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INTERNATIONAL/093: Palästinensisches Gesetz verteidigt Ehrenmorde (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2013

Nahost: Palästinensisches Gesetz verteidigt Ehrenmorde

von Mel Frykberg


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Palästinensische Frauen wollen endlich mehr Rechte
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Ramallah, 22. Januar (IPS) - "Sie war schon tot, bevor sie ermordet wurde. Ihre Geschichte erzählen wir rückwärts - von ihrem Tod bis zu ihrer Geburt." So beginnt ein neuer Song der populären palästinensischen Hip-Hop-Band DAM, die die Aufmerksamkeit auf die immer noch verbreitete Praxis der Ehrenmorde lenken möchte.

Im Musikvideo zum Song liegt eine Frau mit ausdruckslosem Gesicht auf dem Bett. Ihr Körper richtet sich auf, so dass sie schließlich vor dem Bett steht. Eine Kugel trifft ihren Kopf. Die Pistole hält ein junger Mann, der ihr Bruder sein soll.

Jedes Jahr werden nach Angaben der Vereinten Nationen 5.000 Frauen und Mädchen umgebracht oder misshandelt, weil sie mit ihrem Verhalten angeblich dem Ruf der Familie geschadet haben. Zwischen 2007 und 2010 wurden im Westjordanland offiziell 29 Ehrenmorde gemeldet. Das klingt wenig, doch die Dunkelziffer wird viel höher geschätzt. Das Palästinensische Innenministerium weigert sich, entsprechende Zahlen zu veröffentlichen.

Vier Millionen Menschen leben im Westjordanland. Im Gaza-Streifen sind es rund 1,5 Millionen. "13 palästinensische Frauen wurden 2012 umgebracht, weil sie die Ehre der Familie verletzt haben sollen", erzählt Soraida Hussein vom Palästinensischen Komitee für Frauenangelegenheiten (WATC). "Tatsächlich hatten die meisten dieser Morde aber nichts mit der Familienehre zu tun. Sie wurden aus ganz anderen Motiven begangen. Oft werden Frauen umgebracht, weil es finanzielle oder andere Streitigkeiten in der Familie gibt. Die Männer berufen sich dann auf Ehrenmord, weil sich dadurch das Strafmaß senkt."

Das Westjordanland orientiert sich dabei am Strafrecht Jordaniens. Bei Körperverletzung und Morden, die infolge eines "Wutausbruchs" begangen wurden, gilt ein geringeres Strafmaß. Im Gaza-Streifen wurde das ägyptische Strafrecht zur Vorlage. Demnach reduziert sich das Strafmaß für Männer, die sogenannte Morde aus Leidenschaft begangen haben. Damit sind auch solche Verbrechen gemeint, die der Sicherung der Familienehre gelten sollen.


Straffreiheit für die Täter

Nur ein Bruchteil der Männer, die sich auf eines dieser Gesetze berufen, wird jemals bestraft, berichtet das Rechtsberatungszentrum für Frauen (WCLAC) in Ramallah. Wenn es doch zu einer Verurteilung kommt, dann fallen die Gefängnisaufenthalte in der Regel nicht länger als ein paar Monate aus.

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die für das Westjordanland zuständig ist, hat 2006 die internationale Konvention zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) unterzeichnet. Hassan al-Ouri, Sprecher von Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, erklärte kürzlich, dass die PA ein Ende jeglicher Diskriminierung gegen Frauen befürworte, solange dies nicht der Scharia - dem islamischen Recht - widerspreche.

Für die Frauenrechtlerin Hussein ist das Nonsens: "Nirgendwo im Koran steht geschrieben, dass Zorn oder sexuelle Freizügigkeit die Ermordung von Menschen rechtfertigen. Unsere Organisation wird von vielen verschiedenen religiösen Führern unterstützt, die aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Auch sie verurteilen sogenannte Ehrenmorde und fordern härtere Strafen."

Anders als allgemein angenommen sind die Gesetze zu 'Mord aus Leidenschaft' Hussein zufolge keineswegs auf das islamische Recht zurückzuführen. Sie seien vielmehr ein Erbe der Kolonialherren: der Türken, Franzosen und Briten.

Als im Mai 2011 Aya Baradiya aus Hebron von ihren Verwandten erdrosselt und schließlich tot in einen Brunnen geworfen wurde, weil sie angeblich Ehebruch begangen haben sollte, gab es einen öffentlichen Aufschrei gegen diesen brutalen Mord. PA-Präsident Abbas kündigte daraufhin an, die Gesetze zum Thema Ehrenmord ändern zu wollen.

Doch diese Aussage nahm sein Sprecher Hassan nun zurück: Die Autonomiebehörde habe keineswegs vor, Ehrenmorde zu bestrafen, sagte er im gleichen Statement, in dem er sich auf die Scharia berufen hatte.


Politiker treiben ihr Spiel mit den Frauenrechten

"Frauenrechte sind nichts weiter als politische Spielbälle. Wenn es öffentliche Empörung gibt und die Politiker sich um ihren Ruf sorgen, dann versprechen sie, die Gesetze zu verändern und den Frauen mehr Rechte zu geben. Doch sobald konservative Kräfte in Erscheinung treten, ziehen die Politiker ihre Versprechen wieder zurück", kritisiert Hussein.

Der Frauenrechtlerin zufolge ist die Mehrheit der Palästinenser gegen Ehrenmorde. "Aber unsere politische Führung hat den Bezug zur Basis komplett verloren." Sie hofft darauf, dass die jetzige Führungsriege demnächst ausgedient hat und junge progressive Menschen die Plätze der Politiker einnehmen. "Erst dann wird es endlich Veränderungen geben." (Ende/IPS/jt/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/01/law-makes-it-honourable-to-kill/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2013