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INTERNATIONAL/097: Indien - Kritik und Unruhen nach Hinrichtung eines Kaschmiris (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Februar 2013

Indien: Politisches Bauernopfer - Kritik und Unruhen nach Hinrichtung eines Kaschmiris

von Athar Parvaiz



Srinagar, 12. Februar (IPS) - "Gebt uns seinen Leichnam, wir wollen ihn anständig begraben" - dieser Ruf ist derzeit überall in der indischen Provinz Kaschmir zu hören. Mohammad Afzal Guru wurde am 9. Februar im Zusammenhang mit einem Anschlag auf das indische Parlament vor gut zwei Monaten gehängt. Guru gilt als politisches Opfer, dem man ein faires Gerichtsverfahren vorenthalten hat.

Guru war 2002 von einem Gericht zum Tode verurteilt worden. Zwei Jahre später hob der Oberste Gerichtshof das Urteil wieder auf. Ein Gnadengesuch der Familie wurde am 3. Februar von Staatspräsident Pranab Mukherjee abgelehnt. Sechs Tage später wurde Guru im Tihar-Gefängnis in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi gehängt und sein Leichnam auf dem Gelände der Haftanstalt begraben.

Seine Familie und viele andere fordern die Herausgabe seiner sterblichen Überreste. "Wir werden nicht eher ruhen, bis man uns den Körper unseres geliebten Bruders aushändigt", sagte Gurus älterer Bruder Aijaz, in Doabgah-Sopore, 65 Kilometer nördlich von Srinagar, der Hauptstadt des Bundesstaates Kaschmir. "Wir wollen ihn ordentlich bestatten."

Die Rückgabeforderung der Familie ist die zweite ihrer Art in Kaschmir. So warten Kaschmiris auf den Leichnam von Maqbool Bhat, für den sie auf dem Friedhof der Märtyrer in Srinagar bis heute eine Grabstätte reserviert haben. Der kaschmirische Separatistenführer war am 11. Februar 1984 im Zusammenhang mit einem Attentat auf einen indischen Regierungsvertreter ebenfalls im Tihar-Gefängnis gehängt worden. Auch seine Leiche wurde im Umfeld der Haftanstalt begraben.

Die Hinrichtung von Afzal Guru hat zu heftigen Reaktionen von Seiten der Zivilgesellschaft und der politischen Parteien geführt, die seine Hinrichtung mit den Wahlen im nächsten Jahr in Verbindung bringen. Im Rahmen des Wahltheaters habe man dem Kaschmiri die Rolle des Bauernopfers zugedacht, meinte Mirwaiz Umar Farooq, Chef der Allparteienkonferenz Hurriyat, einem Bündnis aus politischen und sozialen Organisationen, die für eine "annehmbare" Lösung der Kaschmir-Frage eintritt. Farooq war nach der Hinrichtung Gurus in Neu-Delhi vorübergehend inhaftiert worden.


"Keine faire Verhandlung"

Auch Anuradha Chenoy, Professorin für internationale Studien an der Jawaharlal-Nehru-Universität (JNU) in New Delhi hält Guru für ein politisches Opfer. "Es steht fest, dass Guru keine faire Verhandlung bekommen hat." Sie kritisierte ferner, dass man offenbar Afzals letzten Wunsch nicht respektiert habe. "Jeder, der sterben muss, möchte gern seine Familie ein letztes Mal sehen. Es ist sehr bedauerlich, dass er sich vor seiner Hinrichtung nicht von Frau und Kind verabschieden durfte."

Gurus Freunden zufolge hatte sich Guru bereits Ende der 1990er Jahre von dem bewaffneten Kampf für ein freies Kaschmir losgesagt und eine Apotheke geführt. Nach Aussagen des Universitätsdozenten Syed Abdul Rehman Geelani, der im Rahmen des gleichen Gerichtsverfahrens freigesprochen worden war, hatte die Regierung die Familie Gurus nicht über die Hinrichtung informiert. "Seine Frau war völlig ahnungslos gewesen. Rechtlich hätte ihr eine Zusammenkunft mit ihrem Mann vor dessen Exekution zugestanden."


Hinrichtungsnotiz per Eilbrief

Indiens Innenminister R. K. Singh zufolge war die Familie per Eilbrief von der bevorstehenden Exekution unterrichtet worden. Dazu meinte der kaschmirische Chefminister Omar Abdullah, "dass etwas mit dem System nicht stimmen kann". Omar Abdullah sprach von einem "beispiellosen" Vorgang. In einem Interview gegenüber dem indischen Nachrichtenkanal NDTV fügte er hinzu: "Es gibt genügend Stimmen, die der Meinung sind, dass die Beweismittel (gegen Guru) untergeschoben waren."

Die Hinrichtung hätte niemals stattfinden dürfen, betonte auch Mehbooba Mufti, Vorsitzende der Demokratischen Volkspartei (PDP). Die Herausgabe seines Leichnams sei die letzte Chance für die Regierung, ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu zeigen.

Die kaschmirische Regierung hat eine Ausgangssperre über die gesamte Provinz verhängt. Mindestens drei Menschen sind seither bei Zusammenstößen mit der Polizei ums Leben gekommen. Das Internet wurde blockiert, um Proteste in den sozialen Mediennetzwerken zu unterbinden. Auch die Nachrichtenkanäle sind abgeblockt. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/02/execution-sparks-unrest-in-kashmir/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2013