Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

ROHSTOFFE/070: Die Geopolitik der Energie (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 01.02.2013
www.german-foreign-policy.com

Die Geopolitik der Energie



WASHINGTON/BERLIN/MÜNCHEN - Mit einer Debatte über den neuen Öl- und Gasboom in den Vereinigten Staaten beginnt am heutigen Freitag die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz. Hintergrund ist der beträchtliche Anstieg der Ressourcenförderung in den USA, der mit Hilfe der umstrittenen "Fracking"-Technologie erzielt wird. Fachleute gehen davon aus, dass die USA ihre Energieimporte in den kommenden Jahren erheblich senken können - und dass das weitreichende Veränderungen der, wie es heißt, "Geopolitik der Energie" mit sich bringt. Demnach sei es möglich, dass die Vereinigten Staaten ihre ökonomische Krise überwänden, dass ihre Abhängigkeit von unsicheren Weltregionen schrumpfe, dass China unter Druck gerate sowie Russland empfindlich geschwächt werde. Entsprechende Überlegungen sind Mitte Januar mittels der Weitergabe eines BND-Papiers an die Medien in die öffentliche Debatte transportiert worden. Sie sind geeignet, den transatlantischen Beziehungen wieder Auftrieb zu verleihen.

Der Fracking-Boom

Grundlage des aktuellen US-amerikanischen Öl- und Gasbooms ist die Technologie des "Fracking". Dabei werden Schichten von Schiefergestein Tausende Meter unter dem Erdboden mit Hilfe eines Gemischs aus Wasser und Chemikalien aufgebrochen, um bislang nicht erschließbare Vorkommen an Öl und Gas zu fördern. Das Verfahren gilt als hochriskant, etwa weil die Chemikalien, die man dabei benutzt, ins Grundwasser gelangen und verheerende Schäden anrichten können. Deswegen wird das Fracking von zahlreichen Bürgerinitiativen massiv kritisiert; in Frankreich ist es verboten. In den Vereinigten Staaten dagegen wird es so stark vorangetrieben, dass Experten das Land schon seit längerer Zeit als künftige Nummer eins unter den globalen Öl- und Gasproduzenten sehen. Die US-Behörde Energy Information Administration (EIA) geht in ihren jüngsten Schätzungen davon aus, dass die US-Ölförderung dieses Jahr um 900.000 auf 7,3 Millionen Barrel Öl pro Tag steigen und 2014 fast um ein Viertel größer ausfallen werde als noch 2012; damit würden sich die USA der Fördermenge der aktuellen Nummer eins weltweit, nämlich Saudi-Arabiens, weiter annähern und das Land spätestens 2020 überholen können.[1] Die Schätzungen korrigieren frühere optimistische Annahmen aufgrund der rasanten Entwicklung der Branche ein weiteres Mal nach oben.

Die Reindustrialisierung Amerikas

Die Konsequenzen des Öl- und Gasbooms für die Vereinigten Staaten sind enorm. Nicht nur die Energiebranche selbst befindet sich im Aufschwung. Die steigende Produktion hat etwa den Preis für Gas erheblich verringert; die Stromkosten für die Industrie liegen mittlerweile in den USA um rund 40 Prozent unter denjenigen in Deutschland. Dies begünstigt die Ansiedlung neuer Industrie; ein Anstieg der Wirtschaftsleistung um vier Prozent bis zum Jahr 2020 gilt als durchaus möglich - und schon heute sollen mehrere hunderttausend neue Arbeitsplätze zu verzeichnen sein.[2] Immer häufiger ist von einer "Reindustrialisierung Amerikas" die Rede. Abgesehen davon, dass die CO2-Emissionen durch die steigende Umstellung auf Gas in vier Jahren um neun Prozent fielen - mehr als in der EU [3] -, könne das Land womöglich zum Nettoexporteur von Energie werden und sein dramatisches Außenhandelsdefizit senken, heißt es hoffnungsvoll. Der Anteil des importierten Öls am gesamten Verbrauch ist inzwischen von 60 Prozent im Jahr 2005 auf 45 Prozent 2011 gesunken. Während es von Experten als unwahrscheinlich eingestuft wird, dass die Vereinigten Staaten beim Öl gänzlich von Einfuhren unabhängig werden könnten, wird dies beim Gas durchaus für möglich gehalten.

Eine grundlegende Verschiebung

Seit geraumer Zeit diskutieren Experten über die weltpolitischen Folgen der Entwicklung in den USA. In der Bundesrepublik ist die öffentliche Debatte erst Mitte Januar durch ein an die Presse lanciertes Papier der Auslandsspionage eingeleitet worden. In dem BND-Papier heißt es, es sei vor allem im Mittleren Osten mit Umbrüchen zu rechnen: Würden die Vereinigten Staaten vom Import mittelöstlicher Rohstoffe unabhängig, dann müssten sie dort nicht mehr so stark Einfluss nehmen - und könnten unter anderem ihre Truppen am Persischen Golf reduzieren.[4] Diese Entwicklung ist nicht neu. Washington bemüht sich bereits seit Jahren, seine Abhängigkeit vom Mittleren Osten zu verringern - beispielsweise durch die Ausweitung seiner Erdölimporte aus Westafrika und Kanada. Hintergrund ist einerseits, dass die Vereinigten Staaten den Schwerpunkt ihrer Einflusspolitik vom Atlantik zum Pazifik verschieben (german-foreign-policy.com berichtete [5]) und deshalb nicht im bisherigen Umfang im Mittleren Osten präsent bleiben können. Andererseits gewinnt China dort in spürbarem Maß an Einfluss. Die Rechte zur Ausbeutung des Erdölfeldes Rumaila im Südirak etwa, des drittgrößten Erdölfeldes der Welt, gingen im Jahr 2009 nicht alleine an den Westen - vielmehr musste British Petroleum (BP) sie mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) teilen. Auch in Saudi-Arabien stellten Beobachter schon vor Jahren einen Einflussgewinn Chinas fest. Als das Land im Jahr 2009 erstmals mehr Öl in die Volksrepublik lieferte als in die Vereinigten Staaten, da konstatierte eine führende US-amerikanische Zeitung eine "grundlegende Verschiebung in der Geopolitik des Öls".[6]

China wird geschwächt

Das BND-Papier stuft den Einflussverlust des Westens in Mittelost interessanterweise als Nachteil für China ein: Die Volksrepublik gerate in eine starke Abhängigkeit von mittelöstlichen Rohstoffen, habe jedoch noch nicht die militärischen Kapazitäten, die Transportwege zu schützen, heißt es. Die "Verwundbarkeit chinesischer Energieversorgungsrouten" werde daher an Bedeutung gewinnen; sie könne den Handlungsspielraum der Vereinigten Staaten erheblich vergrößern.[7] Der Hinweis wirft ein Schlaglicht auf die westliche Suche nach strategischen Schwächen des Rivalen China sowie auf den Stellenwert des Einflusskampfes in Südostasien. Chinesische Öltanker müssen gegenwärtig die Straße von Malakka oder andere Meerengen zwischen den Inseln Indonesiens passieren, die relativ leicht zu sperren sind; daher ist die Frage, wer in Jakarta über die stärkeren Positionen verfügt, von großer Bedeutung.[8] Beijing ist, um sich abzusichern, schon lange auf der Suche nach Alternativen und baut deswegen Pipelines, die aus dem Indischen Ozean ohne den Umweg durch die Meerengen Indonesiens nach China führen; sie verlaufen durch Myanmar. Die zunehmende Bedeutung, die der außenpolitischen Orientierung der myanmarischen Regierung beigemessen wird [9], leitet sich auch hieraus ab.

Russland wird ausgebootet

Dem BND-Papier zufolge wird der Öl- und Gasboom in den USA auch Russland auf lange Sicht schaden. Weil die Vereinigten Staaten ihre Erdgaseinfuhren deutlich reduzieren könnten, sei immer mehr billiges Flüssiggas etwa aus Qatar auf dem Weltmarkt verfügbar, das in Europa einen spürbar steigenden Absatz finde und russisches Erdgas zu verdrängen drohe. Könnten die USA künftig ihre Gasvorkommen ebenfalls in größerem Ausmaß exportieren, dann gerate Moskau noch stärker unter Druck. Wie der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, urteilt, könne man damit rechnen, dass der äußere Druck "erhebliche innerrussische Spannungen" hervorrufe.[10] Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn - wie es transatlantische Kreise insinuieren - die Bundesrepublik in Zukunft ebenfalls deutlich weniger Energieträger aus Russland einführen würde, etwa wenn sie beispielsweise Zugriff auf Ressourcen in Ländern erhielte, aus denen heute die USA Rohstoffe importieren, auf die sie aber künftig womöglich wegen ihres eigenen Öl- und Gasbooms verzichten können. Denkbar wäre ein Zugriff auf die Erdölstaaten Westafrikas. In der Tat sucht die Bundesrepublik seit geraumer Zeit dort Einfluss auf die Rohstoffbranche zu bekommen (german-foreign-policy.com berichtete [11]).

Ungewisse Zukunft

Die Strategieplanungen, die an den Fortschritt des US-amerikanischen Frackings anknüpfen, sind keineswegs unumstritten. So heißt es etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die Prognosen gingen davon aus, dass es nicht zu Rückschlägen oder gar zu schlimmen Unfällen beim Fracking komme; dies sei jedoch völlig ungewiss.[12] Auch in den USA selbst sind durchaus Zweifel an den hochtrabenden Voraussagen zu hören. Die Debatte ist allerdings geeignet, den transatlantischen Beziehungen durch PR für die USA wieder Auftrieb zu verleihen. An diesem Freitag ist ihr eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz gewidmet.


Anmerkungen:
[1] USA entkoppeln sich von Ölimporten; www.handelsblatt.com 09.01.2013
[2] Energiewende im Schiefer; www.tagesspiegel.de 28.01.2013
[3] Michael Levi: Think Again: The American Energy Boom, Foreign Policy July/August 2012
[4] Geheime BND-Studie: Amerikas Öl verändert die Welt; www.spiegel.de 17.01.2013
[5] s. dazu Das pazifische Jahrhundert; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58203 und
Die Pax Pacifica (I); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58524
[6] China's Growth Shifts the Geopolitics of Oil; www.nytimes.com 19.03.2010
[7] Geheime BND-Studie: Amerikas Öl verändert die Welt; www.spiegel.de 17.01.2013
[8] s. dazu Offensiven gegen China (III), http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58078
Die transatlantische Zukunft, http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58272
und In Chinas Einflusszone (I); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58315
[9] s. dazu Das pazifische Jahrhundert (II), http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58205
In Chinas Einflusszone (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58317 und
Mörderische Partner; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58452
[10] Wankt die Machtbalance? www.n-tv.de 22.01.2013
[11] s. dazu Erdgas aus Afrika; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57898
Rohstoffkonkurrenz in Afrika; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58108
Rohstoffpartner und Energiepartner (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58312
[12] Wankt die Machtbalance? www.n-tv.de 22.01.2013

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2013