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ETHIK/001: Menschenrecht und Menschenpflicht - Lücken im Prozeß? (Ingolf Bossenz)


Kein Unmensch

von Ingolf Bossenz, 25. August 2012



Dass Breivik für zurechnungsfähig erklärt wurde, ermöglicht den Familien, mit dem Geschehenen abzuschließen«, erklärte Frode Elgesem, Anwalt von Opfern und Hinterbliebenen des Massakers von Oslo und Utøya nach der Urteilsverkündung in Norwegens Hauptstadt.

Wirklich? Können die Betroffenen mit einer derart beispiellos monströsen Tat abschließen, die per Gerichtsurteil zudem jenem Spektrum menschlichen Handelns zugeschlagen wurde, das nicht verwirrtem Wahn, sondern überlegtem Kalkül entspringt? Wohl kaum. Der massenmordende, selbst ernannte Missionar, der ohne Abstriche auf dem Muss seiner entsetzlichen Sendung bestand und besteht, wird die Gesellschaft, nicht nur in Norwegen, weiter beschäftigen (müssen).

Denn Anders Behring Breivik ist kein Unmensch. Das Schlagwort, das immer wieder zur Erklärung von eigentlich Unerklärbarem herhalten soll, ist nicht zuletzt geschöpft aus einem tiefen Unbehagen heraus: zu einer Spezies zu zählen, der auch Individuen angehören, die alles das zerstören wollen, was diese Spezies - formiert und kultiviert zur Gesellschaft - als Sinn und Inhalt ihres Zusammenlebens geschaffen hat.

Für Breivik, der sich nicht als gemeiner Verbrecher, sondern gleichsam als alttestamentarischer Racheengel sieht, ist der Urteilsspruch mit dem Zugeständnis seiner Schuldfähigkeit Teil einer Inszenierung, die er lächelnd genoss. Dass es Menschen gibt, die das beeindruckt, steht außer Frage. Zu wissen, dass diese Menschen unter uns sind, lässt frösteln.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, August 2012
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 25.08.2012
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/236580.kein-unmensch.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2012