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STEUER/1179: Der Staat in der Steuerfalle (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2010

Der Staat in der Steuerfalle

Von Christian Marquart


Das Thema sorgt immer wieder für Aufregung: International agierende Konzerne schleusen Gewinne, die sie mithilfe der inländischen Infrastruktur erwirtschaftet haben, über Zinszahlungen am deutschen Fiskus vorbei ins Ausland. Das zu verhindern ist aber nicht nur in rechtlicher Hinsicht problematisch. Auch aus ökonomischer Sicht kann der unüberlegte Steuerzugriff auf Zinsen dem Staat mehr schaden als nutzen.


Möglichkeiten, legal Steuern zu vermeiden, finden sich für Unternehmen im deutschen Steuerrecht zuhauf. Als Beispiel in der öffentlichen Diskussion dient gerne das deutsche Tochterunternehmen eines großen schwedischen Möbelhändlers. Dieses erwirtschaftete im Jahr 2003 vor Lizenzgebühren und Schuldzinsen zwar einen Gewinn von mehr als 300 Millionen Euro. Dennoch hat die Tochter in Deutschland nur 50 Millionen Euro an Steuern gezahlt. Dem Unternehmen ist es gelungen, einen Großteil des Gewinns ins Ausland zu transferieren, wo dieser einer deutlich niedrigeren Besteuerung unterliegt. Damit senkte der Konzern seine Steuerlast drastisch, und zwar zulasten des deutschen Fiskus. Es verwundert nicht, dass die Politik solche legalen "Steuertricks" verhindern möchte.

Steuern können Unternehmen nicht zuletzt deshalb sparen, weil der Kapitalbedarf für Rohstoffe, Maschinen, Gebäude, Löhne und andere Produktionsfaktoren prinzipiell auf zwei Arten gedeckt werden kann: entweder durch Eigen- oder Fremdkapital. Eigenkapital akquiriert ein Unternehmen, indem es etwa Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktien ausgibt. Ein Kapitalgeber, der die Aktien erwirbt, stellt die Mittel auf unbestimmte Zeit zur Verfügung und nimmt damit auch an den Chancen und Risiken des Betriebs teil: In guten Zeiten macht er Gewinn, in schlechten Verlust.

Bei Fremdkapital handelt es sich hingegen im einfachsten Fall um gewöhnliche Kredite - Mittel also, auf die das Unternehmen auch in Verlustjahren Zinsen entrichten und die es innerhalb eines vertraglich festgelegten Zeitraums zurückzahlen muss. Erst wenn das Eigenkapital aufgezehrt ist, muss auch das Fremdkapital die Verluste tragen. Dann muss ein Gläubiger einen Kredit eventuell stunden oder im Falle der Insolvenz sogar auf einen Teil der Rückzahlung, im schlimmsten Fall sogar auf die gesamte Tilgung, verzichten.

In der Regel macht das nationale Recht den Unternehmenseignern kaum Vorgaben, auf welche Weise sie ihr Unternehmen mit Finanzmitteln ausstatten. Solange Unternehmen keine rechtlichen Anforderungen berücksichtigen müssen, gehen sie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien vor.

Einer dieser Faktoren, dem insbesondere in einem multinationalen Konzern entscheidende Bedeutung zukommt, ist die unterschiedliche steuerliche Belastung von Eigen- und Fremdkapital in verschiedenen Ländern. Nimmt eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft Eigenkapital auf, muss sie die Rendite, die sie mit dem Kapital erzielt, voll versteuern. Zwar muss auch der Kapitalgeber auf die Erträge im Regelfall noch Steuern zahlen, wenn der Gewinn ausgeschüttet wird. Den größten Teil der steuerlichen Last trägt jedoch das Unternehmen.

Ganz anders sieht es aus, wenn das Unternehmen seinen Finanzbedarf über Fremdkapital wie etwa Kredite deckt. In diesem Fall zahlt das Unternehmen nur auf jenen Teil der Rendite Steuern, den es nicht als Zins an den Gläubiger abführen muss. Aus einem einfachen Grund: Die Zinszahlungen schmälern die steuerliche Bemessungsgrundlage, also das Einkommen, anhand dessen die Steuerschuld ermittelt wird. Dafür muss aber der Kapitalgeber die vereinnahmten Zinsen voll versteuern.

Auch wenn der Staat Eigen- und Fremdfinanzierung steuerlich unterschiedlich behandelt, nimmt er in derselben Größenordnung Steuern ein, solange er die Eigen- und Fremdfinanzierung unterm Strich gleich hoch belastet. Von Land zu Land unterscheiden sich die Abgaben für die beiden Finanzierungsformen jedoch. Genau aus diesem Grund ergibt sich für multinationale Konzerne die Möglichkeit, Steuern zu sparen. So kann es etwa steuerlich vorteilhaft sein, wenn eine in einem Niedrigsteuerland ansässige Konzernmutter ihr Eigenkapital als Kredit an ihre höher besteuerte Tochtergesellschaft gibt.

Das Problem für den Fiskus liegt auf der Hand: Nimmt eine Tochtergesellschaft exzessiv Fremdkapital im Ausland auf, schmilzt die inländische Steuerbasis, also der zu versteuernde Gewinn. Deutschland zählt traditionell zu den Hochsteuerländern, sodass es sich für die deutschen Konzerneinheiten lohnt, einen möglichst großen Teil des Gewinns über Kreditzinsen ins Ausland zu überweisen. Im Idealfall muss die ausländische Konzerneinheit dafür deutlich niedrigere Steuern zahlen. Für den Staat ist das Problem deshalb so gravierend, weil er auf die Gewinne, die ein Unternehmen ins Ausland schafft, überhaupt nicht mehr zugreifen kann. Damit ist der entsprechende Teil der Steuerbasis für den Fiskus vollständig verloren.

Natürlich ist es legitim, wenn ein Hochsteuerland wie Deutschland verhindern will, dass ein Unternehmen Zinsen im Inland steuerlich geltend macht und seine Reingewinne ins Ausland transferiert. Schließlich stellt der Staat die Infrastruktur für ein Unternehmen und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für dessen wirtschaftlichen Erfolg. Verringert sich die Steuerbasis, hat der Staat keinerlei Anreiz und darüber hinaus auch nicht die Mittel, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten oder sogar noch weiter auszubauen.

Wie kann der Staat aber sinnvoll verhindern, dass Unternehmen ihre Gewinne in Form von Zinszahlungen ins Ausland verlagern? Zunächst könnte man daran denken, Eigen- und Fremdkapital künftig gleich zu behandeln. Dann könnten Unternehmen Zinsen genau wie Eigenkapitalvergütungen nicht mehr vom Gewinn abziehen, den sie versteuern müssen. Das stellt allerdings einen tiefen Einschnitt in die geltende Steuersystematik dar. Wichtiger noch: Solange ein solches Vorgehen international nicht abgestimmt wird, steht zu befürchten, dass ein Alleingang Deutschlands zu massiven Standortnachteilen führt, weil im Inland ansässige Unternehmen deutlich höhere Kosten tragen müssten. Eine derartige Reform stellt zumindest im Moment keine sinnvolle Alternative dar.

Ein weiterer Ansatz wäre eine Quellensteuer, die greift, wenn die Zinsen ins Ausland abfließen. In diesem Fall muss zwar das Unternehmen die Steuern abführen, eigentlich schuldet aber der ausländische Zinsempfänger dem Fiskus die Steuern. Das würde genauso funktionieren wie die Abgeltungssteuer, welche die Banken für ihre Anleger an den Fiskus abführen. Diesen Weg hat sich der deutsche Gesetzgeber allerdings durch Doppelbesteuerungsabkommen und eine Europäische Richtlinie aus dem Jahr 2003 selbst aus der Hand genommen.

Damit bleibt letztlich nur eine Option: In Fällen, die der Staat als missbräuchlich empfindet, muss er die Möglichkeit des Zinsabzugs einschränken. Die exzessive Fremdfinanzierung verliert so an Attraktivität. Doch einen Mechanismus zu entwickeln, mit dem sich der Steuerabzug von Zinsen sinnvoll beschränken lässt, ist schwieriger, als man gemeinhin vermuten würde. Das liegt vor allem an den Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber berücksichtigen muss.

So gibt es in der betriebswirtschaftlichen Forschung keine allgemeingültigen Erkenntnisse zum idealen Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass Unternehmen in einer Einzelfallentscheidung verschiedene Faktoren berücksichtigen müssen, wenn sie über die Art ihrer Finanzierung entscheiden. Dabei sind steuerliche Kriterien fast nie allein ausschlaggebend. So kann die Finanzierung eines Unternehmens durch eine Kapitalerhöhung (etwa durch die Ausgabe neuer Aktien) deshalb ausgeschlossen sein, weil ein entsprechender Beschluss keine Mehrheit bei den bisherigen Aktionären findet. In diesem Fall bleibt lediglich die Möglichkeit der Kreditfinanzierung.

Eindeutig und gleichzeitig praktikabel festzustellen, wann ein Unternehmen seine Finanzierung nur nach steuerlichen Kriterien gestaltet, ist also schon unter diesem Gesichtspunkt kaum möglich. Zudem können die ohnehin schon überlasteten Finanzämter kaum in jedem Einzelfall die Finanzierungsbeziehungen eines Unternehmens prüfen. Will der Gesetzgeber auf die ins Ausland gezahlten Zinsen zugreifen, muss er letztlich eine pauschalierende Regelung finden, mit der sich der exzessive Zinsabzug im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Kreditgeschäften unterbinden lässt.

Allerdings erfordern die europäischen Grundfreiheiten, namentlich die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit, dass inländische und grenzüberschreitende Zinszahlungen gleich behandelt werden. Ein Unternehmen muss diese also in gleicher Höhe steuerlich geltend machen können - egal ob sie im In- oder ins Ausland gezahlt werden. Eine Ausnahme von diesem strengen Diskriminierungsverbot macht der Europäische Gerichtshof bisher nur dann, wenn die Verwaltung anhand sämtlicher relevanter Umstände des Einzelfalls nachweist, dass hinter einer bestimmten Finanzierungsbeziehung ausschließlich steuerliche Motive stecken. Ein Unterfangen, das jedoch sowohl in der Theorie als auch in der Praxis aus den genannten Gründen nahezu unmöglich erscheint.

Der Gesetzgeber ist damit faktisch gezwungen, den Zinsabzug auch bei rein inländischen Finanzierungen zu begrenzen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Mit der Sanktionierung von Unternehmen, die nur im Inland tätig sind und dort auch ihre Kredite aufgenommen haben, schießt der Gesetzgeber allerdings notgedrungen weit über sein eigentliches Ziel hinaus. Denn in reinen Inlandsfällen besteht überhaupt nicht die Gefahr, dass ein Unternehmen Besteuerungssubstrat ins Ausland verlagert. Trotzdem wird die Kreditaufnahme in diesen Fällen beeinträchtigt, sodass für Unternehmen möglicherweise auch ökonomisch sinnvolle Kredite - etwa im Zusammenhang mit Sanierungen - nicht in Betracht kommen. Dem betroffenen Unternehmen bleibt damit im schlimmsten Fall nur der Weg in die Insolvenz.

Eine solche Situation ist nicht nur aus ökonomischer Sicht fatal, sie birgt in Deutschland auch verfassungsrechtliches Konfliktpotenzial. Aus der Perspektive des Verfassungsrechts ist es alles andere als unproblematisch, wenn Unternehmen ihre Zinsaufwendungen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen abziehen können. Denn nach der geltenden Steuersystematik sind Zinsaufwendungen prinzipiell steuermindernd zu berücksichtigen. An diese Grundentscheidung ist der Gesetzgeber gebunden, Abweichungen hiervon stehen nicht in seinem Belieben, sondern bedürfen einer besonderen Rechtfertigung.

Zwar agiert das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle weniger streng als der Europäische Gerichtshof und lässt auch pauschalierende Regelungen zu. Dennoch muss der Gesetzgeber darlegen können, dass sein Modell, nach dem er den Zinsabzug beschränkt, in den meisten Fällen solche Finanzierungen trifft, die steuerlich motiviert sind. Dieser Nachweis wird dem Gesetzgeber jedoch vor allem in Inlandsfällen kaum gelingen: Steuerliche Aspekte spielen hier allenfalls eine untergeordnete Rolle, da die unterschiedlichen Finanzierungsformen im Regelfall steuerlich annähernd gleich belastet werden. Damit droht einer derartigen Regelung das Verdikt der Verfassungswidrigkeit - vor allem dann, wenn der unbeschränkte Zinsabzug faktisch zur Ausnahme wird.

Will der Fiskus den Zinsabzug beschränken, hat er die Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Trotzdem ist der deutsche Gesetzgeber hiervor nicht zurückgeschreckt und hat zum Schutz des Steuersubstrats mit der Unternehmenssteuerreform 2008 die sogenannte Zinsschranke eingeführt. Diese stellt eine deutliche Verschärfung gegenüber der Vorgängerregelung dar, insbesondere weil sie den Zinsabzug auch bei normalen Bankdarlehen begrenzt.

Die Zinsschranke richtet sich nach dem Jahresrohgewinn, also dem Gewinn vor Abzug von Steuern, Zinsen und Abschreibungen auf die Vermögensgegenstände des Unternehmens. Je höher der Jahresrohgewinn, desto mehr Zinsen darf ein Unternehmen von seiner steuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen. Der Zinsabzug steht vollständig offen, soweit den Zinsaufwendungen entsprechende Zinserträge gegenüberstehen. Damit werden besonders Banken von der Abzugsbeschränkung ausgenommen, deren Kreditaufnahme und -weitergabe nicht beeinträchtigt werden soll. In voller Höhe ist der Zinsabzug zudem möglich, wenn er ein bestimmtes Volumen nicht übersteigt, das Unternehmen nicht zu einem Konzern gehört oder wenn die inländischen Konzernunternehmen proportional nicht höher kreditfinanziert sind als der Konzern insgesamt.

Mit der Zinsschranke möchte der Gesetzgeber vor allem erreichen, dass internationale Konzerne ihre Finanzierungslasten fair über den Konzern hinweg verteilen und Zinsen nicht nur in Deutschland geltend machen. Zudem wird für Konzerne ein Anreiz geschaffen, Gewinne ins Inland zu verlagern, da sie dann in größerem Umfang Kreditzinsen geltend machen können. Diese Regelung belastet jedoch inländische Unternehmen ausgerechnet dann zusätzlich, wenn der Jahresrohgewinn in Krisenzeiten einbricht. Daher wurde jüngst ein Mechanismus eingeführt, der eine Glättung des Jahresrohgewinns über mehrere Jahre ermöglicht.

Trotz ihrer hohen Komplexität ist die Zinsschranke nicht geeignet, steuerlich motivierte Finanzierungen auch nur annähernd zu identifizieren. So gibt das Verhältnis von Jahresrohgewinn und Zinsaufwendungen keinen Aufschluss darüber, ob und inwieweit hinter den Kreditgeschäften des Unternehmens steuerliche Überlegungen stecken. Insbesondere können hochprofitable Konzerne ihre Unternehmen mit entsprechend viel Fremdkapital ausstatten, während ertragsschwache Unternehmen unter Umständen steuerlich sanktioniert werden, obwohl sie adäquat eigenfinanziert sind. Der grundsätzlich überzeugende Vergleich der Eigenkapitalquote scheitert in der Praxis schon daran, dass ein inländisches Unternehmen die Finanzierungsstruktur seines gesamten, oft über die ganze Welt verzweigten Konzerns nicht so lückenlos nachweisen kann, wie es die Finanzverwaltung fordert.

Angesichts dieses unbefriedigenden Ergebnisses stellt sich die Frage, ob andere Jurisdiktionen möglicherweise überzeugendere Lösungen für die Problematik gefunden haben. Manche Staaten (wie auch Deutschland vor Einführung der Zinsschranke) setzen beim Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital eines Unternehmens an, um den Zinsabzug zu regeln. Sie gehen also davon aus, dass es ein allgemein übliches Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital gibt. In einem anderen Konzept werden die Vermögensgegenstände eines Unternehmens herangezogen: Je höher der kumulierte Wert der Vermögensgegenstände, desto höher der mögliche Zinsabzug.

Auch diese Ansätze liefern in der Praxis aber willkürliche Ergebnisse. Ein richtiges Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital gibt es nicht - die durchschnittlichen Eigenkapitalquoten variieren teils stark von Branche zu Branche; und sogar innerhalb der Branchen können sich Unterschiede ergeben. Ebenso wenig lässt sich anhand des Werts der Vermögensgüter völlig eindeutig feststellen, ob ein Unternehmen vorrangig aus steuerlichen oder doch aus anderen Gründen fremdfinanziert wurde.

Alle bisher in der Praxis verwirklichten Ansätze sind im Ergebnis ungeeignet, steuerlich motivierte Finanzierung auch nur annähernd zu identifizieren. Dieses Defizit lässt sich auch dann nicht wirklich beseitigen, wenn man die verschiedenen Herangehensweisen miteinander kombiniert. Die unternehmerische Finanzierungsentscheidung ist schlicht zu facettenreich, als dass eine in der Praxis handhabbare Vorschrift diese überzeugend abbilden könnte.

Schränkt also der Gesetzgeber den Zinsabzug für Unternehmen in pauschalierender Art und Weise ein, so wird er damit immer auch eine beträchtliche Zahl von Unternehmen treffen, die sich nicht oder nicht in erster Linie aus steuerlichen Gründen durch Fremdkapital fremdfinanzieren. Somit verhält sich der Steuergesetzgeber notgedrungen wie ein Elefant im Porzellanladen, wenn er sein berechtigtes Interesse wahrnehmen will, im Inland erwirtschaftete Erträge zu besteuern.

Vor diesem Hintergrund muss sich der Gesetzgeber umso deutlicher bewusst sein, dass er eine wirtschaftspolitische Entscheidung trifft, wenn er den Zinsabzug beschränkt. Es geht nicht nur darum, Steuereinnahmen zu sichern, sondern auch um die Standortattraktivität Deutschlands. So gelingt es Unternehmen zwar, durch eine gezielte Gestaltung ihrer Finanzierung Gewinne am deutschen Fiskus vorbeizuschleusen; die niedrigere effektive Steuerbelastung für Unternehmen kann sich aber günstig auf den Standort Deutschland auswirken. Schließlich setzt die Möglichkeit, Steuern zu sparen, einen Anreiz, hier zu investieren.

Wie attraktiv ein Land als Standort ist, hängt nicht nur von den Nominalsteuersätzen ab, sondern auch davon, wie hoch Investitionen insgesamt besteuert werden. Diese effektive Steuerlast erhöht sich, wenn Zinsen nicht mehr länger als Betriebskosten vom Gewinn abgezogen werden dürfen. Je rücksichtsloser der Gesetzgeber den Zinsabzug zur Sicherung der Steuerbasis einschränkt, umso größer sind mithin die volkswirtschaftlichen Kollateralschäden und umso größer ist auch die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht eingreift.

Daher scheint es zum einen sinnvoll, dass der Gesetzgeber berücksichtigt, wie restriktiv andere Länder bei der Begrenzung des Zinsabzugs vorgehen. Die eigenen Regeln sollte er dann so gestalten, dass das Land als Standort im internationalen Vergleich möglichst wettbewerbsfähig bleibt. Zum anderen sollte er einen Ansatz wählen, der mit positiven Anreizen für den Standort Deutschland verbunden ist.

Berücksichtigt man alle erwähnten Faktoren, scheint es noch am sinnvollsten, die Abzugsfähigkeit von Zinsaufwand davon abhängig zu machen, ob das zugeflossene Fremdkapital in Produktivvermögen - also etwa Sachanlagen, Vorräte, Grund und Boden - investiert wird. Neben den zu erwartenden steuerpflichtigen Erträgen aus der Investition gibt es in diesem Fall wohl zusätzlich positive Effekte für den Arbeitsmarkt. Es ist zudem nicht unwahrscheinlich, dass die stringente Umsetzung einer solchen Regelung auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen kann. Vor diesem Hintergrund wäre es zu wünschen, dass der deutsche Gesetzgeber sein aktuelles Konzept zur Beschränkung des Zinsabzugs noch einmal überdenkt.


Der Autor

Christian Marquart, Jahrgang 1983, arbeitet seit Anfang 2009 am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. Im Rahmen seiner Promotion bei Direktor Wolfgang Schön, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, beschäftigt er sich mit der Problematik der Gewinnverlagerung durch die gezielte Gestaltung der Kapitalstruktur von Unternehmen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2010, Seite 10-15
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010