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INTERNATIONAL/061: Argentinien - Spanische Gerichte blockieren Verfahren von Opfern der Franco-Diktatur (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2012

Argentinien: Spanische Gerichte blockieren Verfahren von Opfern der Franco-Diktatur - Amnesty legt Bericht vor

von Marcela Valente



Buenos Aires, 10. Mai (IPS) - 'Amnesty International' hat der argentinischen Justiz eine Dokumentation vorgelegt, die den sträflichen Umgang der spanischen Gerichtsbarkeit mit Verbrechen aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) und der Diktatur von General Francisco Franco (1939-1975) belegen soll. Demnach wurden Verfahren, die Familien von Menschenrechtsopfern eingeleitet hatten, ungeprüft eingestellt.

Der Leiter des spanischen Amnesty-Büros, Esteban Beltrán, übergab die Unterlagen am 9. Mai der argentinischen Richterin María Servini, die bereits Menschenrechtsverletzungen der Franco-Zeit auf der Grundlage der universellen Justiz untersucht. Wie Beltrán gegenüber IPS erklärte, ist den Opfern und deren Angehörigen in Spanien jede Chance auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Entschädigung genommen.

"Wir sind hierhergekommen, um die argentinische Justiz zu bitten, die Untersuchungen fortzusetzen", sagte Bertrán. "Wir bringen Dokumente mit, die zeigen, dass in Spanien Verfahren systematisch ad acta gelegt wurden, ohne dass zuvor auch nur ein Bogen Papier bewegt worden wäre."


Von der Justiz im Stich gelassen

Der Amnesty-Bericht 'Abgeschlossene Fälle, offene Wunden' dokumentiert, wie in Spanien die Opfer von Menschenrechtsverletzungen vom Justizsystem ihres Landes im Stich gelassen wurden. Bis heute werde den Opfern des Bürgerkriegs und der Franco-Ära das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung vorenthalten, heißt es in der Dokumentation.

2006‍ ‍hatten Menschenrechtsorganisationen in Spanien der 'Audiencia Nacional' in Madrid, dem höchstem Strafgericht Spaniens, Beweismittel im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen von 114.000 Menschen und der Entführung von 30.000 Kindern während des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur vorgelegt. Die Untersuchung dieser Verbrechen sollte dem international anerkannten spanischen Richter Baltasar Garzón zum Verhängnis werden.

Der ehemalige Richter der Audiencia Nacional wurde wegen 'Rechtsbeugung' seines Amtes enthoben, weil er die Franco-Verbrechen trotz der Existenz des Amnestiegesetzes von 1977 untersuchen wollte. Der Oberste Gerichtshof des Landes sprach ihn zwar dieses Jahr in zweiter Instanz frei. In einem anderen Fall im Zusammenhang mit der Untersuchung eines Korruptionsskandals wurde er jedoch im Februar mit einem elfjährigen Berufsverbot belegt.

Garzón hatte seine Ermittlungen der Menschenrechtsverbrechen mit dem Prinzip des universellen Rechts begründet, dem zufolge Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Terrorismus jederzeit und überall geahndet werden können, ungeachtet der Existenz von Amnestien zum Schutz der Täter. Er war bereits bei der strafrechtlichen Verfolgung des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet und anderer Menschenrechtsverbrecher südamerikanischer Diktaturen nach dem gleichen Prinzip verfahren.

Der Bericht, den Beltrán der argentinischen Richterin Servini vorlegte, befasst sich mit 21 der 47 Fälle, die Spaniens Audiencia Nacional an Provinzgerichte transferiert hatte. Er kommt zu dem Schluss, dass fast alle Verfahren unverzüglich abgeheftet wurden, ohne zuvor einer Überprüfung unterzogen worden zu sein.

Lediglich in zwei Fällen bemühten sich Provinzgerichte um Aufklärung. Sie ordneten Maßnahmen zur Exhumierung von Leichen aus Massengräbern, die Identifizierung der Toten und die Übergabe der sterblichen Überreste an die Familien an. Doch auch diese Fälle wurden später abgeblockt.

Der Report widerspricht der offiziellen Antwort, die die spanische Regierung der argentinischen Richterin Servini im Juni letzten Jahres 2011‍ ‍gegeben hatte, wonach die Menschenrechtsverbrechen der Franco-Zeit strafrechtlich verfolgt würden. Vielmehr liege aufgrund der Versäumnisse, den Vorwürfen nachzugehen, und dem fehlenden Respekt für die Rechte der Opfer ein klarer Verstoß gegen das Recht auf Gerechtigkeit vor.


Verstoß gegen internationale Menschenrechtsbestimmungen

Ebenso wirft der Amnesty-Bericht den spanischen Gerichten vor, die Angehörigen der Opfer nicht über die Einstellung der Verfahren informiert zu haben. Er hinterfragt zudem die Rechtmäßigkeit der Gerichtsentscheidungen. So begründeten die spanischen Gerichte die Einstellung der Menschenrechtsverfahren damit, dass das Amnestiegesetz von 1977 weiter gültig sei, die Straftaten verjährt oder die Täter nicht mehr am Leben seien. "Amnesty International ist der Meinung, dass Spanien seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachkommt", moniert der Bericht.

Die argentinische Justiz ist auf Betreiben von Inés García Holgado und Darío Rivas, Verwandten von Opfern der Franco-Ära, im Dezember 2011 tätig geworden. Den Klägern haben sich auch Familien anderer Opfer angeschlossen. Der in Spanien praktizierende Anwalt Carlos Slepoy vertritt etliche Kläger. Wie er berichtet, geht es in dem Verfahren inzwischen um 20 Fälle. Er rechnet fest damit, dass sich immer mehr Opferfamilien der Sammelklage anschließen werden und die Zahl der Kläger in die Hunderte gehen könnte.

Richterin Servini wird im nächsten Monat nach Madrid reisen, um in der Botschaft ihres Landes die Überlebenden und Angehörigen der Opfer anzuhören, die sich der Klage anschließen wollen. (Ende/IPS/kb/2012)


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IPS-Tagesdienst vom 10. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012