Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

UNTERNEHMEN/2073: Stichwort - Insolvenz - Ende oder Neuanfang? (spw)


spw - Ausgabe 4/2009 - Heft 172
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Stichwort zur Wirtschaftspolitik:
Insolvenz - Ende oder Neuanfang?

Von Arne Heise


Nachdem zunächst die jüngste Wirtschaftsentwicklung weltweit mit den Begriffen 'Rezession' und 'Krise' noch sehr pauschal umschrieben wurde, bekommt sie langsam ein Gesicht: Immer mehr, teilweise spektakuläre drohende Firmenpleiten bestimmen die Nachrichten: Opel, ARCANDOR, Schaeffler ....

Tatsächlich gehören Unternehmensinsolvenzen zum wirtschaftlichen Strukturwandel. In den letzten 10 Jahren ist die Anzahl der Unternehmenskonkurse nie unter 26.000 pro Jahr gefallen - wobei der Großteil davon auf Kleinstunternehmen mit weniger als 5 MitarbeiterInnen entfällt. Diesen Insolvenzen steht allerdings eine noch größere Anzahl von Neugründungen (bzw.Saldo zwischen An- und Abmeldungen) gegenüber (Tabelle).


Unternehmensinsolvenzanträge und -neugründungen in Deutschland, 1999-2008 
 (in Tausend)


A
B
1999

26.5
74.0
2000

27.9
92.0
2001

32.4
84.0
2002

37.6
77.0
2003

39.5
166.0
2004

39.3
282.9
2005

36.8
215.6
2006

34.0
168.5
2007

29.1
136.0
2008*
29.8
104.5
2009*
35.0
.

A: Insolvenzanträge; B: Neugründungen

Anmerkungen:
* geschätzt bzw. vorläufig
** Differenz zwischen Neuanmeldungen und Löschungen im Handels- bzw. Gewerberegister
Quelle: Creditreform; Insolvenzen, Neugründungen, Löschungen. Jahr 2008, Neuss 2008


Sowohl die Unternehmensinsolvenzen als auch die Neugründungen unterliegen verständlicherweise ausgeprägten konjunkturellen Schwankungen: der Anstieg der Insolvenzen in 2008 (+2,2 Prozent) und 2009 (+17,5 Prozent) liegt allerdings noch weit unter der europäischen Entwicklung, wo die Anzahl der Pleiten teilweise um über 100 Prozent empor geschnellt ist, wie z.B. in Irland (+120 Prozent) oder Spanien (+138 Prozent). Trotz der prominenten Insolvenzfälle der jüngeren Vergangenheit muss man also sagen, dass die Pleitewelle in Deutschland noch nicht im vollen Ausmaß angekommen ist und sicher noch in 2010 ausgeprägt weiterrollen wird.

Besondere Aufmerksamkeit erregen die Unternehmensinsolvenzen einerseits, weil damit teilweise Ikonen des deutschen Wirtschaftslebens und der Wirtschaftsgeschichte - wie im Falle Opel und Karstadt - betroffen sind, vor allem aber, weil tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen können: So wird geschätzt, dass 2008 etwa 450.000 Arbeitsplätze von Insolvenzverfahren betroffen waren, während durch Unternehmensneugründungen nur etwa 300.000 neue Arbeitsplätze in 2008 entstanden sind.

Ob die von Insolvenzverfahren betroffenen Arbeitsplätze tatsächlich verloren gehen, hängt allerdings vom Verlauf des Verfahrens ab: Seit der Reform des Insolvenzrechts 1999 wird verstärkt darauf gesetzt, dass insolvente Unternehmen nicht einfach ihre wirtschaftliche Aktivität einstellen, sondern mit neuem Konzept weiterhin eine Zukunft haben können.

1999 ist nur rund ¼ aller Unternehmen, die Insolvenz anmeldeten, überhaupt in ein geregeltes Insolvenzverfahren gekommen, ¾ aller Insolvenzen führte zur sofortigen Einstellung der wirtschaftlichen Aktivität. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Insolvenz anmeldenden Unternehmen nicht einmal die Kosten des Insolvenzverfahrens tragen können. Seit der Rechtsreform, die vor allem eine Stundung dieser Verfahrenskosten beinhaltete, ist der Anteil der Unternehmen, die in ein Insolvenzverfahren kommen, auf ¾ gestiegen - allerdings konnte wiederum nur für etwa ¼ dieser Unternehmen eine mittelfristige Weiterführung erreicht werden.

Ein Unternehmen ist insolvent, wenn es nicht mehr in der Lage ist, Zahlungen zu einem vorgesehenen Zeitpunkt zu leisten, weil entweder die eigenen Barmittel fehlen oder entsprechende Liquiditätskredite nicht mehr verfügbar gemacht werden. Eine derartige Situation kann leicht bei fehlerhaftem Liquiditätsmanagement oder unvorhergesehenem Mangel an Zahlungsbereitschaft der Kundschaft eintreten. Gerade kleine Personengesellschaften geraten so häufig in Liquiditätsengpässe. Vor allem wenn die mittel- bis langfristige Solvenz des Unternehmens - also die Fähigkeit, mehr Einnahmen als Ausgaben zu generieren - gesichert erscheint, werden Liquiditätsprobleme gewöhnlich durch die Gläubiger gelöst - in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist der 'Fall Borgward' hingegen ein prominentes Gegenbeispiel. 1961 ging der Bremer Autobauer in Konkurs, weil ihm Liquidität fehlte, die weder Banken noch der damalige Bremer Senat in Form einer Bürgschaft sichern wollte. Bei der Liquidierung der Vermögenswerte des Unternehmens wurden dann alle Gläubiger zu 100 Prozent befriedigt, d.h. das Vermögen überstieg die Schulden des Unternehmens. Bis heute ist umstritten, ob nicht durch eine bessere Unternehmensstrategie (Straffung der Modelpalette, Konzentration auf das Kerngeschäft) das Überleben des Unternehmens und vieler Arbeitsplätze hätten gesichert werden können.

Genau darum geht es in einem geregelten Insolvenzverfahren: Der Konkursverwalter soll - entlastet von den laufenden Personalkosten (die bis zu 3 Monate die Arbeitsagentur übernimmt) und ohne Furcht vor Zwangsmaßnahmen durch einzelne Gläubiger - überprüfen, ob mittel- bis langfristig eine profitable Weiterführung des Unternehmens gewährleistet werden kann. Die Insolvenz ist dann durchaus als 'Neuanfang' zu werten, weil im Insolvenzverfahren Veränderungen (z.B. Verzicht auf Forderungen durch die Gläubiger, Unternehmensstrategiewechsel) vorgenommen werden können, die andernfalls nicht machbar gewesen wären und vielleicht zumindest den schleichenden 'Tod des Unternehmens' bedeutet hätten. Die Unsicherheiten liegen allerdings gleichermaßen auf der Hand: Die Tragfähigkeit einer neuen Strategie ist ebenso ungewiss wie die die Bereitschaft der Gläubiger, auf die Liquidation des Unternehmens zu verzichten und gar noch weitere Finanzmittel in das Unternehmen zu stecken. Dies gilt gleichermaßen natürlich auch für Bürgschaften der öffentlichen Hand, die einerseits an ein tragfähiges Konzept, die Zustimmung der Gläubiger, das weitere Engagement der Eigentümer und eine (versteckte) Teilhabe des Staates gebunden sein müsste. Da im Insolvenzverfahren die Gläubiger eine besonders starke Stellung erhalten, wäre eine Einigung auf ein tragfähiges Unternehmenskonzept vor Insolvenzbeantragung - gegebenenfalls auch mit Hilfe staatlicher Bürgschaften - dem Konkurs letztlich aber immer vorzuziehen.

Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2009, Heft 172, Seite 49-50
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de
Redaktionsadresse:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin
Telefon: 030/469 22 35, Telefax 030/469 22 37
E-Mail: redaktion@spw.de
Internet: www.spw.de

Die spw erscheint mit 7 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2009