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ARBEITSRECHT/084: Kampagne Emmely - Die Klassenjustiz schlägt zurück! (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 28. Juli 2009

Kampagne Emmely: Die Klassenjustiz schlägt zurück!

Von Dr. Rolf Geffken


Es war zu erwarten: Die bundesweite Berichterstattung zum sog. Fall "Emmely" konnte durch die offizielle Rechtsprechung nicht unkommentiert bleiben. Dass Richter und "herrschende Meinung" kein Verständnis für die Solidarität zugunsten der Verkäuferin "Emmely" haben würden, war klar. Immerhin handelte es sich bei dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin gegen die bei "Kaisers" entlassene Kollegin Emme in der Tat um eine seit gut 54 Jahren gefestigte Rechtsprechung handelt. Darin wurde in einem Fall wegen des dringenden Verdachts einer Unterschlagung, in einem anderen Fall wegen einer angeblich feststehenden Unterschlagung geringfügiger Beträge eine Kündigung durch den Arbeitgeber bestätigt. Die Rechtsprechung zur sog. Verdachtskündigung oder auch zu sog. Bagatellstraftaten ist alt. Ihre Vorläufer stammen noch aus der Nazizeit.[1] Diese Rechtsprechung stand bislang auch nicht im Fokus etwa der gewerkschaftlichen Rechtskritik (welche überhaupt seit vielen Jahren nur noch wenige eigenständige Positionen entwickelt hat). Sie war bislang sozusagen "unstrittig". Insofern war die "Enttäuschung" der Richter über das "Unverständnis" der Öffentlichkeit für diese Rechtsprechung durchaus verständlich. Wie kann man sich über etwas erregen, was juristisch nach absolut herrschender Auffassung (jedenfalls bislang) als unanfechtbar galt? Nun kann sich die Justitia schlecht in das Getümmel der Öffentlichkeit begeben. Das muss sie anderen überlassen. Sozusagen "Geschäftsführern ohne Auftrag" (um mal eine juristische Kategorie zu benutzen). Dies hat nun der angeblich "renommierte" Arbeitsrechtler Rieble von der Universität München getan. Die Neue Juristische Wochenschrift (NJW) gab ihm dafür Raum.[2] Der Beitrag ist zugleich kurios und ärgerlich. Er wirft ein bezeichnendes Licht auf das Dilemma einer unter Druck geratenen Klassenjustiz und ist zugleich ein Beleg für die politische Richtigkeit der sog. Emmely-Kampagne.


I.

Zunächst zum Kuriosum: Der Professor, der offenbar weder die Klassenjustizdebatte der frühen 70er Jahre noch sonstige politische Justizkritik nie zur Kenntnis genommen hat, versteht die Welt nicht: Die Bestätigung der Kündigung der Verkäuferin "Emmely" sei keine Klassenjustiz, sondern: "Ein Beleg dafür, dass die Bürger ihre Justiz nicht verstehen!" Wie bitte? Welchen Begriff von Klassenjustiz hat denn der Herr Professor? Niemals war und ist unter Klassenjustiz etwa reine "Rechtsbeugung" zu verstehen gewesen.[3] Klassenjustiz war und ist sowohl der Form wie dem Inhalt nach eine Rechtsprechung, die im Ergebnis und objektiv im Interesse einer bestimmten (herrschenden) Klasse gesprochen wird und in deren Interesse "funktioniert". Wenn nun die Mehrzahl der Bürger (hier also vor allem schlicht: die arbeitende Bevölkerung) diese Justiz nicht inhaltlich akzeptiert, so ist das ein geradezu beispielhafter Beleg für "Klassenjustiz". Die These des Herrn Professor widerlegt sich also selbst. Das Ärgerliche an der öffentlichen Kritik war für Justitia allerdings, dass hier seit vielen Jahrzehnten zum ersten Mal in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wirklich nur das objektive Ergebnis der Rechtsprechung im Fokus der Kritik stand und nicht die juristische Begründung. Die Menschen wollten und wollen nicht akzeptieren, dass für eine angebliche oder tatsächliche Bagatelltat jemand seinen Arbeitsplatz verliert und dessen bzw. deren Existenz vernichtet wird, während auf der anderen Seite Millionen und Milliarden zu Gunsten von Finanzkapitalisten umverteilt werden. Dieser Interessenstandpunkt ist das eigentlich für den Herrn Professor Ärgerliche und für die Justiz "Unverständliche". Aber es ist eben zugleich kurios, weil es zeigt, dass hier ein Professor, der immerhin eine neue Generation junger Juristen in das Berufsleben schicken soll, offenbar nichts von der objektiven Funktion einer Justiz und ihrer oft nur sehr relativen Rolle innerhalb einer Gesellschaft verstanden hat oder verstehen will. Dass eine Gesellschaft nicht nach Rechtsnormen funktioniert, sondern regelmäßig die Normen nach dieser Gesellschaft funktionieren, ist eine soziologische und ökonomische Binsenweisheit, die sich Anfang der 70er Jahre auch in Deutschlands juristischen Fakultäten herumgesprochen hatte, inzwischen aber offenbar wieder sich im Dickicht des Vorlesungsbetriebs juristischer Fakultäten verflüchtigt hat. Soweit zur Kuriosität.


II.

Nun zum extrem ärgerlichen Teil der Gegenkampagne des Herrn Professors: Obwohl der Herr Professor sich quasi "fürsorglich" der Justitia annimmt und noch einmal ausdrücklich festhält "einen Sonderehrenschutz (was ist das?) für Richter und Gerichte gibt es in Deutschland nicht", um sodann quasi im Namen der Justitia zurückzuschlagen, gehen ihm "jegliches Maß und jegliche Mitte" ab: Er beschränkt sich nicht etwa darauf - wie die in dieser Sache zuständigen Richter es vermutlich getan hätten - noch einmal die bisherige Rechtsprechung zu skizzieren, sondern nimmt nun selbst keineswegs nur noch objektiv, sondern jetzt sogar subjektiv die Position einer Klassenjustiz ein: Er greift in - sogar strafrechtlich relevanter! - Weise die betroffene Verkäuferin ganz unmittelbar persönlich als Arbeitnehmerin an und versteigt sich dabei zu einer Sozialarroganz, wie sie jedenfalls nach 1945 in Deutschland (auch im Westen Deutschlands) kaum noch anzutreffen war: Ganz bewusst und ganz gezielt nennt er die Betroffene mit ihrem bürgerlichen Namen und zwar fast in jedem zweiten Satz. Den in der Öffentlichkeit verwendeten Namen bezeichnet er als "kampagnentaugliche Verzärtelung", um damit zu rechtfertigen, dass er die Betroffene aus der vermeintlichen Anonymität einer vermeintlichen Kampagne herausholt und sie damit direkt an den Pranger stellt. In geradezu grenzenlosem Zynismus erwartet er nicht nur, dass die Betroffenen keinen neuen Arbeitsplatz mehr finden wird, sondern rechtfertigt dieses sogar noch und unterstellt, ihr sei sicherlich schon "Kompensation anderweit versprochen" worden, "etwa durch Beschäftigung bei ver.di". Das sei "nur gerecht". Dann könne sie "zweckentsprechend aus dem Streikfonds entschädigt" werden. Dass die Betroffene weder einen Job in der Gewerkschaft erhalten hat noch naturgemäß aus einem Streikfonds entschädigt werden kann, weiß der Herr Professor nur zu genau. Aber aus seinen Worten spricht nichts anderes als schlichter Klassenhass.


III.

Doch der Professor geht noch weiter. Er erklärt die Betroffene - ohne jede Not - und das in einer juristischen Fachzeitschrift(!) und auch ohne Anführungszeichen zu einer "notorischen Lügnerin". So als wäre die Betroffene noch nicht genügend durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes bestraft, wird sie nun für ihren aufrechten Gang im Kampf für ihren Arbeitsplatz (und natürlich auch gegen die Justiz) von dem Herrn Professor - quasi stellvertretend - bestraft. Dabei lässt es der Herr Professor nicht etwa bei abwertenden strafrechtlich relevanten Äußerungen bewenden. Nein im Gegenteil: Er erklärt ausdrücklich, dass die "Berliner Staatsanwaltschaft" sich durchaus für den Fall interessieren würde, denn wer in einer von ihr (!) betriebenen Kampagne die Berliner Gerichtsbarkeit massiv angreife und den Rechtsstaat (?) in Frage stelle, müsse mit einem erheblichen Interesse an der Verfolgung von Straftaten rechnen. Mit anderen Worten: Wer massive öffentliche Justizkritik betreibt und dazu noch als einfache Arbeitnehmerin eigentlich gar nicht "berechtigt" ist, wird zu Recht der Strafverfolgung ausgesetzt.
Doch es ist nicht nur die Betroffene, die der Herr Professor massiv und arrogant angreift, sondern es sind auch all jene, die in der Öffentlichkeit sich für solidarisch erklärt haben. Diese bezeichnet er als "empörungswillige Sozialromantiker", wobei er ausgerechnet Wolfgang Thierse unterstellt, er habe mit seiner Kritik wohl die "Volksgerichte" (diesen Begriff gab es überhaupt nicht) in der "guten alten DDR" reaktivieren wollen. Von durchaus kritischen Juristen, wie dem Arbeitsrichter Klueß, behauptet er, sie hätten nur eine "Datenbankabfrage" ihren Stellungnahmen zugrunde gelegt und würden "Äpfel mit Birnen" vergleichen, um sodann daran anzuschließen, dass er in dieser Angelegenheit natürlich "schärfer" denke . Die besondere Aversion gegen die Kritiker aus der eigenen Zunft ist leicht erklärlich: Diese argumentierten in ihrer Kritik nicht nach der objektiven Interessenlage, sondern hinterfragten auch (und dieses erstmals!) die innere juristische Rechtfertigung der Argumentation der Rechtsprechung. Sie stellten offensiv die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und verglichen beispielsweise die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im Falle von Beamten mit der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bei Angestellten und Arbeitern. Zu Recht war z.B. von dem Arbeitsrichter Klueß in einer umfassenden Untersuchung in der "Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht" (NZA) die Frage gestellt worden, ob bei geringwertigen Vermögensdelikten (auch unabhängig von einem bloßen Verdacht) wirklich Kündigungen gerechtfertigt seien.[4]

Deren Argumentation meinte der Herr Professor dadurch widerlegen zu können, dass er auf den angeblichen "Kern" der Problematik zu sprechen kommt, nämlich den "Wegfall des Vertrauens", das ein Arbeitgeber zu Beschäftigten (insbesondere zu Kassierern) haben müsse. Dass er dabei eine Kategorie entwickelt, die dem ökonomischen Austauschverhältnis des Arbeitsvertrages eigentlich fremd ist, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Was ihm erst Recht nicht in den Sinn kommt, ist die Tatsache, dass diese Konstruktion des "Vertrauensverhältnisses" direkte Folge der Konzeption des "personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses" war und ist, wie sie erstmals (!) in dem Gesetz über die Ordnung der nationalen Arbeit der Nazis aus dem Jahre 1934 auftaucht. Hier war die Ursache für die spätere Rechtsprechung zur sog. Verdachtskündigung des Reichsarbeitsgerichts, die dann nahtlos vom Bundesarbeitsgericht im Jahre 1955 übernommen wurde.[5]

Doch es kann nicht verwundern, dass der Herr Professor angesichts seiner außerordentlich engen Sichtweise solche Zusammenhänge nicht erkennt: Tatsächlich erkennt er mit der Zurückweisung der Vergleiche zwischen Beamtenrecht und Arbeitsrecht sogar noch nicht einmal die letzten gut 40 Jahre Rechtsprechung zur sog. "Drittwirkung von Grundrechten". Er will immer noch weiß machen, dass es im Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern um eine Rechtsbeziehung "auf gleicher Augenhöhe" geht. Für ihn ist das Arbeitsrecht schlicht: Zivilrecht. Dass das Arbeitsrecht allerdings gar keine Existenzberechtigung hätte, wenn dem so wäre, fällt ihm offenbar nicht auf. Das Arbeitsrecht ist die Anerkennung von gravierenden Machtunterschieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und eben damit gerade die Durchbrechung des Prinzips der zivilrechtlichen "gleichen Augenhöhe". Das ist das eigentliche Geheimnis der sog. "Drittwirkung von Grundrechten". Die aber wird vom Herrn Professor noch nicht einmal thematisiert.


IV.

Der Herr Professor beschimpft sogar kritische Richter mit der Feststellung, sie seien offenbar "laxen Rechtsgenossen zugetan". Mit anderen Worten: Hier gibt es Richter, die - veranlasst durch die Mediendebatte zum Fall "Emmely" - eine gefestigte und soziale Rechtsprechung in Frage stellen. Damit förderten sie "Laxheit". Den Anwalt der Betroffenen bezeichnet er als "fragwürdig" und dieses noch nicht einmal ironisch oder in Form einer Frage. Die Betroffene selbst und ihren Rechtsanwalt skizziert der Herr Professor so: "Ihre Rechtsverfolgungsstrategie baut auf Lug und Trug".

Da der Herr Professor mit seinem Beitrag ganz offensichtlich selbst eine Kampagne auslösen möchte und zwar nämlich gegen die Betroffene wie deren Anwalt wie auch gegen alle Kritiker der bisherigen Rechtsprechung zur Verdachtskündigung und zur Kündigung bei sog. Bagatellstraftaten, ist es nun notwendig, dass die Münchener Universität ein Disziplinarverfahren gegen den Herrn Professor einleitet. Es ist absolut untragbar, dass ein solcher vermeintlich "renommierter" Professor (Originalton Berliner Tagesspiegel) noch weiter junge Jurastudenten ausbildet. Zugleich besteht ein dringendes öffentliches Interesse an der Verfolgung der hier massiv öffentlich ausgesprochenen Beleidigungen und sonstigen Diffamierungen. Um nur wesentlich unverändert einen Begriff aus dem Aufsatz des Herrn Professors aufzugreifen, müsste formuliert werden:

"Für diese Straftaten dürfte sich die Münchener Staatsanwaltschaft durchaus interessieren. Gerade wegen der von Professor Rieble betriebenen Kampagne, die verschiedene Personen massiv angreift, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, Straftaten im Rahmen dieser Kampagne zu ahnden."


V.

Zur Ehrenrettung der Justiz allerdings muss gesagt werden, dass hier jemand in einer Weise über die Grenzen hinausgeschossen hat, die bislang unbekannt waren. Hier wurde jegliche Tünche fallengelassen und es erschien das hässliche Antlitz einer Sozialarroganz, die selbst vor persönlichen Angriffen gegenüber einer Arbeitnehmerin, die ihren Arbeitsplatz verloren hat, nicht zurückschreckt. Dies haben sich Richter bisher in dieser Sache (wenn sie auch noch so sehr im Fokus der Kritik gestanden haben sollten), nicht geleistet. Auch in anderen Fällen beließ man es bislang beim "Ergebnis" ohne etwa nachzukarten. Auch deshalb ist die Justiz selbst aufgerufen, sich gegen diesen "Geschäftsführer ohne Auftrag" zur Wehr zu setzen. Die Kampagne des Herrn Rieble nämlich stellt nicht nur den Rechts- und Sozialstaat in Frage, sie wirft auch die Frage auf, welches Gesicht eine künftige Justiz in diesem Land haben soll. Diesen Schuh sollte sich selbst die herrschende Klassenjustiz nicht anziehen!

Dies aber zeigt zugleich, dass Justiz niemals stets mit "Klassenjustiz" gleichzusetzen ist. Sonst gäbe es nur die sektiererische Sichtweise, die da lautet: "Die Justiz des Klassenstaates ist Klassenjustiz". Es würde bedeuten, dass weder das Recht noch die Justiz auch Forderungen, Errungenschaften und Positionen der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Organisationen "enthalten". Gerade das Arbeitsrecht ist ein solcher vermeintlicher "Fremdkörper": Er enthält solche Positionen. Es gilt in der juristischen und politischen Praxis diese "Fremdkörper" zum Klingen zu bringen oder - wie es der junge Karl Marx einmal formuliert hat - den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen und sie damit zum Tanzen zu bringen...

In der Geschichte der bürgerlichen Justiz, vor allem nach 1945, waren weder die Justiz noch die Gesetzgebung völlig "immun" gegen Proteste und Forderungen der Arbeiterbewegung, sieht man einmal von der Periode des Faschismus ab. Solange allerdings die Rechtsprechung auch von der Arbeiterbewegung "klaglos" hingenommen wurde, konnte den Auswüchsen einer Klassenjustiz nur begrenzt entgegengetreten werden. Ein treffendes Beispiel dafür ist der in den 50er und 60er Jahren von den Gewerkschaften gepflegte unkritische Umgang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das änderte sich schlagartig als sich kritische Juristen mit ihrer Rechts- und Urteilskritik mit den konkreten Aktionen der Gewerkschaften verbanden. Als nach dem Kongress der IG Metall zu "Streik und Aussperrung" und den Arbeitskämpfen in der Metallindustrie und der Druckindustrie Anfang der 70er Jahre in einer Strategie von Massenklagen plötzlich flächendeckend auch untere Instanzen mit dem Phänomen der Aussperrung konfrontiert wurden, begann sich plötzlich die Phalanx einer vermeintlich unerschütterlich konservativen Rechtsprechung aufzulösen.[6] Risse wurden sichtbar. Kritische Töne fanden Gehör. Ja, die Rechtsprechung (zumindest die "Instanzgerichte") reagierte weit aus sensibler auf die Kritik als die Gesetzgebung, die sich vielmehr ihrerseits hinter der Rechtssprechung versteckt hielt.
Und das ist die Botschaft der Emmely-Kampagne: Da war eine fast unerschütterliche Phalanx der Rechtsprechung. Kein noch so gescheiter Aufsatz in einer noch so "renommierten" Fachzeitschrift hatte daran etwas ändern können. Bis - ja bis plötzlich eine Phalanx in der Öffentlichkeit auftrat, die abseits jeder juristischen Argumentation ihr massives "Unverständnis" äußerte. Die sich - und das in dem so "rechtsgläubigen" Land Deutschland - für juristische Deduktionen nicht interessierte wohl aber für Interessen und schlichte "Gerechtigkeit". Und das wirkte. Es musste vor allem vor dem Hintergrund des durch Hartz IV, Agenda 2010 und Finanzkrise selbst verschuldeten Legitimationsverlusts des politischen Systems wirken. Hinzu kommt, dass - anders als zu wilhelminischen oder Weimarer Zeiten - sich die heutige Rechtsprechung auf Dauer einen solchen Legitimationsverlust nicht mehr erlauben kann. Deshalb hat schon jetzt die Kampagne unmittelbaren Einfluss auf den juristischen Diskurs gehabt, wie z.B. der Beitrag von Klueß (immerhin einem Berliner Arbeitsrichter!) zeigt. Ob sie eine Kurskorrektur der Rechtsprechung bewirken wird, hängt davon ab wie nachhaltig sie sein wird. In jedem Falle wird diese Kampagne nicht spurlos an der Rechtsprechung und ihren "jahrzehntelang" gewachsenen Grundsätzen vorübergehen. Und dass sie das einer Verkäuferin und nicht einigen gescheiten Juristen verdankt, lässt die treuesten Vasallen der Klassenjustiz eben so kurios und ärgerlich außer Rand und Band geraten. Es zeigt uns nur: Weiter so, Emmely! Der Kurs ist richtig.


Der Autor:
Dr. Rolf Geffken, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Autor des Buches "Klassenjustiz", 1971, dessentwegen er 1972 in Hamburg Berufsverbot erhielt. Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Inneres & Recht des niedersächsischen Landesverbandes der Partei DIE LINKE.


Anmerkungen:

[1] vgl. im Einzelnen: Geffken, Verdachtskündigung - Eine juristische Kritik, in: BIG-Business Crime, Nr. 2/2009, S. 13 ff.

[2] Riebl; Barbara Emme - Ein Lehrstück über den Umgang mit der Justiz, NJW 2009, S. 2101 - 2105

[3] vg. im Einzelnen: Geffken, Abschaffung der Klassenjustiz, in: Junge Welt v. 16.06.2009, S. 10 - 11

[4] vgl. A. Klueß, geringwertige Vermögensdelikte - keine zwangsläufige Entlassung, NZA 2009, S. 337 ff.

[5] vgl. Fn [1]; BAG v. 12.05.1995, BAGE Band 2, S. 1

[6] vgl. zur Dialektik von Recht und Politik in einer Strategie der "Linken": Geffken; Die Linke und das Recht, in: Die Linke, Hrsg. Gremliza/Hannover, Hamburg 1980, S. 97 ff.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Schattenblick veröffentlicht den ungekürzten Artikel von Dr. Geffken, der als Emmely_Geffken.pdf zu finden ist unter:
www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/eh/kaisers.html


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Quelle:
junge Welt vom 28.07.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009