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REDE/398: Merkel - Regierungserklärung zum G8-Weltwirtschaftsgipfel, 02.07.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
zum G8-Weltwirtschaftsgipfel vom 8. bis 10. Juli 2009 in L'Aquila
vor dem Deutschen Bundestag am 2. Juli 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der diesjährige G8-Gipfel in L'Aquila findet in der nächsten Woche statt und steht im Zeichen der größten globalen Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte. Die Weltwirtschaft wird in diesem Jahr nach OECD-Schätzungen um 2,2 Prozent schrumpfen und der Welthandel um sage und schreibe 16 Prozent einbrechen. Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft - zur Erinnerung: 40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts hängen am Export - ist davon besonders betroffen. Unser Export-überschuss wird in diesem Jahr schätzungsweise um über 100 Milliarden Euro zurückgehen.

Die Krise hat viele Regierungen zu außergewöhnlichen Maßnahmen gezwungen. Auch die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben entschlossen gehandelt: mit umfangreichen Maßnahmepaketen zur Stabilisierung des Bankensektors - erst gestern haben wir einen wichtigen Schritt zur Schaffung der sogenannten Bad Banks unternommen - und mit Konjunkturpaketen in einer historisch einmaligen Größenordnung von über 80 Milliarden Euro. Berücksichtigt man auch die Wirkung der automatischen Stabilisatoren, so gehört Deutschland weltweit zu den Ländern, die die stärksten konjunkturellen Impulse gesetzt haben. Dies hat sich auch in den Statistiken des IWF niedergeschlagen. Wir können wirklich sagen, dass wir unseren Beitrag zur Bekämpfung dieser Krise leisten.

Wir haben im internationalen Rahmen eine klare Verpflichtung für eine neue Finanzmarktverfassung auf den Weg gebracht. All diese Maßnahmen haben wir natürlich in enger Abstimmung mit unseren wichtigsten Partnern durchgesetzt.

Die G8 sind einmal in einer Krise entstanden. Die wichtigsten Industrieländer haben sich zusammengeschlossen, um ein Forum zu schaffen, auf dem über die Zukunft der Weltwirtschaft gesprochen werden kann. Der Gipfel in L'Aquila wird deutlich machen, dass das G8-Format nicht mehr ausreicht. Wir werden dort sozusagen einen Vorbereitungstag als G8 haben und dann an den beiden anderen Tagen mit den sogenannten G5 - den Schwellenländern Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika - sprechen, uns im Kreis der wichtigsten Wirtschaften treffen, um über den Klimaschutz zu sprechen, und afrikanische Länder einladen, um mit ihnen über die Zukunft des Kontinents zu reden. Man sieht: Die Welt wächst zusammen. Die Probleme, vor denen wir stehen, können von den Industriestaaten nicht mehr allein gelöst werden.

Auf dem Gipfel werden wir uns mit der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigen. Die Gipfel von Washington und London im G20-Format waren erste wichtige Schritte in diese Richtung. Jetzt geht es darum, diese Maßnahmen auch umzusetzen. Wir beobachten - der Bundesfinanzminister hat schon darauf hingewiesen -, dass die Banken in dem Moment, wo sie eine gewisse Erholung spüren, sofort Abwehrreflexe gegen die Durchsetzung weiterer Regulierung zeigen. Ich sage: Wir werden - dazu gibt es hier einen breiten Konsens - darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Verfassung für die internationalen Finanzmärkte bekommen, damit sich eine solche Krise nie wiederholt.

Als wir während unserer G8-Präsidentschaft den G8-Gipfel in Heiligendamm ausgerichtet haben, haben wir die bittere Erfahrung gemacht, dass keinerlei Bereitschaft dazu da war, eine Regulierung der Finanzmärkte, zum Beispiel bei den Hedgefonds, durchzusetzen. Keine zwei Jahre später - im Grunde ein Jahr später; da fing das alles in massiver Weise an - hat sich herausgestellt, dass dies ein großer Fehler war. Wir können uns deshalb auch nach der Schaffung einer neuen Finanzmarktverfassung kein Erlahmen der Anstrengungen und keine Rückkehr zu "business as usual" leisten.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft weltweit verankern müssen; denn es geht nicht nur um eine Regulierung einzelner Produkte und um eine bessere Aufsicht, sondern es geht um die grundsätzliche Herangehensweise. Es geht um die Frage, was die Aufgabe des Staates ist. In der sozialen Marktwirtschaft ist die Aufgabe des Staates, Hüter der sozialen Ordnung zu sein, Hüter der gesellschaftlichen Ordnung zu sein. Genau dies muss umgesetzt werden. Das geht nicht mehr in einem Land allein, das geht nicht mehr in der Europäischen Union allein, das muss international geschehen, und dem darf sich keiner entziehen.

Wir werden manchmal dafür gescholten, dass wir dies immer wieder in den Mittelpunkt stellen. Ich will an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft zurückgeht auf die Lehren aus der ersten Weltwirtschaftskrise, die Ende der 20er Jahre, Anfang der 30er Jahre herrschte. Hier waren die europäischen Schlussfolgerungen gerade das, was uns zur sozialen Marktwirtschaft geführt hat. Es geht genau um die Rolle des Staates: Er muss fairen Wettbewerb garantieren. Wir sollten deshalb, glaube ich, an einer Charta der nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung arbeiten, in der wir solche Prinzipien zugrunde legen. Wir sollten dies im September auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh ein Stück weiterbringen.

Einige der Hausaufgaben, die sich aus den Londoner Verpflichtungen ergeben, haben wir bereits gemacht. Dazu gehört die Schaffung einer europäischen Finanzaufsicht; die Grundsatzbeschlüsse dafür haben wir beim letzten Rat getroffen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ebensolche Vorschläge für eine bessere Regulierung gemacht. Es kommt jetzt darauf an, dass die Aufsichtsbehörden, die es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Europäischen Union geben wird, an die Banken nicht wieder unterschiedliche Kriterien anlegen. Diese Kriterien müssen gleich sein, damit wir ein vernünftiges Feld bekommen, auf dem ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Eine Aufgabe wird also die internationale Abstimmung sein.

Wir werden in L'Aquila natürlich auch darüber sprechen, dass die multilateralen Organisationen wie das Financial Stability Board oder der IWF eine zusätzliche Bedeutung bekommen, um bewerten zu können, wie sich die einzelnen Regionen aufstellen und ob Kriterien vergleichbar sind; denn die allermeisten großen Finanzinstitute arbeiten grenz- und kontinentübergreifend, weshalb sie nach einheitlichen Maßstäben geführt werden müssen.

Wir werden ebenfalls darüber sprechen müssen, wie wir nach der Krise vorangehen. Eines ist klar: Die hohen Risiken, die eingegangen wurden, um nicht nachhaltiges Wachstum zu fördern, waren die Ursachen dieser Krise. Es ist richtig, dass wir die Krise jetzt bekämpfen. Das wird auch noch eine ganze Weile so anhalten. Aber wir müssen international auch vereinbaren, wie wir weiter für nachhaltiges Wachstum arbeiten, wenn wir den Stand der Wirtschaftsentwicklung aus der Zeit vor der Krise, also 2007, 2008, wieder erreicht haben.

Mit dem Beschluss über die Schuldenbremse haben wir in Deutschland einen ganz wesentlichen Eckpunkt gesetzt, der auch von der OECD ausdrücklich gewürdigt wird. Wir sind aber weit und breit das einzige Land - das muss ich so sagen -, das eine solche Art von Selbstbindung getroffen hat, um nach der Mitte des nächsten Jahrzehnts einen ganz klaren und nachhaltigen Wachstumspfad zu begehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir einerseits schnell aus der Krise herauskommen, Herr Oppermann, und andererseits wieder eine nachhaltige Entwicklung erreichen.

Ein Punkt, durch den der weltwirtschaftliche Erholungsprozess erheblich beeinflusst werden kann, ist die Gefahr von protektionistischen Maßnahmen. Wir müssen hier sehr aufpassen. Es gibt eine allgemeine Verpflichtung aller Teilnehmerstaaten des Londoner Gipfels, keinen Protektionismus zuzulassen. Aber es gibt eben Klauseln, die hier und da diese Gefahr in sich bergen. Ob es nun "Buy American" oder "Buy Chinese" ist: Wir müssen hierauf ein klares Augenmerk legen.

In den Verhandlungen auf dem G8-Gipfel werden wir uns noch einmal der Vollendung der Doha-Runde zuwenden. Nach fast vier Jahren, die ich jetzt Bundeskanzlerin bin, mag man gar nicht mehr von dem immer gleichen Projekt sprechen; aber es bleibt so dringlich, wie es vor einigen Jahren war. Es muss ein Fortschritt bei dieser Doha-Runde erreicht werden. Ich sehe, dass die neue amerikanische Administration hier sehr viel offener ist. Ich hoffe, dass Indien nach der Wahl und andere Länder ebenfalls die Bereitschaft zu mehr Offenheit aufbringen.

Ich denke, dass wir durch die Vielzahl von internationalen Konferenzen in diesem Jahr spätestens im nächsten Jahr auch Klarheit über die Zukunft der verschiedenen Tagungsformate haben werden. Wir haben jetzt die G20, die G8 und die G5 sowie die Major Economies, wie es so schön heißt, im Klimaschutz. Ich denke, dass G20 das Format sein sollte, das wie ein überwölbendes Dach die Zukunft bestimmt. Hier gibt es eine gewisse Repräsentativität zumindest der wirtschaftlich starken Länder.

Um zu einer wirklichen Akzeptanz zu kommen, wird es aber darauf ankommen, dass man weltweit eine enge Verbindung zu den regionalen Wirtschaftsorganisationen hält - sowohl zur Afrikanischen Union als auch zur NAFTA, zu den lateinamerikanischen Organisationen und zu den asiatischen Zusammenschlüssen -, um nicht einzelne Länder auszugrenzen. Das Format G8 wird genutzt werden, um Vorbesprechungen durchzuführen. Die eigentlich relevanten, globalen Beschlüsse werden nach meiner Überzeugung dann innerhalb eines größeren Formats gefällt werden.

Der zweite wichtige Punkt in L'Aquila wird das Klima sein. Am Ende des Jahres findet in Kopenhagen eine weltweite Klimakonferenz statt, auf der ein Nachfolgeabkommen für Kyoto verabschiedet werden soll, das heißt ein Abkommen für die Zeit nach 2012 bis mindestens zur Mitte des Jahrhunderts. Deshalb ist es gut, dass der neue amerikanische Präsident, Barack Obama, das Format der Treffen der großen Wirtschaften weiterführt und dass wir in L'Aquila die Verhandlungen in Kopenhagen vorbereiten können. Die dänischen Gastgeber werden zu diesem Tagesordnungspunkt nach L'Aquila kommen. Wir sehen eine bestimmte Bewegung, die uns zuversichtlich macht, dass wir im Dezember zu Ergebnissen kommen.

Ganz konkret meine ich damit die Gesetze, die in der letzten Woche im amerikanischen Abgeordnetenhaus verabschiedet wurden. Sie stellen zwar eine Trendwende dar, bringen uns aber nicht automatisch zu dem Ziel, das wir bis 2050 erreichen wollen. Deshalb wird es wichtig sein, dass sich in den Dokumenten von L'Aquila noch einmal ein ganz klares Bekenntnis zu dem Zwei-Grad-Ziel findet. Dass diese Gesetze eine Trendwende bedeuten, wird klar, wenn man sich einmal vor Augen führt, was in den Vereinigten Staaten von Amerika bis jetzt hart erkämpft werden musste. In Heiligendamm waren wir froh, als festgeschrieben wurde, dass wir ernsthaft be-trachten wollen, ob wir eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2050 zustande bringen. In L'Aquila werden wir ein deutliches Bekenntnis zu dem Zwei-Grad-Ziel - dem Ziel, dass sich die weltweite Temperatur um nicht mehr als zwei Grad erhöht - formulieren.

Wir werden außerdem - darin liegt das eigentliche Arbeitsfeld bis Dezember - um mittelfristige Ziele ringen müssen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben mit diesem Gesetz das mittelfristige Ziel von 17 Prozent Reduktion, bezogen auf den Zeitraum von 2005 bis 2020, beschlossen. Darin kommt natürlich zum Ausdruck, dass die Vereinigten Staaten zwischen 1990 und 2005 diesbezüglich nichts gemacht haben. Ich glaube, wir sollten die Diskussion ermutigend führen, weil wir das Ziel ohne die Vereinigten Staaten von Amerika nicht erreichen können. Deshalb spreche ich von einer Trendwende.

Immerhin ist in diesem Gesetz ein CO2-Zertifikate-Regime vereinbart worden, wonach in Zukunft 85 Prozent der CO2-Emissionen einer Zertifizierungspflicht unterliegen. Das ist sehr ambitioniert. Nach den Diskussionen, die wir hier geführt haben, kann sich jeder vorstellen, dass die Erreichung dieses Ziels - auch mit Blick auf den Senat - nicht ganz einfach sein wird.

Ich will dennoch sagen: Europa hat eindeutig die Führung. Wir wollen, bezogen auf 1990, sehr viel deutlichere Reduktionsziele erreichen. Mit diesem Führungsanspruch werden wir auch weiterhin diejenigen sein, die ermutigen, antreiben und gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika die Schwellenländer in diese Debatte einbeziehen.

Selbst wenn wir unsere CO2-Emissionen bis 2050 nicht nur um 80 Prozent reduzieren - wie Deutschland und Amerika es wollen -, sondern um 100 Prozent, wäre es bei dem jetzigen Anstieg der Emissionen nicht mehr möglich, das Zwei-Grad-Ziel ohne die Schwellenländer zu erreichen. Das wird Gegenstand der Diskussionen sein, die wir mit unseren Partnern in Indien, China und in anderen Schwellenländern führen müssen.

Ein weiteres Thema wird die Entwicklungshilfe sein. Diesbezüglich gibt es vielfache Versprechungen und Verpflichtungen, die wir übernommen haben. Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Zahler von Entwicklungshilfe weltweit. Das kann sich wirklich sehen lassen. Wir haben unsere Entwicklungshilfeleistungen in der Krise bewusst nicht reduziert, sondern wir haben das Gegenteil getan. Wir sind der Meinung, dass wir diesen Pfad weitergehen müssen.

Ich sage das nicht nur mit Blick darauf, dass viele Menschen in den Entwicklungsländern viel härter von der Krise betroffen sind als wir, sondern auch mit Blick auf unsere Situation als Exportnation, die ein massives Interesse an einer guten Entwicklung, zum Beispiel des afrikanischen Kontinents, hat. Afrika hatte über die letzten Jahre ein konstantes Wachstum von fünf Prozent. Dort sind neue Märkte zu erschließen. Wenn dies nicht mehr stattfindet, wenn das gesamte Kapital abgezogen wird, dann geht es nicht nur den afrikanischen Ländern schlechter, sondern dann fehlen auch uns Exportmöglichkeiten.

Wer sich einmal mit Flüchtlingsfragen - auch im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent - befasst, wer sieht, was im Süden Europas, was auf dem Mittelmeer los ist, welche Arbeit die europäische Agentur FRONTEX da zu leisten hat, der weiß, dass wir hier bei uns ein Riesenproblem bekommen werden, wenn wir nicht für vernünftige Lebensbedingungen vor Ort sorgen. Auch deshalb ist Entwicklungshilfe wichtig.

Wenn wir uns mit den afrikanischen Regierungschefs treffen, wird die Ernährungssicherung ein besonderer Schwerpunkt sein. Jedem sechsten Bürger auf der Welt fehlt es an ausreichender Nahrung. Deshalb ist dieser Punkt von großer Bedeutung. Deutschland hat sich an dem globalen Partnerschaftsprogramm für Ernährung kraftvoll beteiligt, und wir werden auch dafür einstehen, dass dieses Programm weiterentwickelt wird. Ich sage: In der jetzigen Zeit darf es hier keine Kürzungen geben, sondern wir müssen diese Länder ganz entschieden unterstützen.

Am ersten Abend des Gipfels in L'Aquila werden wir uns mit den außen- und sicherheitspolitischen Fragen beschäftigen, dies dann noch einmal zusammen mit den G5-Ländern. Hier steht das Thema Iran im Zentrum der Diskussion. Wir sind Zeugen brisanter und vor allen Dingen erschreckender Ereignisse geworden. Ich hoffe, dass von dem Treffen die starke Botschaft der Geschlossenheit ausgeht, dass Demonstrations-, Bürger- und Menschenrechte unteilbar sind und auch für den Iran gelten, dass unsere Gedanken bei den Menschen sind, die jetzt verhaftet werden - es werden täglich mehr -, und dass wir auch alles daransetzen werden, diese Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.

Ich weiß noch aus der Zeit der DDR, wie wichtig es war, dass sich Menschen auf der Welt darum gekümmert haben, wer in Bautzen oder Hohenschönhausen sitzt, und dass man bestimmte Dinge nicht vergessen hat. Der Iran muss wissen: Gerade in den Zeiten moderner Kommunikationsmittel werden wir alles daransetzen, diese Menschen nicht aus den Augen zu verlieren und ihnen so, wie wir können, zu helfen.

Die Führung im Iran muss wissen: Wenn sie einen vernünftigen Weg geht, dann wollen wir, dass der Iran eine gedeihliche Entwicklung nimmt. Das gilt auch für unseren Ansatz im Nuklearprogramm. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir uns auch nicht scheuen, unsere Meinung zu sagen und auch mit denen solidarisch zu sein, die wie die Angehörigen der britischen Botschaft jetzt einzeln unter Druck gesetzt werden sollen.

Natürlich bleibt das Thema Nuklearpolitik auf der Tagesordnung. Ich habe mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama letzte Woche ausführlich darüber gesprochen und unterstütze noch einmal ausdrücklich das Angebot von Präsident Obama zu Direktgesprächen mit dem Iran. Wir werden das flankieren. Wir werden sehr einig an die Sache herangehen.

Wir können nicht zulassen - weil die Situation im Iran so ist, wie sie ist -, dass wir uns um das Thema nukleare Bewaffnung des Iran nicht mehr kümmern. Das wäre ganz falsch, und deshalb müssen wir hier einen international abgestimmten Weg gehen.

Präsident Obama wird vor dem G8-Gipfel zu einem ausführlichen Besuch nach Moskau reisen. Ich wünsche mir, dass dies ein erfolgreicher Besuch wird. Denn wir wollen als Bundesregierung, aber auch als Deutscher Bundestag eine enge Partnerschaft mit Russland. Wir wollen, dass Russland auch in sämtlichen internationalen Konfliktfällen - von Iran über Afghanistan bis zu der Frage Nordkorea - mit uns zusammenarbeitet.

Ein wichtiger Punkt der Gespräche wird die Abrüstung und Rüstungskontrolle sein: Abrüstung im konventionellen Bereich und Rüstungskontrolle im umfassenden Sinne. Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir auch auf dem G8-Gipfel noch einmal darüber sprechen, dass der Nichtverbreitungsvertrag im nächsten Jahr wirklich gestärkt wird. Denn der Kampf gegen Proliferation im nuklearen Bereich ist eine der ganz großen Herausforderungen.

Wir werden in L'Aquila auch über Afghanistan sprechen. Unsere Trauer um die in der vergangenen Woche gefallenen Soldaten eint uns in diesem Hause. Sie hat uns erneut vor Augen geführt, dass wir hier weiterhin vor großen, schwierigen und gefährlichen Herausforderungen stehen.

Aber ich sage auch: Ziel und Strategie des Einsatzes der NATO und unseres zivilen Engagements sind ohne vernünftige Alternative. Wir haben nach meiner Überzeugung mit der vernetzten Sicherheit den richtigen Ansatz. Wir haben auf dem NATO-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg darüber eine internationale und gemeinsame Haltung in der NATO gefunden. Wir haben das Ziel, dass in Afghanistan die Streitkräfte und die Polizeikräfte die Sicherheit des Landes selber garantieren können. Das geht heute noch nicht. Dazu bedarf es der internationalen Hilfe. Wir sind mit Einverständnis der afghanischen Regierung in Afghanistan - ich will das noch einmal betonen -, und wir werden vor dieser Aufgabe nicht weglaufen, sondern wir werden sie Schritt für Schritt erfüllen.

Neben allem, was uns bedrückt, können wir sagen, dass es Fortschritte gibt. Im August wird zum zweiten Mal ein Präsident in Afghanistan gewählt. Ich hoffe, dass diese Wahl zu einer Stärkung der Demokratie in Afghanistan führen wird. Große Sorgen bereitet uns natürlich - auch darüber wird in L'Aquila gesprochen werden - die Situation in Pakistan. Ohne eine vernünftige Entwicklung Pakistans wird es in Afghanistan nicht zu einer Beruhigung kommen. Diese beiden Länder hängen, obwohl sie ganz unterschiedlich sind, auf das Engste miteinander zusammen. Die Europäische Union hatte mit dem pakistanischen Präsidenten - der Bundesaußenminister und ich haben das noch einmal auf bilateraler Ebene getan - gesprochen. Es ist unübersehbar, dass die Aufgaben riesig sind und deshalb eine internationale Strategie dringend notwendig ist, die deutlich macht, wie wir mit Pakistan umgehen.

Der letzte Punkt wird der Nahostfriedensprozess sein. Hier sind wichtige Anregungen durch die Kairoer Rede von Präsident Obama sowie die Aktivitäten des Beauftragten Mitchell und des Nahostquartetts in der Region gegeben worden. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, dass alle Seiten Zugeständnisse machen. Dazu gehören die Fragen des Siedlungsbaus. Es muss nach meiner festen Überzeugung hier einen Stopp geben. Ansonsten werden wir nicht zu einer Zweistaatenlösung kommen, die wir dringend brauchen: zu einem jüdischen Staat Israel und einem palästinensischen Staat, der in Sicherheit leben kann.

Der G8-Gipfel wird eine Zwischenetappe im Hinblick auf das G20-Gipfeltreffen in Pittsburgh im September und die Kopenhagen-Konferenz im Dezember sein. Ich habe das am Anfang dieses Jahres gesagt, und ich sage das jetzt wieder: Aufgrund der Probleme, die wir haben, aufgrund des Zeitplans, den wir in Bezug auf das Klimaabkommen haben, und durch die Tatsache, dass wir eine neue amerikanische Administration haben, die viele Themen neu und anders angeht, wird dies ein entscheidendes Jahr für die Frage sein, ob die Welt am Ende dieses Jahres glaubt, dass wir global zusammenarbeiten können, dass Politik die Globalisierung gestalten will, oder ob wir eher Enttäuschung zurücklassen. Ich darf Ihnen sagen: Die ganze Bundesregierung und auch ich persönlich werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dies ein erfolgreiches Jahr ist, damit Politik insgesamt den Anspruch erheben kann, dass die Globalisierung menschlich gestaltet wird.

Der Gipfel findet in L'Aquila statt, weil die Region von einem schrecklichen Erdbeben erschüttert wurde. Es ist inzwischen ein Ort des Wiederaufbaus und der Zuversicht. Wir wollen gerade an diesem Ort gute Ergebnisse erzielen. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, dass Deutschland beim Wiederaufbau in diesem Erdbebengebiet hilft, auch in der Stadt Onna, in der am 11. Juni 1944 die Wehrmacht 17 unschuldige Zivilisten umgebracht hat. Nichts deutet besser darauf hin, wie sich die Zeiten geändert haben, als die Tatsache, dass Deutschland jetzt hilft, diesen Ort wiederaufzubauen, auch die zerstörte Kirche. 90 Prozent der Gebäude dort sind zerstört. Jede Familie hat ein Opfer zu beklagen. Ich glaube, wir zeigen damit die Solidarität, die heute auf der Welt notwendig ist, damit wir alle besser leben können.


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Quelle:
Bulletin Nr. 79-1 vom 02.07.2009
Deutscher Bundestag
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
zum G8-Weltwirtschaftsgipfel vom 8. bis 10. Juli 2009 in
L'Aquila vor dem Deutschen Bundestag am 2. Juli 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009