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BERICHT/007: "Blockupy"-Aktionstag - Ermittlungen gegen fast 1.000 Demonstranten (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 39 vom 27. September 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Ermittlungen gegen fast 1.000 Demonstranten
Polizei legt offenbar frisierte Akten zum "Blockupy"-Aktionstag: vor

von Markus Bernhardt



Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat fast 1000 Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten eingeleitet, die bei den sogenannten "Blockupy"-Aktionstagen am 1. Juni dieses Jahres in der Bankenmetropole eingekesselt worden waren. Diesen Skandal machte in der letzten Woche der Leipziger Rechtsanwalt Daniel Werner öffentlich, der im Namen eines Betroffenen gegen den damaligen Polizeieinsatz vorgeht.

Unter dem Motto "Blockupy Frankfurt - Widerstand im Herzen des Europäischen Krisenregimes" hatten antikapitalistische Organisationen damals nach Frankfurt mobilisiert, um die Europäische Zentralbank (EZB) zu blockieren und gegen die Macht der Banken zu demonstrieren.

Die Polizei hatte damals eine Demonstration, die zuvor von den Behörden genehmigt worden war und an der insgesamt mehrere Tausend Menschen teilgenommen hatten, ohne ersichtlichen Grund gestoppt und fast 1 000 Personen eingekesselt. Über 7 Stunden waren die Demonstranten von den Beamten festgehalten worden, womit die damaligen Proteste de facto von der Polizei unterbunden wurden.

Der Leipziger Rechtsanwalt Daniel Werner hatte infolge der Proteste Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Polizeieinsatzes gestellt und den Einsatzleitern "Freiheitsentziehung" vorgeworfen. Die Anzeige richtet sich dabei sowohl gegen die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten, als auch gegen diejenigen, die den Polizeieinsatz angeordnet hatten.

"Das stundenlange Einkesseln meines Mandanten stellt eine Freiheitsentziehung dar. Die Freiheit des Einzelnen ist ein durch das Grundgesetz besonders geschütztes und hohes Gut. Eine Einschränkung dieser Freiheit muss daher ganz besondere Kriterien erfüllen. Das gilt auch und besonders bei Polizeieinsätzen", kommentierte der Rechtsanwalt sein Vorgehen in einer der UZ vorliegenden Erklärung. Eben diese gesetzlichen Kriterien für eine "Freiheitsentziehung" durch die Polizei sieht der Jurist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht erfüllt:

"Wenn die Polizei die Freiheit eines Demonstrationsteilnehmers entziehen will, darf sie das nicht einfach anordnen. Das Grundgesetz sieht vor, dass vorher ein Richter entscheidet. Sollte dies nicht möglich sein, so muss die richterliche Entscheidung unverzüglich nachgeholt werden. Hierbei ist der von der Freiheitsentziehung Betroffene anzuhören. Mein Mandant musste sich am 1. 6. 2013 mehr als sieben Stunden gegen seinen Willen im Polizeikessel aufhalten. Eine Anhörung bei einem Richter hat in der ganzen Zeit nicht stattgefunden. Eine solche Vorgehensweise der Polizei verstößt offensichtlich gegen das Grundgesetz", berichtete Werner weiter.

Da die Staatsanwaltschaft Frankfurt im vorliegenden Fall gegen die Polizeiführung der Stadt Frankfurt ermitteln müsste, hatte der Rechtsanwalt die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt eingereicht.

Obwohl gegen die Einkesselung bereits zahlreiche Klagen beim Verwaltungsgericht Frankfurt anhängig sind, hatte die Polizei in den vergangenen Monaten die Akten zurückgehalten. Als Grund hierfür wurde angegeben, diese müssten noch bearbeitet werden. "Ein solches Vorgehen ist mehr als ungewöhnlich und legt den Verdacht der Aktenmanipulation nahe", kritisierte Daniel Werner, der darauf verwies, dass erst Anfang September erstmals polizeiliche Unterlagen an das Verwaltungsgericht Frankfurt übersandt worden seien. Dabei war dem Anwalt aufgefallen, dass vorliegende Akten bearbeitet worden sind, da mehrere Berichte erst mit großem zeitlichen Abstand zur Demonstration, die bereits am 1. Juni stattfand, angefertigt wurden. "Die Berichte ähneln sich außerdem im Wortlaut und erwecken den Eindruck, dass sich die Verfasser beim Schreiben der Berichte abgesprochen haben", kritisiert Werner weiter.

Bemerkenswert sei außerdem, dass Professor Dr. Michael Brenner, welcher den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Jena inne hat und als Parteifreund des hessischen Innenministers Boris Rhein gelte, bei Abfassung seines Gutachtens zum umstrittenen Vorgehen der Polizei offensichtlich andere Akten vorgelegen hätten, so der Rechtsanwalt weiter. Schließlich würde in besagtem Gutachen mehrfach aus "Aufklärungsergebnissen" und "Einsatzdokumentationen der Befehlsstelle" zitiert, welche in den nun vorgelegten Akten jedoch nicht zu finden seien. Dass überhaupt so viele Verfahren eingeleitet wurden, sieht Werner indes als Versuch, einen nicht gerechtfertigten und stark kritisierten Polizeieinsatz nachträglich zu legitimieren. "Kaum noch jemand glaubt daran, dass die stundenlange Einkesselung und das damit einhergehende Beenden der Demonstration rechtmäßig gewesen ist. Fast 1 000 Strafverfahren einzuleiten ist ein durchschaubarer Versuch, unschuldige Demonstranten zu kriminalisieren und so den Fokus vom Versagen der Polizei abzulenken", monierte der renommierte Anwalt weiter.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 3 vom 27. September 2013, Seite 5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2013