Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


UNTERNEHMEN/2851: Die Kosten des Wirtschaftskriegs (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. März 2023
german-foreign-policy.com

Die Kosten des Wirtschaftskriegs

Wirtschaftskrieg gegen Russland führt zur ersten Dauerstilllegung einer großen deutschen Industrieanlage. Ukraine-Krieg und Wirtschaftskrieg kosten Deutschland 2023 175 Milliarden Euro.


BERLIN - Der Wirtschaftskrieg gegen Russland führt zur ersten dauerhaften Stilllegung einer großen Industrieanlage in Deutschland. BASF kündigt an, eine seiner zwei Anlagen zur Ammoniakproduktion in Ludwigshafen endgültig außer Betrieb zu nehmen. Hauptursache sind die wegen des Ausstiegs aus russischem Pipelinegas massiv gestiegenen Erdgaskosten. Einige tausend Arbeitsplätze gehen verloren. Die Chemiebranche rechnet mit weiteren Einbrüchen. Bereits zum Jahresende erwirtschaftete ein Viertel der deutschen Chemieunternehmen Verluste; rund zehn Prozent waren dabei, Anlagen endgültig stillzulegen. Auch jenseits der Chemiebranche rechnet die Wirtschaft in diesem Jahr mit erheblichen Schwierigkeiten. Eine Umfrage des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergab, dass sich 30 Prozent aller deutschen Firmen auf mittlere, weitere 30 Prozent auf schwere Beeinträchtigungen ihrer Produktion einstellen. Als eine der Hauptursachen werden die gestiegenen Energiekosten genannt. Insgesamt droht Deutschland laut IW alleine im laufenden Jahr wegen des Ukraine-Kriegs und des westlichen Wirtschaftskriegs ein Wohlstandsverlust von 175 Milliarden Euro.

Aussicht auf Verluste

Die Aussichten für das Jahr 2023 werden in der deutschen Wirtschaft insgesamt als wenig günstig eingestuft. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln unter 2.549 Firmen in allen Bundesländern durchführte.[1] Bereits im vergangenen Jahr gründete das preisbereinigte Wachstum von 1,9 Prozent vor allem auf dem privaten Konsum, der nach der Covid-19-Pandemie erheblichen Nachholbedarf erkennen ließ, allerdings im vierten Quartal 2022 schon wieder schrumpfte. Die Industrie kam im Gesamtjahr 2022 nicht über Stagnation hinaus.[2] Als wichtigste Ursache galten dabei neben fortdauernden Störungen in den Lieferketten vor allem die heftig gestiegenen Energiepreise. Diese werden laut Einschätzung von über 60 Prozent der vom IW befragten Unternehmen auch 2023 zu ernsten Problemen führen, wobei 30 Prozent mit mittleren, 30 Prozent sogar mit schweren Beeinträchtigungen durch hohe Energiepreise oder gar Einschränkungen in der Energieversorgung rechnen. Von Produktionsstörungen gehen insgesamt rund 85 Prozent aller Unternehmen aus; 27 Prozent hoffen, die Ausfälle auf bis zu 5 Prozent begrenzen zu können, 32 Prozent rechnen mit Ausfällen von 5 bis 10, 21 Prozent von 10 bis 20 Prozent.[3]

175 Milliarden Euro

Das IW hat den Wohlstandsverlust, der durch die erwarteten Produktionsstörungen entsteht, in seiner Gesamtsumme zu beziffern versucht. Dazu hat es rein rechnerisch die ökonomische Entwicklung vor dem Beginn von Krieg und Wirtschaftskrieg fortgeschrieben und diese mit der Entwicklung verglichen, wie sie unter den Bedingungen von Krieg und Wirtschaftskrieg erwartet wird. Demnach ist für 2023 mit einem Wohlstandsverlust in Höhe von rund 175 Milliarden Euro zu rechnen - preisbereinigt annähernd 4,5 Prozent des gesamten deutschen Bruttoinlandsproduktes.[4] "Die direkten Wohlstandsverluste lassen sich somit auf 2.000 Euro pro Einwohner beziffern", konstatiert das IW. Dies führt freilich insofern ein wenig in die Irre, als der Wohlstand in der Bundesrepublik nicht auf alle Einwohner gleich verteilt wird. Das IW erinnert daran, dass bereits die Covid-19-Pandemie zu einem ganz erheblichen Wohlstandsverlust geführt hat - 175 Milliarden Euro im Jahr 2020, 125 Milliarden Euro im Jahr 2021. Im vergangenen Jahr verursachten Krieg und Wirtschaftskrieg dann Einbußen von ungefähr 120 Milliarden Euro. In den vier Jahren von 2020 bis 2023 zusammengenommen erreichen die Produktionsausfälle in Deutschland demnach rund 595 Milliarden Euro.

1,65 Billionen US-Dollar

Ebenfalls zu berechnen versucht hat das IW den Wohlstandsverlust, der durch Krieg und Wirtschaftskrieg weltweit entsteht. Dabei geht es laut dem Institut vor allem um Einbußen, die durch die in die Höhe geschnellten Energiepreise verursacht werden; insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern kamen Mangel an ukrainischem Getreide und an russischen Düngemitteln hinzu, mit teils dramatischen Folgen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Die "in vielen Ländern erheblich höheren Erzeugerpreise" hätten "die Verbraucherpreise in die Höhe" getrieben und so "das Versorgungsniveau vor allem in den Entwicklungsländern" belastet, stellt das IW fest. Bei seinen Berechnungen war es bestrebt, etwa die Folgen der vor allem hausgemachten US-Inflation und die Folgen der Covid-19-Lockdowns in China nicht mit einzubeziehen. Für das Jahr 2022 kam es alles in allem auf weltweite Wohlstandsverluste in Höhe von wohl 1,65 Billionen US-Dollar, etwa ein Drittel davon - 550 Milliarden US-Dollar - in Schwellen- und Entwicklungsländern, die mit Krieg und Wirtschaftskrieg primär nichts zu tun haben.[6] Für 2023 schätzt das IW die globalen Wohlstandsverluste auf rund eine Billion US-Dollar, rund zwei Fünftel davon - 400 Milliarden US-Dollar - in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Deutschlands drittgrößte Industriebranche

Die ökonomischen Folgen des Wirtschaftskriegs schlagen sich in Deutschland mittlerweile auch in weitreichenden Entscheidungen auf der Ebene einzelner Unternehmen nieder. Dabei geht es bisher vor allem um Unternehmen der Chemieindustrie. Die Branche, nach Umsatz Deutschlands drittgrößte hinter der Autoindustrie und dem Maschinenbau, steht allein für rund neun Prozent des deutschen Energiekonsums. Vor dem Ukraine-Krieg war sie zudem für rund 15 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs verantwortlich. Von der Steigerung der Kosten für Energie und insbesondere für Erdgas ist sie besonders betroffen; im vergangenen Jahr ging ihre Produktion, die Pharmasparte ausgenommen, um gut zehn Prozent zurück - mit schnell steigender Tendenz: Im Oktober 2022 lag sie bereits um 21 Prozent unter dem Vorjahreswert.[7] Gelegentlich wird darauf verwiesen, dass die Branchenumsätze nominell noch wachsen; dies ergibt sich allerdings ausschließlich aus einem teilweise dramatischen Preisanstieg. Laut Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) hatten zum Jahreswechsel 39 Prozent aller Branchenunternehmen ihre Produktion schon gedrosselt oder dies konkret geplant; 23 Prozent waren dabei, die Produktion ins Ausland zu verlegen, oder hatten dies fest vor; zehn Prozent legten Anlagen dauerhaft still.

Die erste Dauerstilllegung

Besonders gefährdet waren bereits Ende 2022 rund ein Viertel der Chemieunternehmen, von denen berichtet wurde, sie arbeiteten inzwischen "mit Verlust". Betroffen waren dabei laut Branchenangaben vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht, wie große Konzerne, Verluste in Deutschland durch ihr Geschäft in den USA und in China ausgleichen können.[8] Doch auch bei diesen führt der Anstieg der Preise für Energie und vor allem für Erdgas nun zu Konsequenzen. So teilte Ende vergangener Woche der BASF-Konzern mit, er werde am Stammsitz in Ludwigshafen eine der beiden Anlagen zur Ammoniakproduktion dauerhaft stilllegen. Auch die nachgelagerte Düngemittelproduktion wird nicht mehr fortgesetzt. Zur Erklärung heißt es bei BASF, die Erdgaskosten seien trotz einer Senkung des Verbrauchs um rund ein Drittel im Jahr 2022 um zwei Milliarden Euro gestiegen. Damit sei eine wettbewerbsfähige Produktion in Deutschland zumindest in Teilbereichen nicht mehr möglich. Vor allem deshalb wird BASF rund 4.300 seiner insgesamt 111.000 Arbeitsstellen kürzen. Der Konzern weist zudem darauf hin, dass die Chemieproduktion in Europa 2022 um 5,8 Prozent geschrumpft ist, während sie weltweit dank deutlichen Wachstums in China und den USA um 2,2 Prozent zunahm.[9] Die Folgen des westlichen Wirtschaftskrieges gegen Russland beschleunigen damit den industriellen Abstieg Europas.


Anmerkungen:

[1] Hubertus Bardt, Michael Grömling: Energiekosten verschärfen Produktionsstörungen. Befunde der IW-Konjunkturumfrage. IW-Report 9/2023. Köln, 07.02.2023.

[2] Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um 1,9 Prozent gestiegen. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 020 vom 13. Januar 2023.

[3] Hubertus Bardt, Michael Grömling: Energiekosten verschärfen Produktionsstörungen. Befunde der IW-Konjunkturumfrage. IW-Report 9/2023. Köln, 07.02.2023.

[4] Michael Grömling: Wohlstandsverluste: Der Krieg kostet die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr 175 Milliarden Euro. iwkoeln.de 23.01.2023.

[5] S. dazu Die Hungermacher (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9117
und Die Hungermacher (III).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9124

[6] Michael Grömling: Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Weltwirtschaft - IW-Schätzung der Größenordnungen. IW-Kurzbericht 12/2023. Köln, 21.02.2023.

[7] Armin Scheuermann: Trendbericht: Chemieindustrie steht vor schwierigem Jahr 2023. chemietechnik.de 06.02.2023.

[8] Siegfried Hofmann: Jedes vierte Chemieunternehmen macht Verlust - VCI warnt vor dramatischer Entwicklung. handelsblatt.com 15.12.2022.

[9] Bernd Freytag: BASF gibt sich patriotisch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.02.2023.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 3. März 2023

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang