sein sollten und zentral geplant werden. Das sind Land/Bodenschätze, Energiequellen, Wasser, Steuerhoheit/Zentralbank. Doch nicht alles zur täglichen Gestaltung ist von einer Planungsbehörde zu überblicken. Die Zentrale Planung braucht Rahmenbedingungen, die die demokratische Mitbestimmung der Betroffenen sichert und das Prozedere der Planaufstellung festlegt. Die Zentrale Planung ist kein neuer Prozess, der mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung eingeführt wurde. Monarchien und kapitalistische Republiken benutzten zentrale Planungen für verschiedene Bereiche des Staates und der Volkswirtschaft. Die Bundesrepublik verwendet sie mit ihren zweijährigen Staatshaushaltsplänen, sowie für längerfristige Bebauungs- und Straßenverkehrspläne usw. Alle für die Gesellschaft wichtigen Bereiche haben lineare Entwicklungsprogramme, die aber selten bilanziert und verbindlich ausgestaltet sind.

Planung bedeutet zunächst die Abwägung künftiger Möglichkeiten.

Die Bestimmung des zukünftigen Bedarfs im subjektiven und wachsenden Umfeld sowie Investitionsgrößen unterliegen einem komplexen Verfahren. Tief verzweigte Planungsgrößen müssen beachtet werden, beispielsweise für die Bestimmung der Größen des Bedarfes, nach in- oder ausländischen Quellen. Mit Bleistift und Radiergummi ist Volkswirtschaftsplanung nicht machbar. Gebraucht werden mathematische Verfahren, Computertechniken, große Datenspeicher, Prognoseverfahren, die über Finanzierbarkeit und Folgeeinschätzungen Auskunft geben u.v.m.

Die DDR richtete zunächst eine Erzeugnis- und Leistungsnomenklatur der Volkswirtschaft ein, die mit der Brüsseler Weltzollnomenklatur korrespondierte. Die Industrie- und Verbraucherpreise wurden kalkulatorisch ausgearbeitet. Auf der Rechtsgrundlage des Potsdamer Abkommens wurden die Eigentumsverhältnise neu geordnet. Gesetze zur Planungs- und Bilanzierung wurden geschaffen, die alle zwei Jahre in Überprüfungskonferenzen die Kombinate und die Staatliche Plankommission (SPK) auf Problemstellen bewerteten.

In der letzten Phase der DDR entschied die SPK 449 Erzeugnispositionen, die Minister 698. Betriebsdirektoren der Volkseigenen Unternehmen hatten ein eingeschränktes Entscheidungsfeld. In der Marktwirtschaft entscheidet der Mehrheitseigentümer aus seiner Sicht. Reformversuche wurden mit dem Neuen Ökonomischen System unternommen.

Die Unternehmen der Bundesrepublik unterliegen gleichfalls staatlichen Vorschriften. Sie melden an das Statistische Bundesamt monatlich etwa zehntausend Betriebsdaten. Das Finanzamt fordert weitere Daten von privaten, kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen, die der Kontrolle der Steuerzahlung dienen. Unterschiede im Aufwand der Bürokratie zwischen beiden Systemen sind kaum vorhanden.

Bei der Bewertung der Zentralen Planung ist zu beachten, dass Planung zunächst ein technologischer Prozess ist. Entscheidend sind die Interessen, die mit den Zielstellungen verbunden werden und die Machtverhältnisse, um die geplanten Ziele zu erreichen. Die Sozialistische Gesellschaftsordnung beabsichtigt mittels zentraler Planungen soziale Zielstellungen, wie die gleichberechtigte Teilhabe am Wertzuwachs der Wirtschaft erreichen und der Bevölkerung ein würdiges Leben bei der Deckung des materiellen Grundbedarfes an Nahrung, Wohnen etc. bieten. Die Hauptziele der kapitalistischen Marktordnung richten sich im Schwerpunkt auf den Zuwachs der Geldmenge für die Mehrheitseigner. Der Versorgungsauftrag der Wirtschaft, die Gemeinschaft mit Bedarfsgütern zu versorgen ist zweitrangig.

Anders als in Russland haben in China acht Parteien der Nationalen Front und die Regierung das 1,4 Milliarden-Volk aus einer tiefen Misere mit Millionen Hungertoten noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch eine Zentrale Planung das Land in wichtigen Bereichen zur Weltspitze geführt. Die Leistungen wurden in der historisch kurzen Zeit von nur 72 Jahren geschafft. China hat die zu schwache wirtschaftliche Akkumulationsfähigkeit, wie sie in Russland und anderen sozialistischen Ländern vorhanden war, überwunden, indem in der Wirtschaft Instrumentarien genutzt werden, die die kapitalistische Ordnung mit Erfolg anwendet. Dazu gehören Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen, die Möglichkeiten zur Befristung enthalten und der staatlichen Kontrolle unterliegen, Kapitalbeteiligungen an staatseigenen Betrieben unterhalb von Entscheidungsmehrheiten, Zulassung reglementierter Börsengeschäfte und Zulassung von Produktionsstätten für ausländische Unternehmen. Entscheidend sind die politischen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die praktischen Abläufe regeln.

Es ist keine Neuheit, dass die Gesellschaftsordnungen von ihren vorangegangenen, bewährte betriebs- und volkswirtschaftliche Instrumentarien übernehmen. Die Sowjetunion sowie die DDR u.a., nutzten die Systeme der Betriebsordnung, der Kreditgewährung, das Rechnungs- und Bilanzwesen, der Banken und Versicherungen, der Besteuerung, des Vertragsrechts, der Preiskalkulation u.v.m. der kapitalistischen Ordnung von Beginn an. Positive Verfahren werden von allen nachfolgenden Ordnungen evolutionär genutzt. Konten, Bilanzen, Banken existierten in Italien seit dem 14./15. Jahrhundert. Das Kredit- und Darlehenswesen haben die deutschen Großhandelskaufleute der Fugger und Welser im 15./16. Jahrhundert verbreitert. Die katholische Kirche hat mit dem Ablasshandel die ersten Wertpapiere im Umlauf gebracht. Prinzipien des Staatshaushaltes entstammen der Kameralistik des Feudalismus.

Die chinesische Regierung geht einen sozialistischen Weg eigener Prägung, wie es in der Begründung des laufenden 14. Fünfjahrplanes heißt. Sie nutzt auch Elemente der kapitalistischen Ordnung gemäß den sozialistischen Zielstellungen modifiziert.

Im Bereich des wirtschaftlichen Eigentums Chinas gibt es keine Eigentumsform, die eine beherrschende Macht im Staat ausübt. Das Machtmonopol liegt bei der Politik. Die wirtschaftliche Eigentumsstruktur Chinas besteht in zwei großen staatlichen Strukturen: Die staatliche SOE/State Owned Enterprise sowie die SASAC/Staatsunternehmen unter besonderer Kontrolle.

Beide Formen mit der Aufgabe der Grundversorgung. Ebenfalls staatlich, die meist unter kommunaler Kontrolle arbeitenden TVE (Township and Village Enterprises). Die drei Formen wurden reformiert und können mit privatem Minderheitskapital arbeiten. Weiter das genossenschaftliche Eigentum als vierte Form, dass vorwiegend in der Landwirtschaft und in den Kommunen anzutreffen ist (auch Huawei ist z.B. genossenschaftlich organisiert). Als fünfte Form existiert das private Eigentum. Es ist im Dienstleistungsbereich und in der Form Joint Venture tätig.

Land und Boden gehören zum Eigentum der Volksrepublik. Es wird den Bauern vertraglich zur eigenen Nutzung übergeben. Die Verfügungsgewalt besitzt der Staat. Ihre Verwendung wird über den zentralen Plan geregelt.

Die Nationale Front und die Regierung sichern die sozialen Zielstellungen und üben über Gesetze die Macht aus. Fragezeichen setzt die Existenz von Milliardären in der Volksrepublik China auf.

Bemerkenswert sind die geplanten guten Rahmenbedingungen für die Generation der Jugend und zur Entwicklung der Wissenschaft. Die Öffnung der Volkswirtschaft Chinas zur internationalen Arbeitsteilung kann zu den Erfolgskriterien gerechnet werden. China treibt die Öffnung und Globalisierung mit dem Projekt der Neuen Seidenstraße selbst aktiv voran.

Langfristige Planung ist zwingend mit Folgeeinschätzungen verbunden. Sie öffnet so ein Zeitfenster zum Erkennen von Problemen aus einem extensiven Wachstum auf die Natur. Der laufende Fünfjahrplan steckt den Weg für eine deutliche Senkung des CO2-Ausstoßes ab. Erforderliche Investitionsobjekte zur Umstellung der Energieerzeugung sind festgelegt. Der Anteil von Kohle, Öl, Gas soll von gegenwärtig 70 auf 24 Prozent sinken.

2020 führte die Regierung Chinas ein Sozialpunktesystem mit 300 Zählern als eine weitere Neuheit im komplexen Umfeld der Planwirtschaft ein. Es zielt auf die Einhaltung von Pflichten. Unternehmen mit hohen Punktzahlen können belohnt werden, beispielsweise mit Fördermitteln, bei staatlichen Ausschreibungen u.ä. kommentiert die Handelskammer der EU.

Die zentrale staatliche Planung hat sich für China als ein verlässliches Element für die gesellschaftliche Entwicklung erwiesen. Sie ist technologisch modern ausgestattet und mit einer human gesinnten sozialistischen Führungsstruktur verbunden.

Eine Einschätzung, ob sich China noch auf dem Weg zum Sozialismus befindet, kann nicht an betriebswirtschaftlichen Elementen festgemacht werden. Der Entwicklungsweg Chinas führt über demokratische und partizipative Rahmenbedingungen.

Das gegenwärtige Hauptproblem für die Weiterentwicklung Chinas ergibt sich aus der Frontstellung der USA. Präsident Biden hat China und Russland zu Hauptfeinden erklärt. Die NATO liegt vollständig auf der Linie der USA. Ihre Tagung vom Dezember 2020 hat keine friedliche Prognose entwickelt. Das deckt sich mit den steigenden Militärausgaben der NATO-Länder, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI am 25.4.2021 meldete. Im Hintergrund der konträren Haltung zu China ist wohl die Angst, dass das kapitalistische System am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten angelangt ist und sich andere Entwicklungsländer dem neuen sozial betonten System zuwenden.


Der Autor, Ex-Direktor der Staatlichen Plankommission der DDR, beschreibt in seinem neuen Buch "Hat die Welt eine Zukunft?" Verlag am Park, ISBN 978-3-947094-79-0 [1], Alternativen der Planung in einer humanen Welt.


Anmerkung:
[1] https://www.eulenspiegel.com/verlage/verlag-am-park/titel/hat-die-welt-eine-zukunft.html


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2021

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